Nach 2:5-Niederlage in Köln - Hertha blickt in den Abgrund

Sa 13.05.23 | 11:05 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Hertha-Spieler Maximillian Mittelstaedt blickt enttäuscht zu Boden nach der 2:5-Niederlage gegen den 1. FC Köln. (Bild: IMAGO / Treese)
Audio: rbb24|Inforadio | 13.05.2023 | Philipp Höppner | Bild: IMAGO / Treese

Hertha BSC hat eine deutliche Niederlage beim 1. FC Köln kassiert und dabei all die Argumente für einen verdienten Bundesliga-Abstieg aufs Feld geführt. Nach einer kläglichen Leistung bräuchte es ein blau-weißes Wunder, um die Klasse noch zu halten. Von Marc Schwitzky

Wenn es eigentlich nicht mehr schlimmer kommen kann, die Emotionen am Boden liegen, dann kann nur die Häme die Wunde noch weiter aufreißen. Nach dem Schlusspfiff in Köln-Müngersdorf, als Mannschaft und Fans von Hertha BSC mit der bitteren Realität des drohenden Abstiegs so hart wie noch nie konfrontiert werden, singen und hüpfen die Köln-Anhänger ausgelassen. "Hey, das geht ab! Die Hertha steigt endlich ab. Steigt endlich ab", schallt aus der Fankurve des Effzeh, die den Liedtext der Atzen spontan umgedichtet haben. Ein Spottgesang.

Eine Hommage an das Jahr 2009, als Hertha unter Trainer Lucien Favre beinahe die Meisterschaft gelang. Als die Stimmung bei der "alten Dame" ein Rekordhoch erreichte. Als die Atzen in der Kurve standen und ihren Erfolgshit in "Hey, das geht ab! Wir holen die Meisterschaft!" umdichteten. Als ein Haufen von No Names zu kleinen Legenden aufstieg. Es wirkt wie aus einem anderen Jahrhundert.

Nun könnten Spieler, die eingekauft wurden, um zu Legenden aufzusteigen, mit dem bevorstehenden Abstieg zu No Names werden.

Natürlich trifft Davie Selke

In Berlin kennt man sich mit Cocktails bestens aus. Doch niemand vermag solch einen tollkühnen Mix anzubieten wie Hertha BSC. Die in den letzten Jahren zusammengetragenen Zutaten für den drohenden Abstieg, sie sind so spektakulär wie bitter. Am Freitagabend um 20:38 Uhr ist eine weitere Geschmacksnote hinzugekommen, als ausgerechnet – oder eher natürlich – Davie Selke die Kölner nach einer hohen Hereingabe in Führung brachte.

Der Davie Selke, der im vergangenen Winter noch von der Spree an den Rhein wechselte. Ohne Ablöse, Hauptsache die klamme Hertha spart einen Teil des viel zu groß geratenen Gehalts. Nach nur einem Tor in der Hinrunde hatte der damalige Manager Fredi Bobic keine Verwendung mehr für den 28-Jährigen. "In Berlin wollte man ihn loswerden, das muss man so deutlich sagen", sagte Köln Trainer Steffen Baumgart vor dem Spiel.

Das Tor gegen die Berliner war übrigens Selkes fünftes für seinen neuen Arbeitgeber – bis auf Dodi Lukebakio und Marco Richter hat niemand bei Hertha so viele Tore in der gesamten(!) Saison erzielt, Selke brauchte hingegen nur 15 Spiele für diese Ausbeute. Weil er Vertrauen spürt, weil er in einer funktionierenden Mannschaft mit klarem Spielplan spielt – all das, was er und viele andere in Berlin nicht hatten oder haben. Ein symbolisches Gegentor.

Wenn ich nicht bereit bin, mit vollem Tempo anzulaufen, dann haben wir ein Mentalitätsproblem.

Hertha-Trainer Pal Dardai nach der 2:5-Niederlage in Köln

Pal Dardai sieht "riesige Defizite"

Es muss einiges vorfallen, damit ein Trainer höchst selbst die Mentalitäts-Debatte anstößt. Normalerweise sträuben sich die Übungsleiter dagegen und fauchen jeden an, der es wagt, das Thema anzusprechen. Pal Dardai blieb nach der 2:5-Niederlage am Freitag aber kaum etwas anderes übrig. "Wir wussten, was die Stärken sind von Köln und auch, was wir dagegen machen müssen - und dann haben wir es nicht hinbekommen", so der Ungar. "Das sind einfache Sachen: Wie ich anlaufe, mit Tempo, mit welchem Tempo, mit welchem Willen - wenn ich nicht bereit bin, mit vollem Tempo anzulaufen, dann haben wir ein Mentalitäts-Problem."

