Illegale Müllberge - Berlin, du kannst so dreckig sein
Matratzen, Sessel, Fernseher, Kleinmüll - all dies landet oft in der Dunkelheit der Nacht am Berliner Straßenrand. Der Ärger der Anwohner ist groß, der finanzielle Schaden auch. Doch es gibt Lösungsvorschläge. Von Sören Hinze
- Rund 4,7 Millionen Euro zahlt Berlin jedes Jahr, um den illegalen Müll zu beseitigen.
- Wer erwischt wird, muss bis zu 10.000 Euro Bußgelder zahlen
- Bürger:innen können die Stadt im Kampf gegen den wilden Sperrmüll unterstützen
Was nicht mehr gebraucht wird, landet in Berlin oft einfach auf der Straße: Müllberge, nicht nur an einer Ecke - oft noch garniert mit dem Schildchen "zu verschenken". Die Metropole hat ein Müllproblem.
Illegaler Müll kostet viel Geld
Das konstatiert auch Philipp B. aus dem Wedding. Durch die Ungarnstraße laufend, zeigt er den Reportern des rbb-Verbrauchermagazins Super.Markt, was in seinem Kiez landet: "Hier haben wir teilweise Bauabfall, Sperrmüll, hier sieht man, dass es eher gewerblicher Abfall ist". Woche um Woche beobachtet B. in der Ungarnstraße das immer gleiche Szenario. "Seit Jahren sehe ich hier jedes Mal neue Müllhaufen. Es wird ab und zu weggeräumt, eine Woche später ist es wieder da."
Er ist längst nicht der einzige, den diese wilden Müllkippen fassungslos machen. In Internet-Foren wie nebenan.de oder per Social-Media-Post regen sich die Berliner darüber auf. Aber der Müll kostet nicht nur Nerven, sondern auch eine Menge Geld: Rund 4,7 Millionen Euro zahlt Berlin jedes Jahr, um den wilden Sperrmüll zu beseitigen. Allein 2021 waren es 39.000 Kubikmeter illegal entsorgter Abfälle. Eine Müllschlange von Spandau bis nach Hoppegarten.
Verursacher kommen meistens nachts
Neukölln steht in der Statistik der illegalen Müllberge mit ganz vorn. Christian Atmaca ist Teil des Quartiersmanagements Harzer Straße. Er kennt die Müllecken in seinem Bezirk - und auch Ursachen für das illegale Entsorgen. Atmaca meint, viele Müllsünder hätten kein Auto und wählten einfach den kürzesten Weg. Sie entsorgten dort, wo ohnehin viel steht. Ein Teufelskreis, "denn das gibt halt auch das Gefühl, dass das die Art und Weise ist, wie man so etwas tun kann. Es passiert auch oft nicht tagsüber, sondern es passiert, wenn es dunkel ist", so der Stadtteil-Entwickler. Heimlich entsorgen nach der Devise: Es wird schon jemand anderes für mich wegmachen.
Ist die Müllabfuhr also der Butler für Umweltkriminelle? Genau diesen Eindruck möchte die BSR vermeiden. Auf Anfrage des rbb betont die Stadtreinigung, dass es neben einem guten Entsorgungsangebot auch harte Konsequenzen für Verursacher braucht. "Nur so lässt sich verhindern, dass unsere Stadt (...) immer wieder als illegaler Müllabladeplatz missbraucht wird. Unverbesserliche Vermüller:innen erreicht man oft nur über ihren Geldbeutel", lässt die BSR wissen.
Bußgelder sind bisher nur Papiertiger
Dabei sind Mülldelikte jetzt schon teuer, zumindest in der Theorie: Bis zu 500 Euro Bußgeld für das Abladen kleiner Gegenstände wie einem Koffer oder Bürostuhl. Eine Matratze kostet schon bis 1.000 Euro. Und bis zu 10.000 Euro Bußgeld können verhängt werden, wenn der Müll mehr als einen Kubikmeter umfasst oder wenn Schadstoffe illegal entsorgt werden, zum Beispiel ein Fernseher.
