Analyse | Hertha verliert in Darmstadt - Ein Spiegelbild der bisherigen Saison

So 10.11.24 | 14:04 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Herthas Jonjoe Kenny ist nach der Niederlage in Darmstadt frustriert. (Foto: IMAGO / HMB-Media)
Audio: rbb24 | 10.11.2024 | Jakob Rüger | Bild: IMAGO / HMB-Media

Wieder eine Niederlage für Hertha BSC, wieder war die Leistung keinesfalls schlecht. Das verschenkte Potenzial und die wiederkehrenden Probleme gegen den SV Darmstadt stehen sinnbildlich für die Stolpersteine der bisherigen Saison. Von Marc Schwitzky

Ein Angriff wie ein Gedicht. Hertha BSC baut in der 21. Minute das Spiel beginnend bei Torhüter Tjark Ernst auf. Berlins Keeper lockt die Angreifer des SV Darmstadt auf dem Ball stehend an, wartet, bis jene sich für ein erstes Pressing vorwagen. Als dies passiert, spielt Ernst den Ball rechts im Strafraum zu Pascal Klemens, der die Kugel annimmt und sie direkt zwischen zwei Darmstädter hindurch auf den tief entgegengekommenen Kevin Sessa weiterleitet. Der Mittelfeldspieler benötigt ebenfalls nur zwei Kontakte, um den Ball mehrere Meter vertikal zu Ibrahim Maza zu passen.

Innerhalb von wenigen Sekunden sind damit bereits vier Gegenspieler überspielt, so dass Maza viel Wiese vor sich hat. Herthas Eigengewächs trägt den Ball über die Mittellinie und spielt ihn weiter auf Linksaußen Derry Scherhant. Der Angreifer hat aufgrund der Direktheit des Vorstoßes nur noch den gegnerischen Außenverteidiger vor sich, läuft mit Tempo auf diesen zu und letztendlich im Strafraum an ihm vorbei. Scherhants flache Hereingabe findet den lauernden Florian Niederlechner, der zur 1:0-Führung einschiebt.

Es ist der perfekte Angriff. Eine herausragende Symbiose aus direktem Spiel, idealer Passschärfe und einstudiertem Positionsspiel – Gegner Darmstadt hat wenig bis nichts entgegenzusetzen. Es ist ein Angriff, der Herthas großes Potenzial aufzeigt und somit gleichzeitig die Frage aufwirft: Warum denn nicht immer so?

Das Potenzial ist da

"Wir sind super reingekommen, haben unseren Plan wie gewollt umgesetzt und die verdiente Führung erzielt", befand Hertha-Trainer Cristian Fiél nach dem Spiel. Der Berliner Übungsleiter hatte die anspruchsvolle Aufgabe, drei Ausfälle zu kompensieren. Marton Dardai fehlte gelbgesperrt, Kapitän Toni Leistner und Defensiv-Allrounder Michal Karbownik gesellten sich nach der Niederlage gegen den 1. FC Köln zum bereits prall gefüllten Lazarett des Hauptstadtklubs. Fiél musste durch insgesamt neun Ausfälle improvisieren und mit Klemens, Jonjoe Kenny und Deyovaisio Zeefuik eine Dreierkette darbieten, die es in jener Form wohl nie wieder geben wird.

Doch trotz der ungewohnten Zusammenstellung der Startelf legten die Blau-Weißen eine überaus starke erste halbe Stunde hin, in der auch der Führungstreffer fiel. Mit Ball setzten die Berliner immer wieder gute Nadelstiche, aus denen mehr als nur ein Tor hätte entstehen können. Gegen den Ball verteidigte Hertha, das beinahe nur aus offensivdenkenden Spielern bestand, sehr griffig und mutig. "Es war wichtig, dass wir Darmstadt nicht das Zentrum überlassen. Das haben wir in der ersten Halbzeit super gemacht", erklärt Fiél.