Hertha war am 32. Spieltag zu keinem Zeitpunkt wirklich bereit für ein Fußballspiel auf Bundesliga-Niveau. In eigentlich jeder Disziplin waren die blau-weißen Hüllen von Profi-Fußballern unterlegen, teilweise wurden sie regelrecht vorgeführt. "Jedes Mal beim Konter sind wir viel zu langsam. Das ist eine so eingekaufte Mannschaft, wenn die Kölner Tempo gemacht haben, haben wir riesige Defizite", holte Dardai zum Rundumschlag aus.

Mit Glück und Christensen

Hertha stand gegen Köln unter Dauerbeschuss: 9 zu 31 Schüsse, 3 zu 16 davon direkt aufs Tor. Von der ersten bis zu letzten Minute war es ein Klassenunterschied. "Mit diesen Werten kommst du in der Bundesliga nicht weit. So müssen wir nicht mehr von Hoffnung reden, das bringt nichts", wurde Dardai deutlich. Obwohl von Beginn an klar war, wie der 1. FC Köln zu Toren kommen wollte – Dreiecksbildung auf den Außen, um den Raum für Flanken in den Strafraum zu öffnen – wurde Hertha regelrecht überrollt. Fünf Gegentore waren eigentlich noch zu wenig. Es war den elf Paraden von Torhüter Oliver Christensen, dem Aluminium und der fehlenden Abschlussstärke der Domstädter zu verdanken, dass die Berliner nicht noch weitaus mehr Treffer kassierten. Es wäre verdient gewesen.

Es waren die immer gleichen Angriffsmuster Kölns, die Hertha aufgrund fehlender Absprache, taktischer Disziplin und Handlungsschnelligkeit Angriffswelle nach Angriffswelle aufrieben. Keine Ordnung, kein Zugriff. Dass die Gäste aus der Hauptstadt lediglich mit 2:3 in die Halbzeitpause gingen, hing auch mit der individuellen Qualität Lukebakios und Stevan Jovetics zusammen. Die beiden Offensivspezialisten hielten Hertha im Spiel. Jovetics genialer Pass auf Marco Richter leitete den Ausgleichstreffer von Lucas Tousart in der 18. Minute ein. Lukebakio erlief in der 33. Minute einen langen Ball, legte für Jovetic auf, der trocken zum zwischenzeitlichen 2:1 einschob.

Tore aus dem Nichts, die einerseits die offensiven Möglichkeiten des Kaders aufzeigten, durch den Mangel an weiteren Gelegenheiten andererseits offenbarten, wie wenig systematisch Herthas Offensivbemühungen sind. Ohne Geistesblitz keine Torgefahr. Gegner Köln war das Paradebeispiel dafür, wie durch klare Abläufe jeder Spieler offensiv entscheidend sein kann.

Die Hoffnung stirbt

Die zweite Halbzeit kam einem Offenbarungseid gleich. Dardai war es in der Halbzeitansprache nicht gelungen, in die völlig verunsicherten Köpfe seiner Spieler zu kommen, denn auch danach verteidigte Hertha vogelwild und offensiv gelang den Berlinern noch weniger als im ersten Durchgang. Spätestens mit dem 2:4 in der 69. Minute – abermals eine kaum verteidigte Hereingabe – hatte Köln den berühmten Stecker gezogen. Die nahezu feststehende Niederlage und der damit näher rückende Abstieg hatte Hertha die Kraft genommen. Es stemmte sich nur noch Schlussmann Christensen gegen ein noch dramatischeres Ergebnis. Doch auch er konnte den Treffer zum 2:5-Endstand – natürlich nach einer Flanke – nicht verhindern. Die einzige Reaktion der Spieler mündete in Frustfouls und gelben Karten.

