Berliner Fußball - Nach dem CFC Hertha ist vor dem CFC Berlin

Mi 06.03.24 | 16:36 Uhr | Von Matthias Wolf
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Das Logo des Fußballvereins CFC Hertha 06 hinter Gitterstäben (IMAGO / Matthias Koch)
Bild: IMAGO / Matthias Koch

Nach der Auflösung des Charlottenburger Vereins plant ein neuer Vorstand die Neugründung. Großmannssucht und Antisemitismus-Affären sollen so auch wegradiert werden. Bis dahin wird der Nachwuchs bei anderen Vereinen quasi geparkt. Von Matthias Wolf

Es wird immer noch gebolzt auf dem Sportplatz Brahestraße. Ein Dutzend Kinder rennen am Nachmittag dem Ball hinterher. Über die Flure der angrenzenden Schule am Schloss kommt man prima aufs Gelände des ehemaligen Charlottenburger Fußballclubs Hertha 06. Von dem Verein ist aber nichts mehr übrig, außer dem ein oder anderen Wappen, das hier noch prangt.

Das nicht eröffnete Insolvenzverfahren mangels Masse hatte erst die Löschung aus dem Vereinsregister zur Folge, dann die Auflösung, den Zwangsabstieg der Herrenmannschaft aus der Oberliga – und den Ausschluss aus dem Berliner Fußball-Verband. Die über 600 Spieler, zumeist Kinder und Jugendliche, haben fast alle neue Vereine gefunden. Dafür habe er gesorgt, sagt Haldun Öztek, ehemaliger Jugendleiter, der aber nun betont: Nach dem CFC Hertha ist vor dem CFC Berlin.

"Viele Spieler warten darauf, dass es bei uns wieder weitergeht. Dann werden sie zurückkommen in ihre alte Heimat." Das soll schon im Frühsommer der Fall sein. Am kommenden Montag, so Öztek, hätten er und sein neuer siebenköpfiger Vorstand bereits einen Notartermin. Geplant ist die Neugründung als Charlottenburger FC Berlin, kurz CFC Berlin.

"Wir fangen mit neuem Namen ganz unten und klein wieder an", sagt Öztek: "Und ich bin sicher, wir werden schnell wieder wachsen." Vom Bezirk wird das Projekt begrüßt. Sportstadträtin Heike Schmitt-Schmelz betonte auf Anfrage: "Ich hatte die ganze Zeit über immer einen sehr guten Kontakt zu Herrn Öztek. Wenn sich dort wieder viele jener Spieler sammeln, die bisher im Verein waren, finden wir sicher eine Lösung."

Zum SC Borsigwalde und wieder zurück

Solch ein Weg ist kein neuer im Fußball, wenn Klubs pleitegingen. Und doch kommt er beim Charlottenburger FC für viele überraschend. Denn nach dem Aus verließ auch Haldun Öztek im Rekordtempo das gesunkene Schiff. Nur drei Tage, nachdem er noch 80 Kinder und Eltern für eine Demo vor dem Amtsgericht zusammengetrommelt hatte. Öztek wechselte, nach eigenen Angaben mit 18 Spielern seiner U17, zuletzt Verbandsliga, zum SC Borsigwalde. Öztek sagt, er habe Anfragen von mehreren Klubs erhalten, dann aber pragmatisch entschieden. "Nur Borsigwalde wollte uns komplett nehmen."

Andere, wie die Füchse Berlin Reinickendorf, ließen die Finger "von der Horde", wie der Fußball-Vorsitzende und Jugendleiter Pierre Schönknecht sagt: "Uns wurde die komplette A- und die B-Jugend angeboten. Aber wir wollen sowas nicht. Solche Massenwechsel zerstören bestehende Strukturen. Was sollen unsere Spieler denken, die schon da sind? Die schieben Frust. Und ob das charakterlich passt?" Er hatte Zweifel. "Solche Spieler sind schnell wieder weg."