Trotz der vielen fehlenden Spieler wurde das Potenzial der Hertha-Mannschaft über 30 Minuten klar ersichtlich: Ist Hertha voll bei sich, ist die "alte Dame" in der 2. Bundesliga spielerisch kaum aufzuhalten und defensiv mindestens ordentlich. Dann bereiten die Hauptstädter jedem Gegner in der Liga große Probleme, auch formstarken Darmstädtern. "Am Ende haben dann einfach die Tore gefehlt", bilanzierte Palko Dardai nüchtern.

Konstant ist nur die Inkonstanz

Und so endete Begegnung trotz allerlei guten Ansätzen mit einer 1:3-Niederlage für Hertha. Die Gründe dafür sind vielschichtig und begleiten die Berliner schon die gesamte Saison.

Zum einen sorgen anhaltende personelle Probleme dafür, dass sich keine Stammelf einspielen und dadurch an Sicherheit wie Konstanz gewinnen kann. Fehlende Feinabstimmung sorgt immer wieder dafür, dass Hertha innerhalb von Spielen immer wieder früher oder später ins Straucheln gerät – auch weil Druckphasen weniger resilient überstanden werden. Als Darmstadt taktisch umstellte und erste Angriffswellen startete, war zu erkennen, wie jeder Vorstoß etwas vom Berliner Selbstvertrauen abtrug. So gerät Hertha – wie auch am Samstagmittag gesehen – oft in Phasen der Passivität, das eigene Spiel wird nicht mehr konsequent und mutig durchgebracht. Das Selbstverständnis fehlt, Fiéls geforderter Fußball verwässert.

Das liegt auch an der fehlenden Reife des Hertha-Kaders. Derzeit fehlen mit Fabian Reese, Toni Leistner, Diego Demme, Jeremy Dudziak und John Anthony Brooks gleich mehrere erfahrene Spieler, die Verantwortung übernehmen und vorangehen. Dazu brachen mit Marc Oliver Kempf und Haris Tabakovic kurz vor Ende der Transferperiode, also mitten in der Saison, zwei eingeplante zentrale Säulen weg. Linus Gechter und Karbownik sind ebenfalls wichtige Faktoren im System Fiél.

Durch die vielen Verletzungen ist es dem Trainerteam bislang nicht gelungen, eine neue stabile Achse zu bauen. Meist müssen überaus junge Spieler wie Scherhant, Maza, Klemens oder Ernst Verantwortung übernehmen, doch den Profi-Neulingen fehlt naturgemäß noch die Beständigkeit in ihren Leistungen.

Und dann kommt auch noch Pech dazu

Und so gelang es auch in Darmstadt nicht, das zunächst gezeigte Niveau zu halten. "Man sieht, dass die Jungs investieren und versuchen, alles umzusetzen und Spiele zu gewinnen. Heute war die ein oder andere Situation nicht auf unserer Seite", zeigte sich Fiél verständnisvoll. "Wir haben kein schlechtes Spiel abgeliefert, aber hatten in den entscheidenden Aktionen nicht das nötige Glück – so zum Beispiel bei dem aberkannten Treffer", pflichtete Palko Dardai bei.

Ist im Vorhinein klar, dass man den Gegner nicht über 90 Minuten dominieren kann, wird es nebst Leidensfähigkeit auch etwas Glück und einen gut aufgelegten Torhüter brauchen, um das Spiel mit einem Punktgewinn beenden zu können – beides hatte Hertha am 12. Spieltag nicht. Der 1:1-Ausgleich kurz vor der Halbzeitpause war ein zweifach abgefälschter Distanzschuss, der höchst unglücklich seinen Weg ins Tor fand. Torhüter Ernst hatte hier keine Chance, sah aber bei den beiden folgenden Gegentoren alles andere als gut aus. Beim 2:1 hätte er seinen körperlich unterlegenen Aushilfsinnenverteidiger Kenny unterstützen müssen, indem er die hineinsegelnde Flanke durch ein bemühtes Herauslaufen hätte abfangen oder zumindest den köpfenden Torschützen stören müssen. Der Distanztreffer aus 25 Metern zum 3:1-Endstand war schlichtweg haltbar, Ernst hätte parieren müssen.

