Gewerkschaft Verdi vs. Senat - Worum es beim Berliner Kita-Streik geht

Do 04.07.24 | 06:02 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Ein Spielzeug steht im Familienzentrum "Menschenskinder" im Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg in einem Holzregal (Quelle: dpa/Sebastian Gollnow).
Audio: rbb24 Inforadio | 04.07.2024 | Kirsten Buschmann | Bild: dpa/Sebastian Gollnow

Am heutigen Donnerstag wird in Berliner Kitas erneut gestreikt, und nächste Woche droht sogar komplett der Wegfall der Kita-Betreuung für 30.000 Kinder. Die Verhandlungen mit dem Senat sind festgefahren. Sebastian Schöbel erklärt die Hintergründe.

  • Gewerkschaften drohen mit erneutem Streik in Berliner Kitas und Hort-Einrichtungen in der kommenden Woche
  • Forderung nach Entlastungstarifvertrag, der mehr Freizeit oder Geld bei hoher Belastung sicherstellt
  • Berliner Senat lehnt Verhandlungen mit Verweis auf Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TDL) ab
  • Prognose für die kommenden Jahre sagt großen Mangel an pädagogischem Personal voraus

Wie festgefahren und unversöhnlich die Debatte um Entlastung der landeseigenen Kitaerzieher:innen ist, zeigte sich zuletzt im Berliner Abgeordnetenhaus. Da bezeichnete der sichtlich genervte Finanzsenator Stefan Evers (CDU) den Arbeitskampf der Gewerkschaften Verdi und GEW als "Sinnlosstreiks", weil die Forderungen für Berlin unerfüllbar seien, während draußen vor dem Parlamentsgebäude zum wiederholten Mal Erzieherinnen und Erzieher hinter Absperrgittern lautstark demonstrierten.

Hintergrund ist die Personalsituation in den 280 landeseigenen Kitabetrieben: Die Beschäftigten klagen seit Jahren über die enorme Belastung und Einschränkungen bei der pädagogischen Arbeit. Die zuständige Verdi-Gewerkschaftssekretärin Tina Böhmer spricht von einer "massiven Krise" und "prekären" Zuständen. Der Krankenstand sei hoch, immer wieder würden Erzieher:innen den Job verlassen oder Auszubildende frühzeitig abbrechen. Nach mehreren Warnstreiks in den vergangenen Monaten soll nun in der gesamten kommenden Woche gestreikt werden. Betroffen wären mehr als 30.000 Kinder und ihre Eltern.

Gewerkschaften wollen Entlastung

Konkret fordern die Gewerkschaften nicht mehr Geld, sondern einen Entlastungstarifvertrag [PDF: verdi.de]. Der soll vor allem einen Mindestpersonalschlüssel für die Kitas festlegen und Regeln für den Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden aufstellen. Zudem solle die Ausbildung verbessert werden. Für pädagogische Arbeit soll es mehr Zeit geben, damit die Betreuungsqualität steigt oder zumindest gehalten werden kann. Kernpunkt der Forderungen: Werden die Vorgaben nicht eingehalten, soll es einen Belastungsausgleich für die Erzieher:innen geben, in Form von zusätzlichen freien Tagen oder Geld.

Ähnliche Forderungen, vor allem bei der personellen Entlastung, stellen die Gewerkschaften auch für die Schulen auf: Hier gab es in den vergangenen drei Jahren bereits fast ein Dutzend Warnstreiks mit bis zu 20 Streiktagen.

Senat verweist auf die Tarifgemeinschaft

Die Antwort des Senats in beiden Fällen, Kitas genauso wie Schulen, ist stets die gleiche: Nein. Denn Berlin ist Mitglied in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TDL), wie der zuständige Finanzsenator Evers nicht müde wird zu betonen. "Wir haben das in der Tarifgemeinschaft verschiedentlich vorgetragen, mehrere Male", so der CDU-Politiker. "Es wurde regelmäßig von der Mitgliederversammlung abgelehnt, dass hier die Tariflandschaft zersplittert, dass hier einzelne Länder Sonderwege gehen."

Ein solcher Sonderwege würde nämlich riskieren, dass Berlin aus der TDL ausgeschlossen wird - mit dem Ergebnis, dass künftig "nach Haushaltslage" bezahlt werde, so Evers. Angesichts massiver Einsparungen, die gerade in Berlin vorgenommen werden, kann das auch als Drohung verstanden werden.

