Kanzlergespräch in Brandenburg an der Havel - "Nee, Freundchen, keine Arbeit ist auch keine gute Idee!"
Bürgernähe und offene Kommunikation gelten nicht als Stärken von Bundeskanzler Olaf Scholz. Wohl auch deshalb sind die Kanzlergespräche von großem Interesse. Emotional wurde es in Brandenburg an der Havel allerdings nur an wenigen Stellen. Von Hanno Christ
- 160 Bürgerinnen und Bürger im Gespräch mit dem Bundeskanzler
- Scholz kündigt Maßnahmen zur Senkung von Strompreisen in Brandenburg an
- Proteste verlaufen friedlich
Die Erwartungen an ein Gespräch mit dem Regierungschef sind hoch, die Wege, die Teilnehmer dafür in Kauf nehmen, teils beeindruckend. Der Jeside Delshad Ido etwa wohnt eigentlich in Baden-Württemberg, arbeitet dort unter anderem als Baumaschinenmechatroniker und hat sich acht Stunden mit dem Auto auf den Weg an die Havel gemacht, um den Kanzler einmal direkt zu sprechen.
Vor zwei Jahren wurde Ido eingebürgert, engagiert sich aber weiter für die Jesiden und ärgert sich, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Jesiden wieder in den Irak abschieben lässt. Etliche Kontaktversuche mit dem Kanzler seien bislang gescheitert, jetzt klappe es vielleicht in Brandenburg.
Mit derlei Anliegen ist Ido nicht alleine an diesem Montagabend im Brandenburger Stahlpalast. Andere sorgen sich hier um die schmale Rente, ärgern sich über das Bürgergeld, aber auch über Waffenlieferungen an Israel, während dort Menschen im Gaza-Streifen dem Hungertod ausgesetzt seien.
Frank Mappes, Angestellter bei ZF Getriebe in Brandenburg an der Havel, fürchtet den Job-Kahlschlag in der Autobranche durch den Umstieg auf E-Mobilität. Ihm fehle es an Wertschätzung für seine Arbeit. Er wünsche sich, "dass der Kanzler mal einen Tag mit einem Bürger tauscht und dessen Nöte und Ängste richtig real kennen lernt". Die Bandbreite an Themen, der sich der Kanzler stellen muss, ist groß. Und es scheint überwiegend Unzufriedenheit zu sein, die die Menschen in den Stahlpalast treibt.
Talk unter Protesten
Es ist das 13. sogenannte Kanzlergespräch, in denen Scholz in den direkten Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern geht. Die rund 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden diesmal vorab von der Märkischen Allgemeinen Zeitung gelost, Fragen können während der Veranstaltung ohne Vorabsprachen gestellt werden. Die Sicherheitskontrollen sind streng. Alle Besucher werden durch einen Scanner geschleust.
Draußen demonstrieren rund 100 Menschen, darunter viele Anhänger der AfD gegen die Politik der Bundesregierung. Angemeldet hatte die Kundgebung die AfD, mit dabei ist auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Steffen Kotré und die Landtagsabgeordnete Daniela von Oeynhausen. Doch die Trillerpfeifen und die laustarke Hupe eines Treckers dringen nicht bis ins Innere des Stahlpalastes. Scholz kommt durch einen Seiteneingang und erspart sich das AfD-Protestspalier.
Scholz verteidigt Schuldenbremse
Im Saal steht der Kanzler in der Mitte mehrerer Stuhlreihen, die wie ein großes Auge um eine Art Redepult angeordnet sind, an dem Scholz aber nie stehen bleiben wird. Fragen kommen von allen Seiten. Ein Student etwa fragt, ob die Schuldenbremse nicht absurd sei, wenn sich die Studenten für ihre Ausbildung verschulden müssten. Scholz verteidigt, dass es eine Bremse gibt, lässt aber offen, wie eine Neugestaltung aussieht. Man fände immer etwas, wofür man viel Geld ausgeben kann. Man müsse immer wieder neu schauen, "ob wir das perfekteste System der Welt haben."
"Locker bleiben" würde Miteinander "erheblich verbessern"
Scholz verteidigt auf Nachfragen, warum es nicht mehr direkte Demokratie gäbe, die Vorzüge der repräsentativen Demokratie. "Das (direkte Demokratie; Anm. d. Red.) kann dazu führen, dass eine aufgeregte Debatte, nur noch aufgeregter wird. Ich finde Wahlen alle vier Jahre gar nicht so schlecht", so Scholz. Überhaupt würde er es angesichts der teils hitzigen Stimmung im Land begrüßen, wenn wir "locker bleiben". Das würde unser Miteinander "erheblich verbessern".
