Interview | "Bottle Claus" nach Race Across America - "Ich bin psychisch fast daran zerbrochen"
Claus-Henning Schulke ist vor allem unter dem Spitznamen "Bottle Claus" als Wasserträger von Weltrekordhalter Kipchoge beim Berlin-Marathon bekannt. Nun hat der 57-Jährige selbst eine extreme sportliche Leistung vollbracht.
rbb: Herr Schulke, hinter Ihnen liegt eine enorme Herausforderung. Das „Race Across America“ (RAAM) gilt als eines der härtesten Radrennen der Welt. In nur 12 Tagen ging es 5.000 Kilometer von der West- zur Ostküste der USA. Die erste Frage also: Haben Sie es über die Ziellinie geschafft?
Claus-Henning Schulke: Ja, sogar in der vorgegebenen Zeit. Ich habe es tatsächlich geschafft und das war mein großer Traum. Auch wenn ich zwischenzeitlich mal Zweifel daran hatte.
Das ist keinesfalls selbstverständlich, oder?
In der Regel fallen um die 50 Prozent aus. Dieses Mal sind von den 30 Startern zehn nicht ins Ziel gekommen.
Wie war der Moment, als Sie die Ziellinie in Maryland überquerten?
Das war ein Mix aus totaler Erschöpfung und totaler Euphorie. Die größte Freude war, dass ich endlich meine Radschuhe ausziehen konnte, die mir doch sehr weh getan haben, und in meine Badeschlappen schlüpfen konnte (lacht). Es war schon sehr emotional und es sind auch drei Tränen geflossen, aber die habe ich dann schnell runtergeschluckt.
Die Strecke führte Sie unter anderem über die Rocky Mountains und Appalachen. 52.000 Meter Höhenunterschied waren insgesamt zu bewältigen. Waren die Gebirge die herausforderndsten Abschnitte für Sie?
Nein, für mich nicht. Ich war vorher sehr fleißig, was das Training der Höhenmeter anbelangt. Ich bin immer morgens und abends die Havelchaussee lang gefahren und habe da jeden Hügel mitgenommen. Für mich war die Prärie in Kansas das schwierigste. Da heißt es dann auf dem Radcomputer: Fahren Sie bitte 150 Kilometer geradeaus. Wenn du da noch Gegenwind hast, kriegst du einfach einen Rappel. Da bin ich fast psychisch dran zerbrochen. Also musste ich mal bei McDonalds anhalten und mir als Glücksbringer ein paar Pommes reinziehen. Und es gab eine Situation, wo ich mitten in der Nacht fünf Stunden durch Starkregen fahren musste. Da war ich ziemlich ausgekühlt und musste ins Begleitfahrzeug einsteigen, um mich wieder aufzuwärmen.
Gab es zwischendurch denn auch mal Zeit, sich von diesen anspruchsvollen Etappen zu erholen?
Eigentlich schafft man es nur innerhalb der zwölf Tage, wenn man sich maximal ein bis zwei Stunden Schlaf pro Nacht gönnt. Die ersten 40 Stunden bin ich komplett durchgefahren und habe mich dann an diese Vorgabe gehalten. Oft hatte ich nach dem Aufstehen dann ein paar Koordinationsprobleme gehabt und musste nochmal Powernaps von so 20 Minuten einlegen. Nur nach dem Regen habe ich mir mal vier Stunden Schlaf gegönnt, einfach auch, um die Körpertemperatur wieder hochzukriegen.
Dachten Sie zwischendurch auch mal ans Aufgeben oder war für Sie die ganze Zeit klar, dass Sie es schaffen werden?
Aufgeben kommt in meiner Wettkampf-Vita eigentlich nicht vor. Ich mache seit 40 Jahren Wettkampf-Sport und habe noch nie aufgegeben. Deswegen kam das hier auch nicht in Frage. Trotzdem war es ein Auf und Ab. Manchmal hilft bei mir dann einfach viel Schokolade und Eiscreme und schon ist die Motivation wieder da und es geht ab aufs Rad.
Gab es neben der ganzen körperlichen Belastung denn trotzdem auch Momente, in denen Sie einfach mal die Landschaft genießen konnten?
Ja, sehr häufig sogar. Das waren für mich auch die emotionalsten Momente. Wenn ich morgens um drei Uhr wieder aufs Fahrrad gestiegen bin, habe ich ab vier Uhr so einen leichten Schimmer der aufgehenden Sonne am Horizont gesehen. Wenig später ist dann alles in ein warmes Licht gehüllt. Da geht mir das Herz auf und ich musste morgens auch mal die ein oder andere Träne verdrücken, weil mich das emotional so mitgenommen hat. Und dann fährt man natürlich auch durch gigantische Landschaften. Zum Beispiel im Monument Valley, wo dann diese tollen Steinformationen in unterschiedlichen Rotfarben auftauchen, oder wenn du in der Prärie diese unglaubliche Weite hast, oder dann eben weiter Richtung Missouri, wo es sehr viel Grün und Wälder gibt. Das macht Radfahren für mich aus und bewegt mich immer sehr.
Unterstützt wurden Sie unter anderem von einer achtköpfigen Crew, die sie begleitet hat. Sonst sind Sie derjenige, der dem Top-Marathonläufer Eliud Kipchoge als Wasserträger in Berlin zu Bestleistungen verhilft. Wie hat es sich angefühlt, nun in der anderen Rolle zu stecken?
Das mit Kipchoge ist ja vor allem daraus geboren, dass ich selbst bei meinen Wettkämpfen immer so gute Unterstützung erfahren habe. Ich habe es auch beim RAAM wieder sehr genossen, und ohne das Team würde man auch nie in der vorgegebenen Zeit im Ziel ankommen. Wir haben uns gut verstanden. Aber es war auch für das Team herausfordernd. Das sind acht Leute, die sich vorher nicht kannten, die dann auf zehn Quadratmetern Wohnmobil ununterbrochen zusammen waren und mich begleitet haben. Die hatten dann keine Privatsphäre mehr. Es war also auch für sie ein harter Ritt.
Ist der Hunger nach Extremsport nun erstmal wieder gestillt, oder haben Sie schon die nächste Herausforderung im Kopf?
Ich grübele schon ein bisschen mit mir (lacht). Erstmal bin ich aber froh, dass es vorbei ist. Ich muss mich auch psychisch erstmal wieder ein bisschen sortieren und erholen. Das wird bestimmt vier bis sechs Wochen dauern. Dann mache ich meine Pläne für 2024. Und dann ist natürlich auch das RAAM wieder eine Option. Dieses Mal dann nicht nur unter dem Gesichtspunkt, überhaupt ins Ziel zu kommen, sondern vielleicht auch noch ein bisschen schneller zu sein.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Lukas Witte, rbb Sport.
Sendung: rbb24, 05.07.2023, 21:45 Uhr