Zuerst hatte Hertha kein Glück, als der vermeintliche Treffer von Jon Dagur Thorsteinsson zur 2:1-Führung Herthas in der 51. Minute aufgrund einer minimalen Armberührung des Balles annulliert wurde. Und dann kam auch noch Pech bei den Gegentreffern und dem rabenschwarzen Tag Ernsts hinzu. Die Leiden des jungen Torwarts – und der "alten Dame".

Das Hertha-Dilemma

Die Niederlage in Darmstadt hat zwei Dinge gezeigt, die Hertha bereits die gesamte Saison begleiten: Die spielerische Anlage unter Trainer Fiél funktioniert grundsätzlich und blitzt – wie beim 1:0-Treffer – immer wieder auf; allerdings reichen jene Ansätze oft nicht aus, um ein Spiel über einen entscheidenden Teil der Spielzeit für sich gestalten zu können. Durch mangelnde Konstanz, fehlende Effizienz vor dem Tor und zu einfache Gegentreffer stellt sich Hertha immer wieder selbst ein Bein. Das Leistungsintervall ist derzeit noch zu groß.

Für jenen Spiel- und Saisonverlauf gibt es klar ersichtliche und logische Erklärungen. Erklärungen, die es schwer machen, Mannschaft und Trainerteam einen Strick daraus zu drehen – doch all das wird beinahe schon nebensächlich, wenn die Ergebnisse zu oft ausbleiben und die angepeilten Aufstiegsränge in weitere Ferne rücken. Hertha steckt in dem Dilemma, Zeit für eine natürliche Entwicklung zu benötigen, aber durch sportlich-wirtschaftlichen Druck keine Zeit zu haben.

So kommt die Länderspielpause gerade gelegen, Hertha hat sich in die Saisonunterbrechung geschleppt. "Bei dem einen oder anderen hat man heute gesehen, dass er auf der letzten Rille läuft", so Fiél am Samstagnachmittag. "Deshalb müssen wir die Länderspielpause jetzt gut planen. Dem einen oder anderen etwas Ruhe gönnen, um dann nächste Woche wieder Vollgas aufs nächste Spiel zu gehen." Vollgas wird nötig sein, um die Konkurrenz nicht davonfahren zu lassen.

Sendung: rbb UM6, 10.11.2024, 18 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

15 Kommentare

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  1. 15.

    Ich weiß echt nicht was sie hören wollen.
    Mittefeldplatz als Spitzenplatz ansehen ?
    Hertha BSC spielt ganz einfach nicht konstant genug auf gutem Niveau, sodass der 11. Platz schon in Ordnung geht.
    Mit dieser Mannschaft mit solch instabilen Leistungen, mal gut mal schlecht ist kein Erfolgreicher Aufstiegskampf möglich.
    Hertha hat lediglich das Glück das die Tabelle sehr eng ist.

  2. 14.

    Mich hat irritiert, das Fielo so spät wechselte und wie er wechselte...
    Wenn ich merke, das ich die Flanken von außen nicht verteidigen werden können, wechsel ich doch einen der beiden IV aus der U23 ein, einer von den beiden ist doch auch um die 1,90.
    Dann habe ich die AV zum verhindern der Flanken und kann den Fliegenfänger im Tor bei hohen Bällen unterstützen...

  3. 13.

    Der Kommentar auf den ich mich bezog, nannte aber keine Gründe, sondern ging wahrscheinlich nur von seinem Vorurteilen aus. Fachliche Gründe - da sind wir uns einig. Fußballeische.

  4. 12.

    Natürlich gibt es dafür Gründe, genau aus diesen Gründen heraus stehen sie ja zurecht dort.
    Allerdings haben sie noch alle Möglichkeiten und eine gute Truppe, deswegen bleibe ich optimistisch.
    Hoffentlich fliegt uns nicht kommenden Sonntag wieder irgendwas in der Versammlung um die Ohren und der Berliner Weg kann fortgesetzt werden.
    Ha Ho He

  5. 11.

