Interview | BRV-Präsident vor "Tour de Berlin Feminin" - "Wir müssen noch mehr Sportlerinnen entwickeln"

Do 29.06.23 | 17:53 Uhr
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BRV-Präsident Claidiu Ciurea (l.) will dem Frauen-Radsport eine größere Bühne bieten. (Foto: IMAGO / frontalvision.com)
Bild: IMAGO / frontalvision.com

Die "Tour de Berlin Feminin" kehrt am Samstag nach 30 Jahren zurück. Für Claudiu Ciurea, Präsident des Berliner Radsportverbands, ein Event mit Tragweite. Ein Gespräch über die wachsende Begeisterung für Radsport und dessen Vorbildfunktion.

rbb|24: Herr Ciurea, welche Bedeutung für den regionalen Radsport hat die Rückkehr der "Tour de Feminin"?

Claudiu Ciurea: Eine sehr große Bedeutung. Wir haben die Vorbildsfunktion dieser Stadt vermisst. Man kann in ehrenamtlichen Strukturen beinahe unmöglich all den Auflagen und Schwierigkeiten entsprechen. Wir haben uns vergangenes Jahr sehr stark dafür eingesetzt, mehr Rennen zu organisieren, um so dem Nachwuchs ein Vorbild zu sein. Es geht nicht nur um die "Tour de Berlin Feminin", sondern um auch um das Youngster-Rennen – um dem Nachwuchs die Möglichkeit zu bieten, sich im großen Rahmen zu präsentieren.

Die Tour hat auch deshalb eine große Bedeutung, da es den Frauensport fördert – dort haben wir noch große Defizite. Wir sind sehr glücklich, dass der Berliner Senat das genauso sieht und unsere Initiative sehr stark unterstützt. Zudem müssen wir uns bei SCC Events Generali Velocity bedanken, sie schauen in die gleiche Richtung wie wir.

In einer Presseerklärung teilen Sie mit, den internationalen Radsport fördern zu wollen. Wo befinden wir uns auf diesem Zeitstrahl?

Meiner Einschätzung nach gibt es aktuell auf jeden Fall einen Boom. Es wird mehr berichtet, es gibt mehr Rennen und es gibt immer mehr Interesse. In meinen Augen bleibt aber die Entwicklung der Sportlerinnen, die immer noch etwas dauert, ein Problem. Es gibt derzeit also nicht ausreichend Aktive. Wenn man international zwei Rennen an demselben Wochenende hat, wird es bereits schwer, ausreichend gute Fahrerinnen aufzustellen.

Wir sind aber auf einem sehr guten Weg, wir müssen einfach dranbleiben und noch mehr Sportlerinnen entwickeln.

Welche weiteren Maßnahmen sollen getroffen werden, um den Radsport weiter zu fördern? Wie sieht hier die Zusammenarbeit mit dem Senat aus?

Wir wollen uns immer weiter etablieren. Wir sind auf Profi-Niveau eingestiegen, haben viele Profi-Teams am Start und die Entwicklung soll dahin gehen, dass wir die Tour in den nächsten Jahren als drei- bis viertägiges Etappenrennen anbieten.

Wie nehmen Sie die Rückmeldung aus der Gesellschaft und dem organisierten Sport auf die Rückkehr dieses Wettbewerbes wahr?

Ein große Überraschung war, dass sich die Medien schon auf die erste Pressemitteilung zur Tour gestürzt hatten. Ich war sehr überrascht, dass das so gut angenommen und von den Medien nach außen getragen wurde. Der Frauensport braucht mehr beziehungsweise die gleiche Aufmerksamkeit wie der Männersport. Auch das gesellschaftliche Interesse ist sehr groß, wir bekommen sehr gute Rückmeldungen.

Wie schätzen Sie vorab das Niveau der Tour ein?

Auch hier sind wir sehr positiv überrascht. Der letzte Stand war, dass 23 Teams aus elf Nationen an den Start gehen. Die erste US-Amerikanerin ist gestern angekommen, wir haben Teams aus Kanada, Frankreich Niederlande, Italien und und und – und 80 Prozent davon sind Profi-Teams. Dazu kommen ein paar regionale Teams, die als Amateure eingestuft werden. Mit Israel haben wir sogar ein World-Tour-Team dabei. Das Niveau ist für unsere Erwartungen sehr gut. Parallel findet der Giro d'Italia Donne statt – das heißt, die richtig starken Teams sind in Italien. Sonst hätten wir noch mehr World-Tour-Teams dabei gehabt.

Wenn ich die Antwort etwas weiter fasse: Probleme bleiben Zulassungen und alles weitere Organisatorische, was hinter den Kulissen passiert. Die behördlichen Anforderungen sind sehr hoch und können eigentlich nur mit professionellen Strukturen bewältigt werden. Dahingehend brauchen für die nächsten Jahre definitiv ein Team, dass die Veranstaltung professionell begleitet. Das sind Kosten, die durch Sponsoren oder durch Unterstützung vom Senat hoffentlich abgedeckt werden können.

Wie genau wird die Strecke für die "Tour de Feminin" aussehen und was waren die entscheidenden Faktoren, die Strecke so zu gestalten?

Wir haben zwei Tage. Am Samstag führt die 73-Kilometer-Strecke am Brandenburger Tor, Reichstag und der Straße des 17. Juni entlang. Die Idee ist, den Teams mehr Kilometer anzubieten. Da wir dieses Jahr noch kein Etappenrennen anbieten können, wollten wir die Strecke für ein Show-Rennen erweitern. Dort werden auch Preisgelder gezahlt, das wird eine sehr spannende Geschichte, denn bei so einem Rundkurs sieht man als Zuschauer die Teams nicht nur einmal sondern gleich 24 Mal vor sich.

