Berlin und Brandenburg - Empörung über Vertreibungspläne von AfD und Rechtsextremisten
Ein Treffen von Rechtsextremen und AfD-Politikern, bei dem Pläne zur Ausweisung von Millionen von Menschen geschmiedet worden sein sollen, hat massive Kritik ausgelöst. Ein Politikforscher warnt vor Gefahren für die Demokratie.
- Brandenburger AfD-Politiker Krause bestätigt Teilnahme an Treffen mit Identitären
- Rechtsextremismusforscher: Identitäre Bewegung in AfD aufgegangen
- Brandenburger Linke fordert AfD-Parteiverbot
- Potsdamer Oberbürgermeister Schubert: Potsdam kein Ort konspirativer Netzwerktreffen
Nach Bekanntwerden eines Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremen in Potsdam haben Politiker und Gesellschaftsträger aus Berlin und Brandenburg scharfe Kritik und Sorge geäußert.
Das Recherchenetzwerk "Correctiv" hatte am Mittwoch Ergebnisse einer Recherche über ein Treffen von hochrangigen AfD-Politikern, unter anderem aus Brandenburg, Neonazis und spendenwilligen Unternehmern Ende November veröffentlicht. Dem Bericht zufolge wurde dort ein Plan zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland vorgestellt und von den Teilnehmern unterstützt. Danach sollen nach dem Willen der Rechtsradikalen nicht nur Menschen ohne deutschen Pass das Land verlassen müssen, sondern auch deutsche Staatsbürger mit internationalen Wurzeln, die ihnen nicht passen.
Der Potsdamer Rechtsextremismus-Forscher Gideon Botsch bezeichnete das Treffen am Donnerstag als "gefährlich für die Demokratie". Die durch "Correctiv" bekanntgewordene Zusammenkunft im November vergangenen Jahres berühre die "Grundprinzipien unserer Verfassung", sagte er im rbb24 Inforadio. Botsch leitet die Emil-Julius-Gumbel-Forschungsstelle für Antisemitismus und Rechtsextremismus (EJGF) am Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam.
Der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) kündigte an, das Treffen zusammen mit dem Verfassungsschutz in der nächsten Hauptausschuss-Sitzung thematisieren zu wollen. Auch strafrechtliche Schritte seien denkbar. Schubert betonte, Potsdam sei kein Ort für konspirative Netzwerktreffen, in denen rassistisches Gedankengut geteilt werden könne. Auch das Bündnis "Potsdam bekennt Farbe" zeigte sich empört und mahnte Engagement gegen Rechtextremismus an.
Die Linke im Brandenburger Landtag forderte ein schnelles Verbot der AfD. Linken-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige sagte dem rbb am Mittwoch, es sei um einen Plan gegangen Millionen Menschen systematisch aus Deutschland zu vertreiben. Es handele sich um eine rein völkische Ideologie. Es gehe darum, dass Menschen nach rassistischen Kriterien aussortiert werden sollen. "Wenn da eine AfD mitmacht, dann zeigt das, wo sie mit diesem Land hin will. Und dann zeigt das, dass sie systematisch die Grundlagen unseres Zusammenlebens in Frage stellt. Das ist eine Grenzüberschreitung, die muss auch Folgen haben."
Benjamin Raschke, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Brandenburg, teilte schriftlich mit: "Wir verurteilen die rassistischen und menschenverachtenden 'Geheimpläne', die Rechtsextreme in direkter Nachbarschaft zu unserem Landtag und damit dem Herz der Demokratie gefasst haben, aufs Schärfste. Spätestens jetzt kann niemand mehr die Augen davor verschließen, wofür die AfD steht: für Hass, Ausgrenzung, eine Spaltung unserer Gesellschaft, das Ende unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung." Die Grünen würden die Vorgänge im Landtag zur Sprache bringen.
Nach Einschätzungen des Rechtsextremismusforschers Botsch liefert das jüngste Treffen mit AfD-Vertretern weitere Argumente für ein Verbotsverfahren gegen die Partei. Dabei seien Punkte berührt, die im NPD-Verbotsverfahren aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts die Hauptmerkmale für die Verfassungswidrigkeit waren. Der Unterschied zum damaligen Verfahren gegen die NPD bestehe darin, das "wir jetzt eine Partei haben, die in der Lage ist, an diesen Zielen wirkungsvoll zu arbeiten", sagte Botsch.
