Widerstand des DFB - Wieso der Frauenfußball-Deal zwischen Hertha BSC und Hertha 03 anders laufen muss als geplant
Hertha BSC plante bei der Gründung seiner Frauen-Abteilung eine teilweise Übernahme von Hertha 03 Zehlendorf. Doch der DFB stellte sich quer. Nun müssen alle Teams wechseln - und der Klub den Verlust seiner DNA fürchten. Von Lars Becker
- Als letzter Bundesliga-Klub wird Hertha BSC - nach dem Beschluss der Mitgliederversammlung im November - eine Abteilung für Frauen- und Mädchenfußball gründen
- Weil der Deutsche Fußball Bund (DFB) den eigentlichen Plan der Teil-Übernahme von Hertha 03 Zehlendorf durch Hertha BSC nicht akzeptiert, muss nun die gesamte Abteilung des Regionalligisten wechseln
- Den Spielerinnen der Leistungsteams winken bessere Perspektiven, Hertha 03 finanzieller und infrastruktureller Fortschritt - aber die Vereins-DNA ist in Gefahr
Die beiden Vereine, die "große" und die "kleine" Hertha, sind sich einig, ein Vertrag ist ausgearbeitet und so gut wie unterschriftsreif - wenn auch anders gestaltet als ursprünglich geplant. Eigentlich sollte und wollte Hertha BSC nur die drei Leistungsteams von Hertha 03 Zehlendorf übernehmen: Das Regionalliga-Team der Frauen, die U17-Bundesliga-Juniorinnen und die U15. Alle anderen jüngeren Jahrgänge und die Breitensport-Mannschaften sollten bei Hertha 03 verbleiben, Ausbildung und Nachwuchsförderung von Hertha BSC unterstützt werden. Dieses Konzept aber lässt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) nicht zu.
Wenn ein Bundesliga-Team den Verein wechseln will, so die strikte Vorgabe aus Frankfurt, dann muss die gesamte Abteilung mitgehen. Ganz oder gar nicht. Keine Kompromisse. Eine rein formale Entscheidung, ob inhaltlich sinnvoll oder nicht. "Die Lösung wird vermutlich sein, dass jetzt die komplette Mädchen- und Frauenabteilung rübergeht zu Hertha BSC", sagt Kamyar Niroumand, der Präsident von Hertha 03 und Initiator der Zusammenarbeit beider Klubs. Allerdings hat Hertha BSC auf dem Olympia-Gelände nicht im Ansatz die Kapazität, allen Teams Trainings- und Spielmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Das bedeutet: Wenn der DFB, der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) und der Berliner Fußball-Verband (BFV) den Planungen zustimmen, wird die Mädchen- und Frauenabteilung im Sommer von Hertha BSC übernommen und bereits zur kommenden Saison den Spielbetrieb aufnehmen - aber weiter bis zu einem nicht absehbaren Zeitpunkt komplett in Zehlendorf trainieren und spielen. "Wir sind als Kooperationspartner da, stellen unser Gelände zur Verfügung, machen die gesamte Koordination auf dem Platz und unsere sportlichen Verantwortlichen werden bei Hertha BSC integriert", beschreibt Niroumand die für alle Beteiligten suboptimale Lösung.
Hertha 03 verzichtet durch DFB-Veto auf Teil seiner "Vereins-DNA"
Stefan Herm, der Trainer der U17-Bundesliga-Juniorinnen, findet die Haltung des DFB extrem ärgerlich und vor allem völlig unverständlich. Bei den Vorgaben gehe es darum, für Leistungsmannschaften eine Perspektive zu schaffen - bei einem professionellen Klub mit der passenden Infrastruktur, also dass "Leistungsmannschaften zu den professionellen Klubs gehen, während die Amateurklubs den Bereich Breitensport betreuen". In Berlin sei versucht worden, dieses Ziel zu erreichen. "Wenn der Verband das dann nicht umsetzen möchte, wirft das mehr Fragen auf als es Antworten gibt", kommentiert Herm.
So wie es nun geplant ist, dürfte Hertha Zehlendorf auch ein Stück Vereins-Kultur verlieren: "Mädchen- und Frauenfußball ist ein Teil der DNA von Hertha Zehlendorf und sollte hier auch nicht komplett weg", betont Herm. Das aber wäre vorerst definitiv der Fall: "Hertha 03 darf in den nächsten zwei Jahren keine Mädchen- und Frauenabteilung aufbauen", beschreibt Präsident Niroumand die Rechtslage. "Nach zwei Jahren reden wir mit Hertha BSC, dass wir vielleicht doch zu unserer Ursprungsidee zurückgehen und wieder eine Mädchen- und Frauenabteilung aufbauen. Aber das ist jetzt aktuell noch nicht besprochen." Rückabwicklung der Breitensport-Teams, wenn die Verbände es dann zulassen, kompletter Neuaufbau oder dauerhafter Verzicht auf Mädchen- und Frauenfußball in Zehlendorf - das wären in zwei Jahren die möglichen Optionen für Hertha 03.
Der zumindest zeitweise Verzicht auf eigenständigen Mädchen- und Frauenfußball dürfte Niroumand und Hertha 03 auch Kritik einbringen, möglicherweise Image und Außenwirkung des Vereins schaden. Auch Eltern, vor allem von Kindern aus dem Breitensport-Bereich, dürften sich von den kurzfristig drohenden Veränderungen eher überrumpelt als mitgenommen fühlen.
