Erstmalig in Brandenburg - Golßen will raus aus dem Amt Unterspreewald und sich selbst verwalten

Fr 11.08.23 | 14:44 Uhr
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Autos fahren am Marktplatz Golßen vorbei (Foto: rbb/Screenshot)
Audio: Antenne Brandenburg | 11.08.2023 | Daniel Friedrich | Bild: rbb/Screenshot

Viele kleine Gemeinden schlossen sich in den 1990ern zu einem Amt zusammen, um leistungsfähiger zu sein und Geld zu sparen. Nun will mit Golßen erstmals eine Brandenburger Gemeinde wieder raus aus dem Amt. Geht das? Von Daniel Friedrich

Auf dem Marktplatz von Golßen (Dahme-Spreewald) hängen die Wappen des Amtes Unterspreewald und der Stadt Golßen noch dicht nebeneinander. Doch die Mehrheit der Stadtverordneten will die Scheidung.

"Weil das Rathaus gefühlt leergezogen ist", sagt Ronny Schulz von der Unabhängigen Bürgerliste (UBL). Diese hatte die Beschlussvorlage eingebracht, unterstützt von der AfD. "Es gibt hier nur noch eins von vier Fachämtern", so Schulz. "Und mit so einer hohen Amtsumlage, die wir jetzt zahlen, kann man sicherlich die Pflichtaufgaben und die eigene Verwaltung bezahlen."

Stadtverordnete von Golßen sitzen zusammen, im Vordergrund liegt auf dem Tisch die Beschlussvorlage zum Austritt aus dem Amt Unterspreewald (Foto: rbb/Screenshot)
Die Stadtverordnetenversammlung am 27.07.2023 | Bild: rbb/Screenshot

Am 27. Juli stimmten schließlich neun Stadtverordnete für den Austritt, sechs dagegen. Damit wurde auch der Amtsdirektor beauftragt, den Vertrag zwischen Golßen und dem Amt zu kündigen. Alles, was die beiden Parteien verbindet, soll getrennt werden, unter anderem Gebäude und Vermögenswerte. Laut dem Brandenburger Innenministerium wäre es landesweit der erste Fall einer Trennung aus einem Amt.

Ungewisser Blick in Glaskugel

Seit zehn Jahren gehört Golßen zum Amt Unterspreewald. Die Stadt ist die finanzkräftigste Gemeinde und schultert einen Großteil der Amtsumlage. Deshalb sei der Zusammenschluss damals keine Liebesheirat gewesen, ist bis heute zu hören.

Das fast leere Rathaus ist nur eins der Argumente für eine Trennung, die die UBL dem rbb nennt. Die Golßener könnten bei einer Selbständigkeit außerdem ihren Bürgermeister direkt wählen, was für Bürgernähe und Transparenz sorgen würde, so die UBL. Sie kritisiert auch, dass Projekte, die die Amtsverwaltung in Golßen umsetzen will, verzögert werden würden oder Prioritäten in anderen Gemeinden gesetzt würden.

Bürgermeisterin Daniela Maurer im Interview mit dem rbb auf dem Marktplatz (Foto: rbb/Screenshot)
Bürgermeisterin Daniela Maurer | Bild: rbb/Screenshot

Trotz aller Argumente argumentiert Bürgermeisterin Daniela Maurer (SPD) gegen den Austritt von Golßen aus dem Amt. "Was uns jetzt nicht gefällt, ist, dass es mit einer Schnelligkeit vorangetrieben wird". Es sei wie ein Blick in die Glaskugel, bei dem man noch nicht wisse, ob es funktioniere, so Maurer.

Würde Golßen selbständig werden, müsste die Stadt eine eigene Verwaltung aufbauen und alle Aufgaben, aber auch die Kosten dafür selbst übernehmen.

Blick aus der Froschperspektive auf den Wappenbaum von Golßen (Foto: rbb/Screenshot)
Wappenbaum auf dem Marktplatz, ganz oben sind die Wappen von Golßen und dem Amt Unterspreewald | Bild: rbb/Screenshot

Gespaltene Meinungen in Golßen

Auch die Meinungen der Golßener Einwohner sind verschieden. "Ich befürworte es total", sagt Torsten Birkholz, der seit knapp zwei Jahren in der Stadt wohnt. "Es ist bürgernäher. Wenn jeder für sich ist, kann sich jeder um seinen Bereich kümmern", so Birkholz. "Wenn das Amt zu groß ist, muss man auf zu vielen Hochzeiten tanzen und da gehen meiner Meinung nach Sachen unter."

