Pläne für die Frauen-Abteilung - Hertha BSC steht vor Übernahme der Leistungs-Teams von Hertha 03 Zehlendorf
Als letzter Bundesliga-Klub hat Hertha BSC die Gründung einer Frauenfußball-Abteilung beschlossen. Schon in der nächsten Saison könnte sie in der Regionalliga antreten - dank einer Teil-Übernahme von Hertha 03 Zehlendorf. Von Lars Becker
Hertha BSC steht nach der auf der Mitgliederversammlung beschlossenen Gründung einer Frauenabteilung vor der Frage: Fängt das neue Frauen-Team in der kommenden Saison ganz unten in der Bezirksliga an - oder übernimmt Hertha das Spielrecht eines höherklassigen Vereins? Die wahrscheinliche Lösung nach Informationen des rbb: Eine Übernahme der Leistungs-Teams von Hertha 03 Zehlendorf. Ein gemeinsames Projekt der "großen" und der "kleinen" blau-weißen Hertha für die Weiterentwicklung des Frauen-Fußballs in Berlin. Eine Schlagzeile, ein Slogan, mit dem sich zukünftig prächtig spielen ließe - und ein Projekt, das dem Berliner Frauen-Fußball einen weiteren Schub geben könnte.
Endgültig beschlossen, betont Kay Bernstein, der Präsident von Hertha BSC, sei die Sache aber noch nicht, es seien viele Gespräche mit verschiedenen Klubs geführt worden: "Wir würden, wenn es denn feststeht, erst mit unseren Mitgliedern, unseren Fans sprechen, dann mit der Öffentlichkeit. Aber Stand jetzt ist noch nichts unterschrieben, noch nichts besiegelt." Bernstein hebt aber den "offenen, ehrlichen, sportlichen und sehr interessanten" Austausch mit Hertha 03 hervor, ein Miteinander, das nach seiner Erfahrung, so Bernstein, im Fußball nicht selbstverständlich sei.
"Wir sind zwar nur die kleine Hertha, aber wir haben auch unsere Ansprüche"
Hertha BSC verfolgt das Thema Frauen-Fußball mit großer Ernsthaftigkeit. Bernstein und Sportchef Fredi Bobic haben einen intensiven Prozess gestartet und alle möglichen Optionen abgewogen und geprüft. Während des anlaufenden Prozesses kam im September ein Anruf von Kamyar Niroumand, dem Präsidenten von Hertha 03: "Ich dachte, es ist eine logische Geschichte. Wir als Hertha Zehlendorf haben die Mädchen-Abteilung in den letzten Jahren unheimlich gut entwickelt. Aber um den nächsten Schritt zu machen für die Mädchen und für die Frauen, wäre die Unterstützung eines Profivereins ja sinnvoll."
Die miteinander entwickelte Idee: Hertha BSC übernimmt nicht die komplette Frauen-Abteilung von Hertha 03, sondern nur die drei Leistungs-Teams: die Regionalliga-Mannschaft, die U-17-Bundesliga-Juniorinnen und die U15. "Wir sind zwar nur die kleine Hertha", sagt Niroumand, "aber wir haben auch unsere Ansprüche. Da steckt auch unser Baby drin. Seit 2006 haben wir unsere Frauen- und Mädchenabteilung aufgebaut. Das ist ein gemeinsam entwickeltes Konzept."
Offene Fragen müssen mit Verbänden geklärt werden
Zu klären sind vor allem noch Verfahrensfragen mit drei Verbänden mit jeweils unterschiedlichen Regularien. Die Genehmigung der Spielrechtsübertragung für die Regionalliga von Hertha 03 auf Hertha BSC durch den Nordostdeutschen Fußballverband gilt als sicher. Im Falle eines eher unwahrscheinlichen, aber nicht ausgeschlossenen Abstiegs am Ende der laufenden Saison wäre die Zustimmung des Berliner Fußball Verbandes notwendig. Das gilt auch für das U-15-Team. Außerdem laufen Gespräche mit dem Deutschen Fußball Bund. Der DFB ist für den Spielbetrieb der U-17-Bundesliga-Juniorinnen von Hertha 03 zuständig. Die Abstimmung des Vereinswechsels mit den Verbandsstatuten ist der komplizierteste Faktor.
Vorfreude bei Zehlendorfs U-17
Bei den Spielerinnen des U-17-Bundesliga-Teams ist die Vorfreude auf einen möglichen Vereinswechsel und zukünftige Auftritte im blau-weißen Trikot von Hertha BSC schon jetzt riesengroß: "Ich habe mich extrem gefreut, weil es vor allem auch viele Möglichkeiten bietet, sich selber sportlich weiterzuentwickeln" sagt Svenja Poock - und gibt damit die Grundstimmung im gesamten Team wieder. "Es ist auf jeden Fall eine Ehre, den Berliner Verein vertreten zu dürfen. Es sieht natürlich auch sehr cool aus, in den richtigen blau-weißen Farben aufzulaufen", schwärmt Teamkollegin Mara Bähr. Beide haben ihr gesamtes bisheriges Fußball-Leben bei Hertha 03 verbracht. Für Svenja hätte der Vereinswechsel auch eine persönliche Komponente: "Mein Vater ist seit weiß ich nicht wie lange Hertha-BSC-Fan, mein Bruder ist Hertha BSC-Fan, man war schon oft im Stadion. Und wenn man dann selber für den Verein spielen kann, ist das einfach eine riesengroße Ehre."