    So eine gelungene und ausgewogene fachliche Analyse und dann so ein dämlicher Kommentar. Warum? Was tragen Sie zur Diskussion hier bei? Was sind die Maßstäbe dafür, dass die Hertha zu Recht da steht wo sie steht?
    Der Artikel zeigt ja gerade auf, dass es nicht so ist, sondern dass es mehrere Gründe sind die bereits länger Probleme bereiten.

  6. 10.

    Nach 12 Spielen lediglich 17 von 36 möglichen Punkten sieht überhaupt nicht gut aus und kann den Ansprüchen nicht genügen...
    ...allerdings sind es nur 5 Pkt. bus zim Tabellenführer und die Saison ist noch lang - aber Obacht: so richtig weit ist das Tabellenende auch nicht weg!

  7. 9.

    Manche lesen wohl „Hertha“ und schon zuckt es in den Fingern und man muss erstmal eine Runde über Hertha herfallen.
    Dabei hat dieser Bericht, vielen Dank dem Kolumnisten, sehr genau aufgezeigt, was die Hauptgründe für die manchmal bedenkliche Leistung der Mannschaft ist: mindestens 9 gravierende Ausfälle, die von jungen, unerfahrenen Spielern, übrigens aus der eigenen Akademie, aufgefangen werden müssen. Gerade in der Abwehr ist Erfahrung durch nicht zu ersetzen. Also Kopf hoch, Hertha.

  8. 8.

    Wo stehen 2 Heimspiele an ?
    In den nächsten 7 Pflichtspielen gibt es 2 Heimspiele.
    Der Vorsprung auf die Abstiegsplätze ist auch nicht sehr üppig.

  9. 6.

    Hallo Andreas, das sehe ich genauso- wenn sich unser Lazarett leert ist alles drin.

  10. 5.

    Abstieg? Wie realitätsfern ist das denn bitte? Dafür gibt es Clubs wie Gelsenkirchen. Ein Blick auf die Tabelle verrät dass Hertha nur 5 Punkte hinter dem Tabellenführer steht, nur 4 hinter einem Aufstiegsplatz. Es stehen 2 Heimspiele gegen Aufsteiger an und 2 Spiele bei Clubs bei denen es gerade weniger läuft. Es ist alles drin.
    Es ist nur zu hoffen dass Hertha in der Rückrunde von derartigem Verletzungspech verschont bleibt.

  11. 4.

    Ja was will man machen.
    Der Anspruch vieler Herthaner und die Realität liegen halt weit auseinander.
    Hertha steht schon Hochverdient dort wo sie gerade sind.

  12. 3.

    Sicher nicht gut; es war aber schon schlimmer. Wer von 3.Liga fabuliert, hat wohl, außer Bosheit, keinen Durchblick. Andere beleidigen geht ja immer; für mich echter Kinderkram gepaart mit Blödheit und mangelnder Fairness.

  13. 2.

    Eine erneute Pleite, die zeigt, dass die Dame hinten zu sorglos oder ungenügend agiert. Auch andere, wie der HSV, Düsseldorf oder Köln haben schon solche Dinger fabriziert, aber bei Hertha gibt es scheinbar für hinten keinen Lernfortschritt. Der Ausfall vieler Defensivspieler trägt sicher dazu bei, greift als Erklärung aber zu kurz: Auch wenn die dabei waren, gab es Defensivchaos. Dies ist eindeutig eine Traineraufgabe, die Fiel bis jetzt nicht zu lösen vermochte. SO kann man den Aufstieg vergessen.

  14. 1.

    Tragisch wäre ein Abstieg Herthas.

    Es ist die 5.Niederlage der Saison nach einem Drittel der Saison und welche der zahlreich möglichen Ausreden nach den Spielen jeweils herhalten müssen, entscheiden die zahlreich möglichen Situtionen und Spielverläufe.

    Festzustellen bleibt nach der 5.Niederlage der Saison, daß Hertha wohl auch 2024/25 weiter von der Bundesligatauglichkeit entfernt ist, als vielen lieb ist.

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