Ein wenig anders sieht das Romy Fischer. "Ich bin eigentlich momentan zufrieden, wie es ist." Das Argument, dass bei einer Selbstverwaltung mehr Bürgernähe entstehen und über Geld selbst bestimmt werden könnte, könne sie aber nachvollziehen. "Das klingt schon relativ positiv", so Fischer. "Das ist wahrscheinlich auch für die älteren ganz gut, die nicht so mobil sind."

Jens Kolan äußert sich dagegen klar dafür, dass Golßen im Amt Unterspreewald bleibt. "Ich denke, dass man den Kontakt zum Spreewald verliert, wenn man wieder eigenständig [wird]", so der ehemalige UBL-Stadtverordnete. Außerdem wäre Golßen durch seine Lage "dann so verloren in einem geografischen Loch". Die Stadt liegt im südlichen Teil des Kreises Dahme-Spreewald, grenzt an Teltow-Fläming und auch der "Elbe-Elster-Kreis ist unweit", so Kolan.

Austritt mit Hürden

Den Austritt aus dem Amt Unterspreewald haben die Stadtverordneten zwar beschlossen, doch er ist nur unter der Voraussetzung möglich, dass alle anderen Kommunen im Amt nichts dagegen haben, sagt Susanne Rieckhof von der Kommunalaufsicht des Landkreises Dahme-Spreewald. "Es müssten die neun anderen Kommunen auch jeweils eine entsprechende Zustimmung erteilen."

Und so hat Amtsdirektor Marco Kehling den Bbeschluss der Stadtverordneten erst einmal beanstandet und an sie zurückverwiesen. Mit den anderen Kommunen im Amt muss nun zunächst gesprochen werden. Doch dass sie der Scheidung von Golßen zustimmen, ist höchst unwahrscheinlich. Denn die anderen Gemeinden hätten wohl finanziell das Nachsehen.

Sendung: Antenne Brandenburg, 11.08.2023, 14:10 Uhr

11 Kommentare

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  1. 11.

    Nun ja, bei der EU ist wohl das Problem zu sehen, dass
    aus Brüssel immer mehr in die Politik der Nationalstaaten eingegriffen wird, und das durch Verordnungen der Kommission und nicht durch das gewählte Parlament. Da ist eine kritische Betrachtung durchaus angebracht.

  2. 10.

    Das Ganze erinnert mich an den mal geplanten Zusammenschluß von Berlin mit Brandenburg. Hätte es da auch eine Möglichkeit gegeben das wieder Rückgängig zu machen, wenn sich die erhofften Effekte dann doch nicht einstellen würden? Allg.: Unter welchen Umständen können sich eigentlich zusammengeschlossenen Länder in Deutschland wieder trennen?

  3. 9.

    "Eine 2500 EW Gemeinde mal eben eine funktionierende Selbstverwaltung aufbauen mit dem ganzen Rattenschwanz der hinten dran hängt" Aber das muß es doch vor dem Zusammenschluß auch schon gegeben haben, die Kosten und wie man das macht dürften also bekannt sein.
    Trotzdem finde ich die Hürde für einen möglichen Austritt zu hoch, wenn dafür alle (!) anderen zustimmen müssen - hohe Hürde ist aus den von Ihnen genannten Gründen richtig, aber nicht unerrreichbar hoch.

  4. 8.