Borsigwalde sah das anders, versuchte sich in der hölzernen Erklärung, man habe "ein soziales, aber natürlich auch ein sportliches Zeichen" setzen wollen. Aber letztlich nahm man nur die richtig Guten, die B-Jugendspieler aus der Verbandsliga und einen A-Jugendkicker. Öztek redet nicht lange drum herum: Auch im Jugendfußball regiere vielerorts Kurzfristigkeit und Kalkül: "Die Hoffnung von Borsigwalde ist, kurzfristig noch aufzusteigen. Mit mir als Trainer, der jetzt das Sagen hat - und meinen Spielern."

Doch schon am vergangenen Wochenende der erste Dämpfer: nur 2:2 in der Landesliga, beim Tabellenletzten SF Kladow. Und bei Öztek scheint indes schon knapp zwei Wochen nach dem öffentlichen Handschlag die Begeisterung verloren gegangen zu sein: "Der Verein hat mir auch die U17 für die neue Saison angeboten. Aber für mich ist am Saisonende hier wieder Schluss."

Ganze Mannschaften übernommen

Er wohne in Rudow, der Weg sei zu weit, er fühle sich nicht wohl in den Strukturen bei Borsigwalde. "Für mich war das immer nur eine Übergangslösung." Obendrein wolle er auf sein Herz hören. "Hertha-Eltern rufen mich ständig an, ihre Kinder wollen ihre alte fußballerische Heimat wieder haben." Die Minis, F- E-, D- und C-Junioren habe er, teilweise nahezu als komplette Teams, in andere Klubs wie die SpVgg Tiergarten oder zum Berliner AK und SC Charlottenburg vermittelt.

Seine A-Jugend, bärenstark, zuvor ohne Punktverlust in der Bezirksliga, kam mit elf Spielern beim Berliner FC Dynamo in der U18 unter. Dort spricht Nachwuchsleiter Sven Franke von einer "Win-Win-Situation. Wir hatten bei unserer Mannschaft Querelen, Abgänge im Winter und ständig Trainer-Probleme. Aber wir wollen unbedingt noch die Klasse halten". Auch er nahm somit das ganze Paket, inklusive Trainergespann von Hertha 06.

Sinnigerweise sind die ehemaligen Herthaner, die Öztek dereinst allesamt an die Brahestraße gelotst hatte, damit ein Konkurrent von Borsigwalde im Verbandsliga-Abstiegskampf der A-Junioren. "So ist eben der Fußball", sagt Haldun Öztek lapidar und lächelt. Viele Spieler denken heutzutage nur noch in Spielklassen, der Verein ist ihnen im Grunde egal. Obwohl das bei Öztek selbst nun auch für viele so wirkt, sagt er: nein, er sei anders. Er vermisse das Hertha-Feeling, den Kiez, die Brahestraße.

Verschleppte Finanzprobleme

Der 38-Jährige verdient sein Geld mit einer Shisha-Bar und als Transportunternehmer. Er plant nun quasi auf den Ruinen in Charlottenburg einen kompletten Neubau. Frisch designtes Wappen, neue Vereinsfarben – und mindestens zwei Jahre keine Männermannschaft. "Volle Konzentration auf die Jugend."

Das war tatsächlich schon seine Devise, als Vereinschef Ergün Cakir ihn im Sommer 2022 zu Hertha 06 lotste. Öztek machte danach aus wenig sehr viel – im Schatten des Alleinherrschers Cakirs, der längst vergessen hatte, dass auch er in dem Verein mal als Jugendtrainer angefangen hatte. Unter Haldun Öztek änderte sich vieles – und es kamen über 200 neue Spieler. Am Ende aber sei durch die Großmannssucht von Cakir, der mit viel Geld von der Landes-, Verbands- und Oberliga bis in die Regionalliga marschieren wollte, alles kaputt gemacht worden.

Unser Traum wurde zerstört. Die Jugend hat am Ende dafür geblutet, dass für Cakir immer nur die Männer wichtig waren und er so getan hat, als löse er alle Finanzprobleme.