Die erschreckende Niederlage in Köln war der letzte Beweis dafür, dass Hertha mit der Aufgabe, gegen einen stabilen Bundesligisten defensiv sicher und gleichzeitig offensiv gefährlich zu spielen, grenzenlos überfordert ist. Gegen den FC Bayern funktionierte die Abwehr, da sich Hertha einzig und allein darauf konzentrieren durfte. Gegen den VfB Stuttgart sorgten zwei Standardtore für einen dankbaren Spielverlauf. Gegen Köln aber hätte Hertha echte Widerstände überwinden müssen – dazu war diese schief zusammengestellte, qualitativ heruntergewirtschaftete und mental komplett zerrüttete Mannschaft schlicht nicht in der Lage. Das kann auch Pal Dardai nicht mehr reparieren.

So ist die Lage zwei Spiele vor Saisonende nahezu aussichtslos. Hertha müsste sowohl gegen den VfL Bochum als auch VfL Wolfsburg gewinnen, um eine minimale Restchance auf den Klassenerhalt oder zumindest Relegation zu behalten. Dafür dürften Bochum und der VfB Stutgart allerdings jeweils kein Spiel mehr gewinnen. Die Fehler der vergangenen Jahre stauen sich auf und drücken allmählich durch die Tür, gegen die sich Hertha verzweifelt wirft. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber sie stirbt.

Sendung: rbbUM6, 13.05.2023, 18 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

35 Kommentare

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  1. 35.

    Hertha schaut genau dorthin wo sie hingehören
    In die Abgründe des Deutschen Fußball
    In die Reginalliga

  2. 34.

    Wenn die Vereine das mutwillige Verschandeln der Stadt, also auch ihrer Stadt, in der sie und mit dem Namen ihr Geld verdienen, Klebebilder-Orgien, Schmiereien usw. dulden und akzeptieren, anstatt massiv dagegen vorzugegen, wäre auch für die Köpenicker zur Strafe ein Abstieg wünschenswert. Leider ist das ohne eine miese Leistung nicht möglich. Die große Frage ist jedoch weiterhin, warum die Hauptstadt überhaupt so verdreckt ist bzw. sein muss ? Es ist schon seit langem ein massives gesellschaftliches Problem, um dass sich niemand kümmert. Der Fussball müsste hier eigentlich seine Vorbildfunktion in Puncto Fan-Kultur wahrnehmen. Stattdessen das ganze Gegenteil. Vom weiteren Spaßfaktor "Gewalt" ganz zu schweigen !

  3. 33.

    "Allein schon für das Vollschmieren der Stadt mit Herthasymbolen ist der Abstieg gerechtfertigt. Auch für mehrere Jahre."

    Tja das müsste dann aber auch für die Köpenicker gelten.
    Die verschandeln die Stadt genau so.
    Aber sie scheinen nur zu sehen was ihnen in den Hass gegen Hertha passt, der Rest ist ja wohl Kult.

  4. 31.

    Ich stimme Ihnen maximal zu. So viele Denkmäler - da wird der Platz für Wohnneubauten knapp!
    Allen freundlichen Hertha-hatern nur einen Gedanken mit auf den Weg: Viel Freude mit Darmstadt und Heidenheim! Sie haben es sportlich voll verdient, tolle Leistung. Aber wieder geht ein - jetzt sogar der älteste - Traditionsverein runter.
    52.000 Zuschauer im Schnitt - bei diesen Leistungen! Die Leute lieben ihre Alte Dame eben immer noch und leiden jetzt um so mehr. Allen Besserwissern: Hoffen wir mal, dass Union den Hype auch verkraften kann, bei 1892 ging es vor 20 Jahren auch nur bergauf…

  5. 30.

    Wenn es denn die zweite Liga wird. Die Lizenz ist noch keineswegs sicher.

  6. 29.

    Es ist mir unverständlich, dass die Spieler der alten Dame, wie aus dem Seniorenstift entlaufen , auf dem Feld agieren, und dafür dann noch unanständig viel Gehalt abgreifen. Auch beim Profifussball müsste nach Leistung bezahlt werden.

  7. 28.

    Das tut ganz Berlin überall.

  8. 26.

    Was ist denn mit den vielen Spielern, die die Kohle abgegriffen und dafür nichts gebracht haben ? Die hätten auch etwas zur Erinnerung verdient, aber zur besseren Unterscheidung vielleicht vergoldet !

  9. 25.