Rechtfertigungen aus der AfD
Der stellvertretende Potsdamer AfD-Kreisvorsitzende Tim Krause bestätigte dem rbb, dass er bei dem Treffen dabei war. Er betonte, die Teilnehme sei privat gewesen. Bei einem Vortrag von Martin Sellner, einem führenden Mitglied der rechtsextremen identitären Bewegung, sei er jedoch nicht anwesend gewesen. Er würde jedoch grundsätzlich mit jedem das Gespräch suchen, so Krause.
Der Fraktionschef der AfD im Brandenburger Landtag, Hans-Christoph Berndt, betonte gegenüber dem rbb, dass es legitim und wünschenswert sei, Lösungen für das Problem der illegalen Migration zu finden. Sowohl Krause als auch Berndt wollten in den rbb-Interviews aber nicht näher darauf eingehen, dass die von Rechtsextremisten Martin Sellner vorgestellten Geheimpläne auch vorsahen, deutsche Staatsbürger auszuweisen. Es habe sich um ein Oppositionellentreffen auf dem "Grund der freiheitlich demokratischen Grundordnung" gehandelt, sagte Krause nur.
Forscher: Identitäre Bewegung in AfD aufgegangen
Den Rechercheergebnissen von "Correctiv" zufolge war der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner Taktgeber des Treffens. Dort stellte er den anderen Teilnehmern Pläne einer von einer sogenannten "Remigration" vor.
Aus Sicht Botschs ist die rechtsextreme Identitäre Bewegung weitgehend in der AfD aufgegangen. Seit dem Aufstieg der AfD in den Parlamenten in den Jahren 2018/19 spiele die Identitäre Bewegung in Deutschland keine Rolle mehr. Dieses Label sei vielmehr in das Umfeld der AfD überführt worden.
"Wenn wir gucken, was identitäre Aktivisten heute tun und wo das identitäre Gedankengut sich heute findet, dann müssen wir in die Flure der Parlamente gucken, in die Flure der AfD-Fraktion", sagte Botsch. Dort säßen die Anhänger dieser Bewegung in den Mitarbeiterbüros der AfD-Abgeordneten. Auch bei der Parteijugend Junge Alternative seien Sprache und Aktionsformen der Identitären sehr präsent.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reagierte auf Berichte über ein Treffen rechter Politiker und Aktivisten in Potsdam mit einem Appell: "Wir lassen nicht zu, dass jemand das 'Wir' in unserem Land danach unterscheidet, ob jemand eine Einwanderungsgeschichte hat oder nicht", erklärte Scholz am Donnerstag auf der Internetplattform X, vormals Twitter. "Wir schützen alle - unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder wie unbequem jemand für Fanatiker mit Assimilationsfantasien ist", ergänzte er.
Vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB) hieß es, die Enthüllungen seien keine Überraschung. "Denn die AfD versucht ja, sich europaweit zu organisieren", sagt TBB-Gründer Safter Cinar. Die Angst bei Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland steige stark. "Die Menschen sind ohnehin verunsichert, weil der Rassismus immer mehr in die Mitte rückt." Dennoch hält Cinar ein Verbot der Partei nicht für den richtigen Weg: "Wenn die Partei verboten wird, wird eine Partei B gegründet."
Er plädiert für eine gerechtere Wohnungs-, Bildungs- und Sozialpolitik, damit die Wählerinnen und Wähler wieder zu demokratischen Parteien zurückfinden. "Ich denke, das hat auch was mit der sozialen Schieflage in unserem Land zu tun."
Dass Wirtschaftsvertreter sich mit Rechtsextremen und Vertretern von identitären Gruppen treffen sei "brandgefährlich", sagte Katja Karger, Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg, dem rbb. "Wir Gewerkschaften stellen uns da sehr deutlich dagegen. Wir sind in unseren Betrieben, in unseren Gewerkschaften für ein tolerantes, ein weltoffenes Land." Dies gelte unabhängig von Fragen nach Religion oder Herkunft, sagte sie.
Sie erwarte, dass Wirtschaftsvertretungen und Arbeitgeberverbände bei demokratie- oder verfassungsfeindlichen Aktivitäten genau hinschauen und dagegen vorzugehen, etwa durch Ausschlussverfahren. "Da wünsche ich mir sehr klare Konsequenzen und ich glaube, davon haben auch die Arbeitgeberverbände eine ganze Reihe an Möglichkeiten", sagte Karger.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.02.2024, 07:25 Uhr
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