Zudem habe die TDL den Erzieher:innen durchaus genützt: Der letzte Tarifabschluss sei für die Beschäftigten ausgesprochen gut gelaufen, so Evers. "Wir reden ja nicht nur von einer prozentualen Steigerung von 5,5 Prozent ab dem kommenden Jahr, wir reden ja auch von einem Sockelbetrag von 200 Euro, der noch in diesem Jahr greift." Dadurch würden die Gehälter der Erzieher:innen auch in Berlin um mehrere Hundert Euro pro Monat steigen.

Zudem stelle die TDL sicher, dass überall das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt", so Evers weiter. Das heißt übrigens auch: Der Wettstreit zwischen den Bundesländern um die begehrten Kita-Fachkräfte wird nicht auch noch über unterschiedliche Bezahlung geführt, was vor allem finanziell klamme Länder wie Berlin vor noch größere Probleme stellen würde.

Bedarf in allen Bereichen steigt

Denn am Kernproblem Personalmangel lässt sich weder kurz- noch mittelfristig viel ändern: Es gibt einfach nicht genug Erzieherinnen und Erzieher. Der aktuelle Kindertagesstätten-Entwicklungsplan prognostiziert, dass im Jahr 2027 genau 31.625 Erzieher:innen benötigt werden, rund 2.500 mehr als in diesem Jahr.

Ein großes Problem sei die hohe Fluktuation, heißt es im Bericht der Bildungsverwaltung. Sie liegt aktuell bei zehn Prozent, weil viele Beschäftigte in Rente gehen oder den Beruf an den Nagel hängen. Allein in diesem Jahr verliert Berlin auf diesem Weg mehr als 2.600 Erzieher:innen. Dazu kommen fast 1.500 Fachkräfte, die zumindest zeitweise ausfallen. Von Fachschulen kommen jedoch nur 1.600 neue Erzieher:innen. Die Lücke müssen extern angeworbene Fachkräfte und vor allem Quereinsteigende füllen.

Gleichzeitig steigt in Berlin die Nachfrage nach Kita-Plätzen weiter an, die Betreuungsquote in allen Altersgruppen unter sieben Jahren wird immer größer. Bis 2027, so die Prognose, besuchen von den Drei- bis Sechsjährigen 96,4 Prozent eine Kita. Zudem werden bis 2027 laut Prognose weitere 2.887 Kitaplätze in Berlin gebraucht. Auch die Ansprüche an die Kitabetreuung werden immer größer: von Sprachförderung bis zu sonderpädagogischen Angebote.

Wird die Beitragsfreiheit abgeschafft?

Um kurzfristig mehr Geld ins System zu bringen, damit mehr Personal eingestellt werden kann, diskutiert die Politik längst über eine Maßnahme, die auf wenig Gegenliebe stoßen dürften: die Abschaffung der Beitragsfreiheit. In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich CDU und SPD zwar noch dazu bekannt, allerdings vor allem auf Druck der Sozialdemokraten.

Die aber haben inzwischen eine neue Parteispitze: Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini. Beide forderten im parteiinternen Machtkampf das "Ende der Umsonst-Stadt", und meinten damit auch die Beitragsfreiheit der Kitas. Eltern, die es sich leisten könnten, sollten an den Kosten der Betreuung beteiligt werden, so das Argument.

Ähnliche Diskussionen gibt es längst auch über die kostenlose Hortbetreuung, das beitragsfreie Schulessen oder das kostenlose Schülerticket für den ÖPNV. Ob deren Abschaffung jedoch mehr Geld für Kita- und Schulpersonal schafft, steht auf einem anderen Blatt.

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.07.2024, 6:20 Uhr

 

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Beitrag von Sebastian Schöbel

25 Kommentare

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  1. 25.

    Genau, das wäre doch eine großartige Idee. Ich habe 49 Jahre im Erzieherdienst gearbeitet, seit 2019 bin ich in Rente. Es hat mir immer großen Spaß gemacht mit den Kindern zu arbeiten, bis zum Schluss. Auch jetzt gehe ich noch sehr gern in meine Kita und helfe bei Ausflügen und Kitafesten. Es sind die vielen schriftlichen Zusatzarbeiten , die zermürben und immer mehr Zeit rauben. Die meisten Dokumentationen las sich kein Mensch durch und landeten am Ende im Schredder.

