Mehrwegangebotspflicht in Berlin - Für die Tonne?
Weniger Verpackungsmüll in der Gastronomie finden alle gut: Kunden, Wirte und die Abfallentsorger sowieso. Doch obwohl ein neues Gesetz Mehrweg zur Pflicht macht, scheint sich kaum etwas geändert zu haben. Von Helena Daehler und Oliver Noffke
Eilig betritt der junge Mann das Restaurant Papaya in der Berliner Kantstraße. Er hat nur wenig Zeit und sein Mittagessen deshalb telefonisch vorbestellt. Überreicht bekommt er es in einer beigen Schale aus robustem Kunststoff: Mehrwegbox, statt Einwegmüll.
"Ich schaffe es nicht zu kochen, will aber nicht so viel Müll produzieren. Deswegen sind die Mehrwegschalen die Lösung für mein Problem." Er sei ein "Heavy User" von diesen wiederverwendbaren "to go"-Boxen. Im Papaya gehört er allerdings zu einer sehr übersichtlichen Zahl derer, die sich ihr Pad Thai oder das Curry auf diese Weise einpacken lassen.
Dabei können Kundinnen und Kunden oftmals darauf bestehen, das ihr Essen nicht in Wegwerfverpackungen gefüllt, eingewickelt oder gegossen wird. Seit dem 1. Januar gilt in Deutschland die sogenannte Mehrwegangebotspflicht. Viele Gastronomen, die Speisen und Getränke zum Mitnehmen anbieten, müssen deshalb umweltschonendere Verpackungen bereithalten.
Schlupflöcher, groß genug für ganze Fast-Food-Ketten
Dass sich etwas ändern muss, scheint angebracht. Die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung - ein unabhängiges Unternehmen, dass Studien zum Verbrauch von Verpackungsmaterialien in Deutschland und Europa durchführt - schätzt, dass jede Stunde etwa 15.600 Kaffeebecher und 18.700 Einwegessensboxen in Berlin weggeschmissen werden. In Brandenburg sieht es demnach nicht viel besser aus: Hier sollen es 10.300 Wegwerfbecher und 12.300 Essensboxen sein.
Das neue Gesetz sei deswegen ein großer Schritt nach vorn, findet Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe. "Das hat das Potenzial, unnötige Abfälle einzusparen", sagt er. "Allerdings wird es kaum umgesetzt und wenn es umgesetzt wird, dann wahnsinnig schlecht." Er beschreibt einen Kreislauf, der aktuell ordentlich holpert, aber aktuell kaum Müll vermeidet: Viele Wirte hätten Angst vor den Anschaffungskosten von Mehrweggeschirr; der Kundschaft sei nicht bewusst, dass sie ein Recht auf Mehrweg hätten; und zudem werde das Gesetz nicht kontrolliert.
Eine rbb-Umfrage unter den Kommunalverwaltungen der Region bestätigt diesen Vorwurf: Abgesehen von den Berliner Bezirken Mitte und Reinickendorf wurde das Gesetz bisher nicht gezielt überprüft. In Frankfurt (Oder) haben Stichproben stattgefunden.
Allerdings existieren einige Ausnahmen. Behälter aus Papier oder Pappe müssen meist nicht ersetzt werden. Was dazu führt, dass ausgerechnet Pizzakartons weiterhin erlaubt sind, obwohl man sie nicht im Papiermüll entsorgen darf. Die fettigen Pizzareste machen das Recycling unmöglich. In diesem Schlupfloch verstecken sich auch einige Fast-Food-Ketten. Sie verweisen lieber darauf, dass ihre Burgerpapiere und Frittenschachteln - angeblich - nachhaltig produziert werden, statt sich ehrlich Gedanken über Müllvermeidung zu machen.
"Entweder zu groß oder zu klein für unsere Gerichte"
Auch das Restaurant Dump Ling in Mitte entgeht dem Gesetz. Was ziemlich kurios scheint, angesichts der vielen Plastiktüten, mit denen die Kunden hier während der Mittags-Rush-Hour rausspazieren. Viele, die in der Gegend arbeiten oder bummeln kommen auf einen schnellen Happen vorbei – den sie gern mitnehmen, statt vor Ort zu essen. Doch weil die Verkaufsfläche des Restaurants kleiner als 80 Quadratmeter ist und nicht mehr als fünf Angestellte hier arbeiten, greift die Mehrwegangebotspflicht in diesem Fall nicht.