Stefan Herm trainiert die U-17 von Hertha 03 seit vier Jahren, hat das Team nach dem Aufstieg 2020 in der Juniorinnen-Bundesliga etabliert. Zehlendorf behauptet sich im Nordosten erfolgreich gegen Teams wie den Bundesliga-Nachwuchs von Wolfsburg und Bremen. Auch Herm sieht im Vereinswechsel des U-17-Teams eine große Chance, noch mehr für die Mädchen tun zu können: "Wir haben hier in den letzten drei Jahren viel gemacht, Strukturen geschaffen (…) haben Breiten- und Leistungssport gut miteinander verbunden. Die Frage ist, wie können wir noch mehr für die Entwicklung von Talenten tun. Und da merken wir, dass wir hier im Verein an Grenzen stoßen." Und auch für Hertha 03 sieht Herm in der Konstellation mit der großen Hertha Chancen im Ausbildungsbereich, "insbesondere, wie man Mädchen aus dem Kleinfeldbereich künftig in den professionellen Großfeldbereich bringt."
Training in Zehlendorf, Spiele auf dem Olympiagelände
Für alle Beteiligten bei Hertha 03 wären die Veränderungen auch mit einem weinenden Auge verbunden. Der Klub, betont 03-Präsident Niroumand, fühle sich aber dem Mädchen- und Frauenfußball verpflichtet. Hertha Zehlendorf bleibe ein Ausbildungsverein, würde aber mit der angedachten Konstellation näher an den Profifußball heranrücken. Insgesamt, so Niroumand, sei damit auch ein Imagegewinn für Hertha 03 verbunden.
In einer ersten gemeinsamen Saison würden die Leistungsteams noch bei Hertha 03 in Zehlendorf trainieren, ihre Spiele aber auf dem Olympiagelände in Charlottenburg austragen. Daher sind auch die Bezirke in die Gespräche eingebunden. Heimspielstätte der Regionalliga-Frauen und der U-17-Bundesliga-Juniorinnen dürfte dann das Amateurstadion werden.
Ex-Turbine-Trainer für die Umsetzung verantwortlich
Klar besprochen ist auch, dass es nur eine geringe finanzielle Kompensation geben werde, beispielsweise für entgangene Mitgliedsbeiträge. "Das war auch nicht unsere Zielsetzung", betont der Zehlendorfer Präsident Kamyar Niroumand, "wir haben viele schöne Dinge miteinander vereinbart, die die Vereine näher zusammenbringen würden."
Ob das gemeinsame Projekt von Hertha und Hertha am Ende zustande kommt oder nicht: Hertha BSC plant sein Projekt "Frauen-Fußball" in jedem Fall langfristig und nachhaltig. Als Projektleiter ist Sofian Chahed für die Umsetzung verantwortlich. Der frühere Hertha-Profi, zuletzt Trainer des Frauen-Bundesligisten Turbine Potsdam, bringe, so formuliert es Präsident Bernstein, sowohl "Fußball-Fachverstand als auch Hertha-Stallgeruch" mit.
Bernstein sieht es sogar eher als Vorteil an, dass Hertha jetzt als letzter Bundesliga-Klub in den Frauen-Fußball einsteigt, "weil wir die Fehler der anderen nicht nochmal machen müssen: Zu schnell zu viel wollen, die internen Ressourcen nicht bedenken, haben wir Personal, haben wir Infrastruktur, haben wir das nötige Geld. Und wie kriegen wir es dann langfristig, nachhaltig gebaut."
Bernstein blickt entspannt auf die Entwicklung
Wenn die "große" und die "kleine" blau-weiße Hertha zusammen kommen, gäbe es ab der kommenden Saison gleich drei spannende und konkurrierende Berliner Frauen-Fußball-Projekte in der Regionalliga Nordost: Der 1. FC Union hat klar kommuniziert, dass er mit seinem Frauenteam mittelfristig in die Bundesliga aufsteigen will. Das gilt auch für den FC Viktoria, der mit einem Investorinnen-Model und prominenten Namen wie Ex-Nationalspielerin Ariane Hingst, Franziska van Almsick und Caroline Kebekus schon in dieser Saison den Aufstieg in die 2. Liga realisieren könnte.
Mit den beiden anderen Klubs will Hertha aber zunächst sportlich nicht konkurrieren, der Klub würde erstmal auf die Ressourcen von Hertha 03 zurückgreifen. Kay Bernstein sieht die sportliche Entwicklung seines Projekts Frauen-Fußball bei Hertha BSC ganz entspannt. Klar, geht’s beim Fußball ums gewinnen, aber "wir werden nicht gleich größenwahnsinnig, wir wollen nicht gleich in die Bundesliga, nicht in die zweite Liga. Das wäre einfach zu viel zu schnell. Das haben wir hier jahrelang gemacht."
Sendung: rbb UM6, 14.12.2022, 18 Uhr