  2. 24.

    Ich hätte es auch andersrum formulieren können, in diesem Land geht es nur noch um Machterhalt und Machtspiele.

  3. 22.

    >"Je besser die Wurzeln, desto besser der Start in ein immer härter werdendes Leben!"
    Oder anders: Je verwöhnter und entwöhnter vom Sozialumgang mit anderen Kindern, je besser vorbereitet auf ein hartes Leben in eienr Gesellschaft voller unterschiedlicher Menschen? Eigentlich ja nicht oder? Kinder müssen unter Menschen! Günstigerweise natürlich mit den Eltern zusammen.
    Vollzeit-Krippe gibts doch eigentlich nicht. Die allermeisten Kleinkinder sind max 6 Stunden dort, die meisten davon nur bis zu 4 Stunden. Da bleibt dann noch reichlich Zeit bis 24 Stunden, mit den Kindern allein zu Hause rumzuhätscheln und zu verwöhnen.

  4. 21.

    Viele junge Eltern wollen ihre Kinder nach dem 1. Lebensjahr nicht Vollzeit- fremdbetreuen lassen.
    Müssen viele aber, denn nach dem 1. Lebensjahr gibt es kein Geld mehr--0 Euro für Eltern, die wegen der Eigenerziehung ihrer Kinder zu Hause bleiben wollen. Sie sind nicht faul, weigern sich nicht, arbeiten zu gehen--sie lieben ihre Kinder und wollen für das "Wurzel-Bilden" ihrer Kinder selbst verantwortlich sein-(so wie viele Bürgergeldempfänger mit Kindern evtl. auch!?) .Vielleicht feht auch das Vertrauen, dass in Baby-Krippen diese Wurzeln gelegt werden können.

    Je besser die Wurzeln, desto besser der Start in ein immer härter werdendes Leben!

    TIPP: 1. Jahr Elterngeld--2.und 3. Lebensjahr 550 Euro monatlich. Ähnliche Höhe wie das Bürgergeld--nur ohne Miete und Heizung..freien Eintritt in den Zoo, Tafel... ...... Das entlastet die Kitas und ermöglicht es Eltern, ihre Kinder so betreuen zu können, wie gewünscht.

  5. 19.

    Ach da gibts noch weitere Auffälligkeiten der kleine Prinzessinen und Prinzen heutzutage in den Kitas. Die 3 Kita-Erzieherinnen in meinem Bakanntenkreis sagen immer: Schlimm sind nicht die Kinder, sondern die Eltern! Das was zu Hause nicht vermittelt wird, soll in der Kita aufgeholt werden. Wenn ein Kind mit 5 Jahren noch nicht mit Löffel und Gabel essen kann, ist die Kita nicht Schuld. Kita-Betreuer sind heute auch Familienberater im Umgang mit Kindern.
    Es bleibt nur: Mehr Leute in den Kitas braucht auch mehr Geld. Und die Ansprüche der Eltern steigen ja auch.

  6. 18.

    Aus unserer eigenen Erfahrung basierend auf Gesprächen in unserer Kita ist das von Ihnen geschilderte Wunschbild mit dem Personalschlüssel von heute nicht mehr umsetzbar. Hierzu fehlen vielen Kindern heutzutage einfach Grundfertigkeiten (Wie laufe ich weiter als bis zum Auto auf dem Parkplatz? Wie steige ich in in Bus und Bahn ein und bleibe mal in einer Gruppe? Wie beschäftige ich mich mal konzentriert alleine?). Das ist dann zuerst zu vermitteln und dafür braucht es mehr Personal. Wir sehen nur, dass Kinder mit vorhandenen Grundfertigkeiten einfach nicht mehr gefördert werden, eher untergehen, da sowas wie Ausflüge einfach nicht mehr stattfindet.

  7. 17.

    Ich schließe mich Ihrem Kommentar an und möchte hinzufügen, dass Tagesmütter eine gute "Alternative" zu Kita's sein können, allerdings oft mit begrenzteren Betreuungszeiten.

  8. 16.