Hohe Bußgelder auf dem Papier - die Realität ist allerdings ernüchternd. In Friedrichshain-Kreuzberg beispielsweise wurden 2021 nur 567 Euro Bußgelder für illegale Müllentsorgung verhängt, 2022 waren es 635 Euro.
Die Bilanz bei der Müllverfolgung ist miserabel: Nur selten gelingt es, Täter auf frischer Tat zu erwischen oder Verursacher zu ermitteln. Warum ist das so? Sarah Nagel (Die Linke), Leiterin des Ordnungsamts Neukölln, erkennt einen ganz klaren Grund: "Wir haben für den ganzen Bezirk rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Allgemeinen Ordnungsdienst. Das sind die Kollegen, die mit Uniform unterwegs sind. Und da können Sie sich ja ausrechnen, (…) wie häufig das einfach nicht mehr nachvollziehbar ist, wenn irgendjemand sein Sofa vor die Tür stellt". Ähnlich sieht es in den anderen Bezirken aus.
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint
Dazu kommt ein weiterer, nur vermeintlich nachhaltiger Trend: Was gefühlt zu schade zum Wegschmeißen ist, landet am Straßenrand oder in "Zu verschenken"-Kisten.
Das zieht wiederum neuen Müll an. Spätestens nach dem nächsten Regen ist die gut gemeinte "Zu verschenken"-Kiste eine Abfallbox. Auch die Bezirke sehen diese Entwicklung kritisch: Es handele sich rein rechtlich um illegale Müllentsorgung und damit um eine "vorsätzlich begangene ahndungswürdige Ordnungswidrigkeit", so das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg gegenüber dem rbb.
Senat bringt Gesetzesänderung auf den Weg
Eine bessere Alternative für noch intakte Dinge sind zum Beispiel "Freeboxen", wie es eine im Kollwitzkiez gibt: Kostenlos und rund um die Uhr geöffnet, können in dem Holzverschlag Dinge abgelegt und ausgesucht werden. Das Angebot wird rege genutzt und stellt eine sinnvolle Alternative für kleine Gegenstände dar. Doch auch die Freeboxen sind keine Lösung für das Sperrmüllproblem auf der Straße.
Der Berliner Senat hat jetzt eine umfangreiche Gesetzesänderung auf den Weg gebracht. Denn bisher sind je nach Müllart die Zuständigkeiten verschieden: Für Sperrmüll auf der Straße sind Ordnungsamt und BSR zuständig. Für Bauabfall in Parkanlagen, das Grünflächenamt und private Entsorgungsunternehmen. Zukünftig soll sich die BSR um alles kümmern und regelmäßig Müllschwerpunkte anfahren.
Wilden Müll per App melden
Schon jetzt kann jeder Berliner die Stadt im Kampf gegen den wilden Sperrmüll unterstützen. Die Berliner Ordnungsämter haben die App Ordnungsamt-Online [berlin.de], um auch Verschmutzung gezielt zu melden. Mit Foto und Standort kann die Behörde direkt reagieren. In Pankow gab es in den letzten Jahren jeweils über 10.000 Meldungen im Zusammenhang mit Müll.
Für alle, die mit ihrer Müllentsorgung eben nicht der Allgemeinheit auf der Tasche liegen wollen, gibt es seit einem halben Jahr eine neue Möglichkeit: Die Tiptapp-App [bsr.de]. Einfach den eigenen Sperrmüll fotografieren und einen Preis fürs Wegbringen festlegen. Dann meldet sich ein privater Abholer und entsorgt den Krempel. Und damit der ganze Müll nicht doch wieder auf der Straße landet, muss der Abholer per Fotobeweis die Entsorgung auf dem Recyclinghof dokumentieren – sonst gibt es kein Geld.
Sendung: Super.Markt, 6.2.2023, 20:15 Uhr