Finanziellen Zuwendungen und Knowhow durch Hertha BSC
Bleibt die Frage, welche Vorteile sich für Hertha 03 aus dem Deal ergeben. Hertha BSC, betont Kamyar Niroumand, werde sich bei Hertha 03 auf verschiedene Weise engagieren: "Es wird auf jeden Fall so sein, dass Hertha mit seinem Trainerstab hierher kommt und aus sportlicher Sicht alles aufbauen wird. Zum zweiten ist ein Budget für Infrastruktur verabredet, das ist auch im Vertrag festgelegt. Es ist auch festgelegt, dass wir jährlich ein Freundschaftsspiel unserer Männer-Mannschaft mit den Hertha-Profis machen und dass wir auch für unsere Jugendabteilung Karten für die Bundesliga-Spiele bekommen".
Zu den Infrastruktur-Maßnahmen zählen unter anderem neue Umkleidekabinen für Mädchen- und Frauenteams auf dem Gelände, sowie Investitionen in die Trainingsplätze. Über die Höhe der jährlichen Zuwendungen ist Stillschweigen vereinbart worden. Angeblich liegen sie ungefähr bei der Summe, mit der Hertha BSC in den letzten Jahre Turbine Potsdam unterstützt hat. Das wären geschätzte 200.000 bis 250.000 Euro. Die Kooperation mit dem voraussichtlichen Bundesliga-Absteiger Turbine endet im Sommer.
Perspektive für die Top-Talente der U17 von Hertha 03
Neben der finanziellen, infrastrukturellen und personellen Unterstützung soll die Kooperation aber vor allem eines bringen: bessere Entwicklungsmöglichkeiten für die Hertha-03-Talente. Für die Leistungsteams des Klubs wäre der Wechsel zu Hertha BSC ein großer Schritt in Richtung Professionalisierung und speziell für die Top-Talente des U17-Bundesliga-Teams eine Perspektive, unterstreicht Coach Stefan Herm.
Bislang erfordere der Schritt zu einer Profi-Karriere nämlich oft den Umzug in andere Städte. Ziel seien dann beispielsweise Klubs "wie Meppen, Essen oder Hoffenheim, die diesen Schritt in der Verbindung von Profifußball und Frauen- und Mädchenfußball schon gemacht haben". Das aber sei "extrem schwierig, denn die Mädchen sind 16, 17 Jahre alt, sie werden aus ihrem familiären Umfeld gerissen, sie müssen die Schule wechseln, in der Regel in der Abitur-Anbahnungsphase und dann den sportlichen Schritt auch noch machen." Von dem Deal erhoffen sich die Zehlendorfer nun, dass diese Entwicklung fortan auch in Berlin möglich ist.
Mit seinen U17-Juniorinnen steht der Coach in der Bundesliga Nordost aktuell auf einem bemerkenswerten dritten Platz, vor den Nachwuchsteams von Bundesliga-Klubs wie Wolfsburg und Bremen. Sogar Platz zwei und die Qualifikation für die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft ist noch möglich. Mit der anstehenden Übernahme und dem Wechsel zu Hertha BSC könnte sich für die herausragenden Talente des Jahrgangs - wenn das Projekt erfolgreich ist - tatsächlich vielleicht sogar irgendwann der Traum von Bundesliga-Fußball in Berlin erfüllen.
Das U17-Team durfte auch schon mal die professionellen Trainingsbedingungen auf dem Hertha-Campus nutzen: "Wir haben erste Leistungsdiagnostik gemacht mit den Mädels, pflegen das jetzt in eine Datenbank ein, was eine gute Grundlage ist für Leistungsentwicklung der Spitzensportlerinnen. Das macht nicht nur allen Spaß, das ist auch extrem nützlich", beschreibt Stefan Herm ein besonderes Erlebnis, das nicht einmalig bleiben soll. Geplant ist, dass die Mädchen schon in den kommenden Monaten gelegentlich die Trainingsmöglichkeiten und auch die medizinische Abteilung von Hertha BSC nutzen können.
Ex-Turbine-Coach Sofian Chahed Leiter des Hertha-Projekts
Der Coach hat auch den sportlichen Teil des Vertrages mit Hertha BSC maßgeblich mitverhandelt. Herm betont die konstruktiven und vertrauensvollen Gespräche auf Augenhöhe mit Sofian Chahed, dem Projektleiter auf Seiten von Hertha BSC. Der Ex-Profi der Berliner war zuletzt zwei Jahre Trainer von Turbine Potsdam.
Chahed, der sich vor Vertragsabschluss nicht öffentlich äußern möchte, steht für Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit des Engagements von Hertha BSC im Mädchen- und Frauenfußball - und für die sportlichen Ambitionen. Der Verein will nach der Übernahme eine Leistungskultur etablieren, das Regionalliga-Team sukzessive weiterentwickeln und perspektivisch aus der dritten Liga in die Bundesliga aufsteigen. Ein Ziel, das übrigens auch zwei weitere Berliner Klubs mit ihren Frauen-Teams in der Regionalliga nachdrücklich verfolgen: Der 1. FC Union und der FC Viktoria, der ein bislang einmaliges Investorinnen-Modell aufgelegt hat.
Hertha BSC steht mit seinem Projekt Mädchen- und Frauenfußball quasi in den Startlöchern. Noch ist nichts fix. DFB, NOFV und BFV müssen der Übernahme der Abteilung der "kleinen" Hertha aus Zehlendorf noch zustimmen. Aber 03-Präsident Kamyar Niroumand rechnet innerhalb der nächsten drei bis vier Wochen mit einem positiven Ergebnis.
Möglicherweise kann der ausgehandelte Vertrag zwischen Hertha BSC und Hertha 03 noch im März unterschrieben werden. Ein Vertrag, der nicht der Wunschlösung beider Klubs entspricht, den die Verantwortlichen von Hertha und Hertha aber auch in dieser Form abschließen und mit Leben füllen wollen, weil sie überzeugt sind, den Mädchen- und Frauen-Fußball in Berlin so einen weiteren Schritt voranzubringen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.03.2023, 15:15 Uhr