Hinter der Kasse liegen ausschließlich Einwegverpackungen. Mehrwegschalen hätten seine Gäste bisher nicht nachgefragt. Betreiber Xiao Bo Qiu würde das gern ändern. "Wir haben Mehrwegverpackungen von einer Firma getestet. Diese sind aber entweder zu groß oder zu klein für unsere Gerichte oder nicht ideal für unsere Suppen."
Es gibt eine Reihe von Unternehmen, die der Gastronomie und ihrer Kundschaft das wiederholte Benutzen schmackhaft machen wollen. Einige funktionieren über ein Pfandsystem, bei anderen wird eine kleine Gebühr fällig, wenn die Mehrwegschalen verspätet zurückgehen. Aus Verbrauchersicht kann das schnell undurchsichtig werden.
Denn der Lieblingsbäcker verwendet nicht unbedingt das gleiche System an, wie das Restaurant nebenan oder der Supermarkt gegenüber, bei dem es eine Salatbar gibt. Die Berliner Stadtreinigung (BSR) listet sieben verschiedene Unternehmen auf, die die Berliner Gastronomie mit ihren Mehrwegsystemen beglücken wollen [betterworldcup.de/berlin].
Lieber Pool als Insel
Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe beobachtet außerdem einen Trend zu sogenannten "Insellösungen". Viele Unternehmen würden aktiv daran arbeiten, Mehrweg möglichst unattraktiv zu machen. "Nichts ist einfacher, als Einweg rauszugeben und anschließend nichts mehr mit der Verpackung zu tun haben zu müssen." Kommen die Verpackungen zurück müssten sie gespült und gelagert werden, sagt Fischer. "Das möchten sich viele ersparen."
Um ihren gesetzlichen Pflichten nachzukommen, würden sie ihre eigenen Mehrwegsysteme einführen. Wenn die Kunden den Überblick verlieren, könnten die Unternehmen argumentieren: "Wir bieten Mehrweg an, die Leute wollen es aber nicht haben. Das ist eine regelrechte Frechheit", so Fischer.
Besser wäre ein einheitliches "Pool-System", sagt Hennig Wilts. Er beschäftigt sich mit dem Thema Kreislaufwirtschaft beim Wuppertal Institut - einem Think-Tank, der Nachhaltigkeitsforschung betreibt. Mehrweg-Pools kennen viele vom Bier- oder Wasserkauf: Viele Brauereien und Getränkeabfüller verwenden die gleichen Flaschen wie ihre Konkurrenten. Das erleichtert Rücknahme, Reinigung und Abfüllung. "Das würde es mir als Konsumenten natürlich viel einfacher machen, wenn ich nicht immer überlegen müsste: Wo ist das jetzt her?"
50 Cent extra für das Wegwerfgeschirr
Wilts sieht nicht nur ökologische Gründe für Mehrweg, Recycling und andere Wege, um die Nutzungsdauer von Gebrauchsgegenständen zu verlängern. "Wir werden kein Industriestandort bleiben, wenn es uns nicht gelingt, in Kreisläufen zu arbeiten." Einwegverpackungen sollten unattraktiver gemacht werden, sagt er.
Wer hungrig durch die Stadt streift, erlebt aktuell oft Folgendes: Für die Mehrwegbox müssen ein paar Euro hingelegt werden - Pfand, na klar, das bekommt man wieder. Doch die Einwegverpackung gibt es einfach so.
Im Restaurant Papaya hat Betreiber Michael Näckel das geändert. Wer sein Essen in der Einwegverpackung mitnehmen möchte, muss 50 Cent extra zahlen. Schließlich gebe er jeden Monat eine beträchtliche Summe für Einweggeschirr aus, dass umgehend im Müll landet. Dennoch ärgert ihn, dass sich viele Gastronomen hinter den Ausnahmen verstecken können. "Es ist einfach Bullshit. Gerade die kleinen Imbisse produzieren immense Mengen an Verpackungsmüll und es wäre sehr gut, wenn die mit an Bord wären."
Sendung: rbb24 Abendschau, 08.05.2023, 19:30 Uhr