Herthas Mitgliederversammlung - Blick nach vorn am sportlichen Abgrund
Siebeneinhalb Stunden lang diskutierten Verantwortliche und Mitglieder von Hertha BSC am Sonntag in der Messe miteinander. Dabei zeigten sich viele Sorgen um die sportliche und finanzielle Zukunft, aber auch ein bisschen Zuversicht.
Die sportliche Situation für Hertha BSC könnte kaum schlechter sein. Sehenden Auges steuern die Berliner geradewegs dem Abstieg in die 2. Bundesliga entgegen. Doch statt großer Wut und Zorn lag am Sonntag in der Messehalle 18 am Ende sogar ein wenig Zuversicht in der Luft.
Das lag wohl vor allem an der offenen Diskussionskultur, die Präsident Kay Bernstein in die Mitgliederversammlung brachte. Ruhig und gut vorbereitet stand er den anwesenden Fans Rede und Antwort, nahm sich jeder noch so kleinen Frage an und stillte den Redebedarf der Mitglieder.
Bernstein mit einigen Entwicklungen zufrieden
Der Präsident konzentrierte sich dabei überwiegend auf die positiven Entwicklungen, die in den vergangenen Monaten angestoßen wurden. Er sprach von einer Wiederbelebung des Vereinslebens. Hertha sei in der Stadt wieder sichtbarer geworden, dafür würde nicht nur die Steigerung der Merchandising-Einnahmen sprechen.
Bernstein lobte außerdem die Kooperation im Frauenfußball mit Hertha 03 Zehlendorf und sieht den Hauptstadtklub beim Thema Stadionneubau auf einem sehr guten Weg. Optimistisch blickte er in die Zukunft und plante den Haushalt des Vereins bis zur Saison 2025/26 sanieren. Acht Millionen Euro an Gehältern seien zum Beispiel durch Veränderungen im Verwaltungsapparat bereits jetzt eingespart worden.
Große Kritik an den Vorgängern
Auch einen Seitenhieb gegen den ehemaligen Geschäftsführer Finanzen Ingo Schiller ließ er dabei nicht aus. "So sehr wir ihn beim Abschied auch gefeiert haben, muss man auch ehrlich sagen, dass das unter seiner Verantwortung geschehen ist. (…) Was ist in den letzten vier Jahren passiert? Es wurde 250 Millionen Euro verbrannt. Das ist ein Irrsinn, der so nie wieder passieren darf", so Bernstein.
Überhaupt kamen die geschiedenen Verantwortlichen nicht gut weg. Herthas Leiter der Lizenzspielerabteilung, Andreas "Zecke" Neuendorf, schimpfte in seiner Rede minutenlang über Bobic und Co. und kritisierte deren Kader-Zusammenstellung. "Mir gefällt die Mannschaft nicht. Wir haben fünf Transferfenster gehabt, eine ordentliche Mannschaft aufzustellen. Wir waren mal normal, sind dann abgedriftet. Wir müssen von unserem hohen Ross runterkommen. Wir müssen die Suppe auslöffeln. Ich denke nicht, dass vorher die Richtigen da waren", sagte er und erntete dafür großen Applaus aus dem Saal. Lob hatte er hingegen für Präsident Bernstein übrig. "Ich hoffe, dass ihr alle spürt, dass Kay Bernstein genau der richtige ist und der, den wir seit Jahren gebraucht haben", sagte er den Mitgliedern.
Große Sorgen beim Thema Finanzen
Für die schwierigen Themen waren dann Sportdirektor Benjamin Weber und Geschäftsführer Thomas Herrich zuständig. Gerade die finanzielle Situation und die möglichen Lizenzierungsprobleme bereiteten vielen Fans große Sorgen. "Wir haben in den letzten Jahren über unseren Verhältnisse gelebt. […] Meine Aufgabe ist es, die wirtschaftliche Situation zu lösen. Ich habe mir das auch anders vorgestellt, aber so ist es", sagte Herrich. Hertha sei ein Sanierungsfall und müsse die Kaderkosten um 30 Prozent reduzieren, um wieder zurück auf Spur zu kommen.
Herrich gab dann auch ganz offen zu, dass die Lizenzvergabe durchaus in Gefahr geraten könne, wenn der wirtschaftliche Handlungsspielraum nicht nachgewiesen werden könne. "Aber wir sind mit Hochdruck dran und zuversichtlich, dass wir sie bekommen werden", machte er Mut. Dass es mit der DFL Probleme wegen des neuen Investors geben würde, hält er für unwahrscheinlich. 777 Partners habe "immer gesagt, dass sie die deutschen Verhältnisse kennen und sich zu 50+1 bekennen", stellt er klar.
Berliner Weg als sportliche Leitidee
Trotz der Sorgen hatte Sportdirektor Weber die Hoffnung auf den Klassenerhalt aber noch nicht verloren. "Wir werden nicht aufgeben, solange es eine kleine Chance gibt." Trotzdem sei Hertha auf alle möglichen Szenarien vorbereitet. Ob diese Szenarien auch Pal Dardai als Trainer in der kommenden Saison beinhalten, ließ er offen. Die Fans schienen sich ihre Meinung dazu aber schon gebildet zu haben. Mit Standing Ovations und tosendem Applaus wurde Dardai auf der Mitgliederversammlung begrüßt.
Zumindest bei der Kaderplanung für die kommende Saison soll dann aber auf jeden Fall der "Berliner Weg" verfolgt werden und stärker auf die Jugend gesetzt werden. Bei den Neuzugängen müsste man gucken, was möglich sei, sagte Neuendorf. "Alles, was wir nicht hinbekommen, füllen wir aus der eigenen Akademie auf." Abgänge wird es im Sommer hingegen wohl so einige geben. Bis auf die Talente sei von den aktuellen Profis jeder verkäuflich, stellte "Zecke" fest. "Keiner von denen hat den Nachweis erbracht, dass er erstligatauglich ist."
Nach siebeneinhalb Stunden war Schluss
Langwierig waren wie immer die formellen Punkte der Tagesordnung. Es gab Abwahlanträge gegen das Präsidium und den Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Brüggemann, die allerdings beide nach langer Diskussion gar nicht erst zur Abstimmung kamen. Auch der kurzfristige Rücktritt Ingmar Perings sorgte für Diskussionsbedarf. Sein Nachfolger soll nun bei der kommenden ordentlichen Mitgliederversammlung im Oktober bestimmt werden.
Nach siebeneinhalb Stunden sprach Bernstein dann die Schlussworte an die sichtlich erschöpften Mitglieder, die bis zum Ende in der Messehalle 18 durchgehalten hatten. Und trotz der sportlichen Situation hatte man das Gefühl, dass viele der Anwesenden die Veranstaltung mit einer gewissen Zufriedenheit verließen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 14.05.2023, 19:30 Uhr