Am Sonntag fahren wir die 100-Kilometer-Strecke auch für Amateure. Es ist keine sonderlich anspruchsvolle Strecke, was die Meterhöhe betrifft. Es ist kein bergiger Kurs. Es wird aber ein schnelles Rennen sein. Uns für war es wichtig, neben dem Sport auch den Teams eine wunderschöne Bühne zu schaffen. Das passiert dadurch, dass die Teams an vielen Berliner Sehenswürdigkeiten vorbeifahren. Diese schöne Strecke wollen wir auch international präsentieren, wir haben uns kurzfristig dazu entschieden, einen Live-Stream anzubieten.

Ich bin dafür, dass wir Bedingungen schaffen, in denen sich die Frauen wohlfühlen.

Worauf freuen Sie sich bei der Tour am meisten? Welchen Effekt erhoffen Sie sich von der Tour?

Wenn es vorbei ist, dann haben wir alle weniger Stress. (lacht) Nein, im Ernst: Zwei Tage vor Beginn wächst bei uns allen der Druck, aber ich bin sehr zufrieden mit unserer Organisation. Ich freue mich besonders auf die Zuschauer, ich erhoffe mir viele Menschen an der Strecke. Die Profis können von dieser Aufmerksamkeit nur weiter profitieren.

Gleichzeitig erhoffe ich mir, dass die Entwicklung des Radsports von diesem Event weiter verstärkt wird und Sponsoren nach aufmerksamer auf den Frauensport werden. Derzeit spüren wir das Interesse von Sponsoren, solche Dinge verstärkt zu unterstützen. Wir wollen also zeigen, dass das funktioniert und schön aussieht.

Wie sind Sie selbst zum Radsport gekommen? Und was hat Sie in den sportpolitischen Bereich geführt?

Ich bin erst spät zum Radsport gekommen, habe lange andere Sportarten ausgeführt. Die erste Berührung kam nach meinem Studium – ich habe Sport- und Eventmanagement studiert. Damals habe ich eine Stelle beim Bund Deutscher Radfahrer bekommen. Zwischen 2017 und 2020 habe ich für den BDR mehrere internationale und nationale Radsportmeisterschaften organisiert. In dieser Zeit sind meine Verbindungen in die lokale Radsportszene gewachsen. Ich bin der Meinung, dass wir mit den damaligen Veranstaltungen sehr viel für den regionalen Radsport getan haben.

Nachdem ich meine Arbeitsstelle gewechselt hatte, fand ich es sehr schade, zu sehen, wie schlecht es im Verband läuft und die Dinge, die wir vorangebracht hatten, wieder kaputt gehen. Durch Machtkämpfe und persönliche Streitigkeiten, Radsport stand dort nicht im Vordergrund. Ich muss sagen, dass ich vom Profil oder Bild her vermutlich nicht der typische Präsident bin. Ich werde bald 38 Jahre alt, bin also noch recht jung. Und auch als Nicht-Deutscher hat man in Verbänden oft nichts zu sagen. Politik ist auch nicht so meine Sache, ich bin eher ein Macher als ein Politiker.

Aber anscheinend hatte man im Verband genug von den großen, schönen Reden und wollte eine neue Richtung einschlagen. Nach knapp zwei Jahren im Amt kann ich stolz sagen, dass diese Richtung weiter besteht und wir weiter großen Zuspruch von unseren Vereinen erhalten. Die Entwicklung ist sichtbar.

Sie beim Berliner Radsportverband, Kay Bernstein bei Hertha BSC - womöglich wird es in Zukunft ja noch mehr untypische, weil jüngere Vereinspräsidenten geben.

Ohne darauf explizit zu achten, kommen wir von der typischen Konstellation - weißhaarige Männer - immer weiter weg. Ich bin aber kein Fan davon, es an die große Glocke zu hängen, dass wir zum Beispiel Frauenquoten bräuchten. Ich bin dafür, dass wir Bedingungen schaffen, in denen sich die Frauen wohlfühlen. Ich bin stolz darauf, dass wir zumindest zwei Frauen in unserer Geschäftsstelle zu haben, sowie eine Schatzmeisterin im Vorstand.

Wir haben weiterhin Leute über 70 Jahre in unserem Vorstand. Ich bin sehr dankbar für jene alten Leute und ihren großen Erfahrungsschatz. Das will ich unbedingt so halten, aber die Mischung muss stimmen. Wir brauchen ein bisschen von allem und sollen in der Lage sein, als Team zu funktionieren und gerade im Ehrenamt dabei Spaß zu haben. Es muss alles nicht so ernst sein. Auf der anderen Seite braucht man heutzutage junge Leute, da der Sport leider nicht mehr das ist, was er vor 30 bis 40 Jahren war. Es hat sich alles professionalisiert. Da kommt mir vermutlich die Kompetenz meines Studiums zugute. Junge Leute sehen den modernen Sport anders, diese Perspektive braucht es ebenfalls.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Marc Schwitzky.

Sendung: rbb24 Inforadio, 29.06.2023, 17:15 Uhr

1 Kommentar

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    Sportlich sein ist ok. Sport machen auch. Aber Leistungssportler entwickeln. Ne Sportkapitalismus ist genauso negativ wie anderer Kapitalismus auch

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