    5:2, 8 Gelbe Karten, 19 (!) Niederlagen (noch nie hat der BCC777 so oft verloren) und 67 eingefangen Tore (wobei ich meine Wette gewinnen werde, weil ich wettete, dass diese Truppe die 70 voll macht)
    Wobei die Wette auf die Niederlagen sich jetzt schon auszahlte.
    Jetzt bleibt noch der Abstieg, die Toranzahl - ich bin guter Hoffnung.
    Zu Dardai nur soviel: er ist als Trainer verbrannt und kann nur noch in Ungarn Mannschaften in der Regionalliga trainieren, oder eben den BCC777 in die Regionalliga führen.
    Und denen, die hier Namen des Versagens aufzählen: Ihr wart es die diesen Personenkreis immer wieder bei den Hauptversammlungen wählten. Also jammert nicht.

  10. 24.

    Allein schon für das Vollschmieren der Stadt mit Herthasymbolen ist der Abstieg gerechtfertigt. Auch für mehrere Jahre.
    Es zeigt den verlotterten und dysfunktionalen Zustand nicht nur innerhalb des Vereins, sondern auch der sog. Fans ausserhalb, die völlig enthemmt und gandenlos alles verschandeln. Wie der Herr, so's Gescherr.

  11. 22.

    Mit dem Abstieg ist dann hoffentlich auch das Thema "Neues Stadion" vom Tisch!

  12. 21.

    Die Zweite Buli ist kein Abgrund, sondern eine Möglichkeit, sich auf allen Ebenen neu zu sortieren.

  13. 20.

    Leute, ein Denkmal muss her!

    Für die Totengräber von Hertha BSC. Gegenbauer, Preetz, Schiller, Schmidt, Klinsmann, Lehmann und nicht zuletzt Bobic. Sollte ich wen vergessen haben, darf er sich gerne melden.

    Am Marathon-Tor werden sie in Bronze gegossen und finanziell zur Rechenschaft gezogen. Lars hat mit Sicherheit noch finanzielle Rücklagen um das zu zahlen.

    HaHoHe

  14. 19.

    alle Hater können sich daran ergötzen, dass es die Hertha in spätestens 3 Jahren nicht mehr geben wird, bei Lizenzentzug (der bei Abstieg deutlich wahrscheinlicher wird), sogar noch früher. Eine Insolvenz ist eigentlich nur eine Frage der Zeit und schon mathematische Gewissheit.

    Ist aber vielleicht auch besser so, denn direkt wieder aufsteigen tun sie nie im Leben, da ist es auch wahrscheinlicher, dass es direkt weiter runter geht.

  15. 18.

    So ist das halt wenn man so einem ungeliebten Verein wie Hertha BSC die Daumen drückt !
    Übrigens sollten sich die Herthafans an die eigene Nase greifen, die sind auch nicht besser

  16. 17.

    Nun die Kölner können halt nix anderes als sie bei Union waren ging fast jedes zweite Lied gegen den Osten! Obwohl wenn man sich auskennt wir glaube die letzten sind die an diesen ganzen Ostalgie und DDR Fahnenschwenken scheiss erinnert werden wollen. Aber eins muss man sagen, wer so wie Hertha mit einer Überheblichkeit durch dieses Saison fährt hat es dann auch nicht anders verdient mit Schmährufen verabschiedet zu werden.

  17. 16.

    Die Hertha ist zur Lachnummer geworden, die keiner mehr so richtig ernst nimmt und jedesmal wenn ihr Name wieder in einem Atemzug mit der Champions League fällt, geht ein nicht enden wollendes Gekicher aufs Neue los.
    Es ist ein entwürdigender Anblick, die "alte Dame" liegt PI mal Daumen mausetot in den Armen ihres amerikanischen Besitzers und zappelt vor Ungeduld von neuen Millionen wachgeküsst zu werden, scheint sich aber gleichzeitig zu fragen, ob es möglich werden könnte, die Abhängigkeit vom Investor zu beenden und nochmal die Chance zu erhalten, sich mit einem Neuanfang und vielleicht einem etwas moderneren Namen neu definieren zu dürfen, z.B. nach einer Insolvenz und anschliessender Fusion auf Regionalebene.

    Gibt es überhaupt fusionsinteressente Clubs oder müsste die Hertha, falls, auch als Hertha auferstehen müssen?

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