Haldun Öztek

Cakir habe lange ein Geheimnis daraus gemacht, dass es auch ihm beruflich nicht mehr gut gehe. Auch das nehme er ihm übel: "Unser Traum wurde zerstört. Die Jugend hat am Ende dafür geblutet, dass für Cakir immer nur die Männer wichtig waren und er so getan hat, als löse er alle Finanzprobleme." Am Ende ging es angeblich um rund 30.000 Euro Verbindlichkeiten beim Fiskus, den Krankenkassen und der Berufsgenossenschaft.

"Alles Versäumnisse der Männerabteilung. Hätte man sich rechtzeitig gekümmert, hätte sich die Insolvenz vermeiden lassen." Doch Kritiker sagen: Öztek, zuletzt Jugendleiter und Kassenwart des Vereins, könne nicht ahnungslos gewesen sein. Er bestätigt zumindest, es habe auch um das von ihm eingerichtet Jugendkonto Ärger gegeben. Er sei ein wenig naiv gewesen. Im Insolvenzverfahren Hertha 06 wird jedenfalls von den Behörden noch ermittelt.

Distanzierung von Cakir

Über Cakir, an dessen Seite er während der Antisemitismus-Affäre lange eng stand, verliert Öztek jedenfalls mittlerweile kein gutes Wort mehr. Das ist durchaus auch taktisch geschickt, weil genau das die Bezirksverwaltung immer erwartet hat: eine volle Distanzierung des Vereins von seinem Patron. Öztek wird in den nächsten Tagen einen Termin bei der Sportstadträtin Heike Schmitt-Schmelz bekommen. Was er von Schmitt-Schmelz will, die gegen den Verein nach dem Antisemitismus-Vorfall sehr konsequent vorging? Den Sportplatz Brahestraße zurück, möglichst schon im Mai – und Fördermittel.

"Nach dem Sportfördergesetz können wir aktuell keine Zusagen an einen Verein machen, der sich gerade aufgelöst hat", sagt Schmitt-Schmelz, die allerdings auch nach dem Antisemitismus-Fall bereits Haldun Öztek als Privatperson die Pacht des von ihr zwischenzeitlich geschlossenen Vereinscasinos genehmigt hatte, "aber ich denke, wir werden eine Lösung finden."

Das klingt wohlwollend. Ihr Eindruck: Der harte Kern des Hertha-Vorstandes um Cakir habe sich verabschiedet, die neuen Kräfte machen auf sie einen guten Eindruck: "Herr Öztek hat ein Leitbild verabschiedet und sich von Antisemitismus und Ausgrenzung distanziert. Das sieht erstmal gut aus." Öztek sagt: Man wolle langsam wieder wachsen, möglichst am alten Standort. Er selbst werde zweiter Vorsitzender, Veysel Sayilgan solle Schatzmeister werden. Mit Bryan Lieberam, 21 Jahre alt, werde ein Student, ein talentierter Wasserball-Spieler, den Vorsitz übernehmen. Öztek: "Wir wollen jung und frisch daherkommen. Alles Negative abwerfen, was Hertha 06 angehaftet hat."

Sendung: rbb24, 06.03.2024, 21:45 Uhr

Beitrag von Matthias Wolf

2 Kommentare

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  1. 2.

    Wer sich vorstellen kann bzw. vor hat, Veysel Sayilgan als Schatzmeister einzustellen, der kann meiner Meinung nach keinen Verein leiten.

    Herr Sayilgan pfeift gelegentlich Fußballspiele, bei denen er mit den abstrusesten Entscheidungen für Verwirrung sorgt. Noch schwerwiegender ist, dass er in der gleichen Tätigkeit dermaßen respektlos ist, dass man als Spieler schlicht und ergreifend nur noch den Kopf schütteln kann. Einfordern tut er jedoch selbst stets Respekt.

    Ich war live dabei, als er einen Spieler des gegnerischen Teams, der ihn zu einer Entscheidung befragte, nach dem Spiel als Abschaum betitelte, um das anschließend noch auf alle beteiligten Spieler des Spiels zu beziehen.

  2. 1.

    Den komischen Namen Hertha ablegen ist schon mal eine gut Idee.

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