    Zusammenschluss, um leistungsfähiger zu werden und Geld zu sparen? Na ganz so war's wohl nicht. Es wurde mit Geld gelockt für Zusammenschlüsse. Die DDR-Wirtschaft lag brach und Kanzler Kohl sprach von blühenden Landschaften. Wenn ich mich recht erinnere, schwirrte die magische Zahl von mindestens 5.000 Einwohnern herum, die für Eigenverwaltung eines Amt/einer Stadt nötig seien. So wurde die Fusion ein Muss. Geografisch liegt Golßen direkt an den B 96 und B 115, nah an der A13 und hat einen Bahnhof. Ein geografisches Loch mit dieser Infrastruktur wäre ein Traum vieler Städte. Und was Industrieansiedlung betrifft, muss sich Golßen nicht verstecken, da ist in 30 Jahren mehr passiert als anderswo, auch schon vor der Zwangsehe und übrigens auch vor der AfD, die hier angeblich die Scheidung provoziert. Die AfD hatte definitiv nicht das Stück Lehm in der Hand und daraus die Erde geformt, auch nicht Golßen als Enklave!

  5. 7.

    Ich wünsche der Gemeinde viel Glück. Das Problem ist auch in einigen Einheitsgemeinden in Sachsen-Anhalt zu sehen. Die kleinen Gemeinden bekommen kaum finanzielle Mittel, während die Hauptgemeinde das meiste abbekommt. (z.B.: Wackersleben / Hötensleben ).

  6. 6.

    Hallo Matthias,
    genauso sehe ich es auch was UK betrifft. Ich kann mich noch an einen Bericht in der BBC erinnern, da wurde gesagt daß die meißten Leute die vorher pro Brexit waren, ihre Meinung geändert haben. Vor allem haben die dort Probleme beim LKW-Transport von/zur Insel an den Grenzübergängen Calais/Dover, dann sind die Regale nicht mehr so gefüllt und es fehlt an allen Ecken und Kanten. Ich bin nämlich BBC-Stammhörer und habe einige Freunde dort. Deshalb bin ich immer up to date.
    Dann noch ein schönes Wochenende

  7. 5.

    Hier zeigt sich die Ambition nur noch an sich zu denken! Im Kleinen! Was als nächstes? Austritt Brandenburgs aus der Bundesrepublik? Deutschland aus der EU? Achja, das wird ja schon gefordert!
    So ein Zusammenschluß soll nicht nur verwaltungstechnische Gründe haben. Es sollte auch ein Solidargedanke darstellen!
    Aber der Solidargedanke wird von den sog. völkischen Patrioten schon immer Füssen getreten! Arme Menschheit...

  8. 4.

    Ich denke in UK wünscht sich inzwischen so mancher dass es so ein Veto gegeben hätte.
    Wäre ein guter Weg gewesen ohne Gesichtsverlust den Brexit zu vermeiden.
    Eine Interessengemeinschaft wird stärker, wenn die Hürden für Zugang und Austritt hoch sind. Sonst könnte ja jeder ein paar Jahre die Vorzüge genießen und wenn es mal schwierig wird sagen: Auf Wiedersehen, war schön gewesen.
    Für den vorliegenden Fall dürfte das Erwachen auch recht schnell kommen.
    Eine 2500 EW Gemeinde mal eben eine funktionierende Selbstverwaltung aufbauen mit dem ganzen Rattenschwanz der hinten dran hängt und dem zu erwartenden wenig Entgegenkommen der anderen.

  9. 3.

    "Doch dass sie der Scheidung von Golßen zustimmen, ist höchst unwahrscheinlich. Denn die anderen Gemeinden hätten wohl finanziell das Nachsehen." Wenn die EU auch so strukturiert wäre, hätte UK niemals wieder austreten können, da sicher irgendwein Mitglied sein Veto eingelegt hätte wegen der Befürchtung eigener Einbußen dadurch. Ich finde das keine sinnvolle Konstruktion für eine Austrittsmöglichkeit.

  10. 2.

    Ohh, eine Gemeinde mit Überschuss an Verwaltungskräften, die urplötzlich eine eigene, funktionierende Verwaltung aufbauen können!

    *ironieoff*

    Dies zeigt doch, welche(Fach-)Kompetenz bei den Stadtverordneten regelmäßig herrscht, nicht nur in Golßen, und offenbar nicht nur bei der AfD...

  11. 1.

    Ich denke, in Golßen überschätzen die Separatisten ihre Fähigkeiten. Dass die AFD bei solch einer lebensfremden Sache mitspielt war klar. Weil die anderen Gemeinden da nicht zustimmen, ist es eine Aktion für die Galerie, eine heiße Luft, eine träumerische Eskapade.

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