    Schaut man sich die Personalbemessung bundesweit an, liegt Berlin bei den 0 - 3 jährigen am schlechten Ende, bei 3 - 6 Jahren im Mittelfeld. So von wegen ... Gleichheit zwischen den Ländern oder überproprotionale Belastung.

    Quelle: Monitoringbericht zum KiQuTG 2022

  9. 15.

    Die Ansprüche sind viel zu hoch. Weder umsetzbar, noch finanzierbar!! Kitagebühren 500€ und das Thema erledigt sich von selbst. Aber das will Saleh nicht.

  10. 14.

    So ist es leider in diesem Land. Richtig zusammengefasst.

  11. 13.

    Keine starköpfige Politik! Gewerkschaften GEW und ver.di die von der Partei Die Linken gesteuert und bestimmt werden, siehe GEW Vorsitzende. Es geht gegen das System und da wird eben deutsches Recht bekämpft.
    Woher sollen eigentlich die mehr Erzieher kommen und woher die mehr Gebäude.

  12. 12.

    Genau, mit 5000, - € Brutto kannst du dir alles leisten: außer Kindergeld bekommst du nichts (und das ist auch nur ein umgelegter Steuerfreibetrag) - und ansonsten zahlst du schön in alle Sozialsysteme ein, Gez, Kindergarten, Steuern an jeder Ecke, und hast am Ende genauso viel Geld zum Leben, wie die, die sich noch mal umdrehen während du zur Arbeit eilts!

  13. 11.

    Weil Herr Saleh das nicht so wollte/will. Und Sie Angst haben, dass sich Privatkitas gründen und die Besserverdiener ihre Kinder woanders hin bringen.

  14. 10.

    Wo die Kitaerzieher*innen waren als die Bauern etc. gestreikt haben?! Ich tippe mal auf die Kita?! Was hat das eine mit dem anderen zu tun?!

  15. 9.

    Man merkt, dass du von der Materie überhaupt keine Ahnung hast. Verdi und vor allem die GEW bemängeln seit Jahren, dass der Senat beim Thema Personal nicht nachsteuert. Wer sich nicht um mehr Personal bemüht, ist einzig der Berliner Senat. Durch bessere Rahmenbedingungen, auch hier liegst du wieder vollkommen daneben, erreicht man durchaus eine höhere Attraktivität für bestimmte Berufszweige. Verbessert man also nicht die Rahmenbedingungen, bedeutet dies automatisch weniger Personal. Als Erzieher in einer Grundschule und mit einem Kitakind zu Hause, kann ich mir ein ganz gutes Bild der Situation machen. Die Leute wechseln inzwischen oft nach nur wenigen Jahren im Job in komplett andere Berufszweige, weil der Job physisch und psychisch krank macht. Die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen z.B., wie burn out, ist im Erziehzungsdienst um ein vielfaches höher, als in allen anderen Berufsgruppen. Sprich, was du hier treibst istne Meinung abgeben, ohne Ahnung vom Geschehen zu haben

  16. 8.

    Vielleicht ist ja auch das Problem, dass bereits die Kita mit zu viel Erwartungen überfrachtet wird (auch durch bestimmte Eltern) und dadurch die Erzieher zusätzlich belastet werden. Zu meiner Zeit ging es vor allem um liebevolle Erzieherinnen, die mit uns gebastelt haben und ganz viel Spiel mit anderen Kindern. Dann und wann ein Ausflug. Fertig. Können wir nicht dahin zurückfinden? Ist bestimmt für beide Seiten besser, Kind und Erzieher.

  17. 7.

    Ich verstehe auch nicht, wieso Beiträge für Kita und Hort nicht längst ans Einkommen gekuppelt werden. Wenn ich 5000€ Brutto jeden Monat bekomme, kann ich mir ein Schulessen und einen Kitaplatz wahrscheinlich noch leisten...

  18. 6.

    Alles auf dem Rücken der berufstätigen und steuerzahlenden Eltern!
    Rücksichtslose Gewerkschaften, starköpfige Politik, aber zum Glück gibt es ja noch uns, die Großeltern! Macht nur weiter so, bis alle alles hinschmeissen, und dann??
    Für ALLES ist Geld und Verständnis da, nur nicht für die Kinder und damit die zukünftigen Steuerzahler.

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