Viele Fragen drehen sich um ein aus der Balance geratenes Gerechtigkeitsempfinden. Warum werde so viel Entwicklungshilfe gezahlt, aber man habe Schwierigkeiten als Alleinerziehende über die Runden zu kommen? Warum sind Beamte privilegierter als normale Angestellte? Wie soll es mehr bezahlbaren Wohnraum geben? Wie es sein könne, dass Regionen mit vielen Windrädern so hohe Strompreise zahlen müssten, wird Scholz gefragt. Der verspricht darauf eine baldige Neuregelung der Netzentgelte "in Ihrem Sinne".
Zuspruch für Haltung in der Taurus-Frage
Immer wieder beklagen Teilnehmer, Migranten und Flüchtlinge würden ungerecht behandelt, der Kanzler bediene sich der Rhetorik der AfD, wenn er davon spreche „in großem Stile“ abschieben zu wollen. Scholz verteidigt seine Äußerungen und pocht darauf, dass der Staat immer noch entscheiden müsse, wer bleiben kann und wer gehen muss. Das gelte auch für die Jesiden, deren Heimat heute ohne Islamischen Staat sicherer sei als noch vor Jahren.
Scholz hat auf fast alle Fragen Antworten - oder er weicht aus. Als er etwa gefragt wird, ob die Bundesregierung einen Plan habe, sollte Donald Trump als US-Präsident wiedergewählt werden, sagt Scholz diplomatisch, man solle nicht glauben, dass alles schon gelaufen ist. Joe Biden sollte nicht unterschätzt werden. Aber natürlich mache man sich Gedanken. Es gäbe Vorbereitungen. "Den Rest möchte ich nicht öffentlich teilen," so Scholz.
Scholz bekommt auch Zuspruch an diesem Abend. Dafür, dass er keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine abgebe, dass er trotz der hitzigen Debatten und nach langen Arbeitstagen noch so ruhig Bürgern Rede und Antwort stehen kann. Es gibt keine Buhrufe, immer wieder Applaus, manchmal wird sogar gelacht. Einzig ein Zuhörer wird lautstark schimpfend aus dem Saal begleitet. Er beschuldigt Scholz, mit dem Recherchenetzwerk "Correctiv" unter einer Decke zu stecken. Für so viel schlechte Stimmung und miserable Umfragewerte seiner Regierung ein ordentlicher Verlauf des Abends für Scholz.
Kritik am Bürgergeld
Es ist ein Abend, dem der Kanzler seinen Stempel aufdrückt, der in seiner Aufmachung Nähe verspricht, aber sie nie wirklich einlöst. Scholz redet nicht laut, immer nett, aber nahezu monoton, spricht viel von Gesetzen, die man gemacht habe oder machen werde. Er überversachlicht hochemotionale Themen. Das ist zuweilen wohltuend unaufgeregt, in anderen Momenten aber perlen damit Sorgen und Nöte von Teilnehmern ab, die sichtlich aufgewühlt von ihren Problemen berichten.
Ganz am Ende der mehr als 90-minütigen Veranstaltung wird es dann doch noch einmal emotional als Teilnehmer Scholz nach seiner Einschätzung zum Bürgergeld fragen. "Bravo"-Rufe schallen durch die Halle. Scholz verteidigt das Projekt seiner Regierung, sagt aber auch: "Es ist ganz wichtig, dass wir was dagegen tun, dass sich Leute durchschlawinern". Und wer lieber Bürgergeld beziehe als arbeiten gehe, dem entgegne er: "Nee, Freundchen, keine Arbeit ist auch keine gute Idee".
Teilnehmer: Scholz redet "um den heißen Brei"
Teilnehmer wie die Schüler Annlua Devi Inti Milde und Finn Yannis Buder fremdeln am Ende mit dem Auftritt von Scholz. Im Interview mit rbb|24 sagen die beiden 17-Jährigen aus Brandenburg an der Havel zwar, dass es positiv ist, dass es solche Formate gäbe. Milde aber meint, sie habe ein "verwirtschaftlichen von Problemen" beobachtet. "Ich hatte den Eindruck, dass um den heißen Brei herumgeredet wurde, dass die Sorgen der Menschen abgetan wurden", sagt Buder.
Scholz habe eine sehr technokratische Sichtweise. Vielleicht ist es auch eine Enttäuschung darüber, dass einfache Antworten auf die vielen Krisen dieser Welt schwerer denn je zu bekommen sind. So wirken auch am Ende des Abends die Fotos eigentümlich steril, die jeder Bürger und jede Bürgerin mit dem Kanzler machen kann. Olaf Scholz steht dabei fast wie eine Pappfigur neben den Menschen, nah und doch distanziert. Daran haben auch 90 Minuten Kanzlergespräch in Brandenburg an der Havel offenbar nichts geändert.
Sendung: Antenne Brandenburg, 26.03.2024, 8:00 Uhr