Arbeitslosigkeit sinkt am stärksten in Brandenburg - Warum in Brandenburg jetzt die blühenden Landschaften kommen könnten
Selbst die Corona-Pandemie kann dem sich ankündigenden Wirtschaftsaufschwung in Brandenburg wenig anhaben. 2022 soll die rekordniedrige Arbeitslosigkeit nochmals sinken - stärker als in jedem anderen Bundesland. Von Dominik Ritter-Wurnig
DB-Bahnwerk in Cottbus: 1.200 neue Jobs. Lithiumhydroxidfabrik von Rock Tech Lithium in Guben: 160 neue Jobs. BASF-Kathodenfabrik in Schwarzheide: 150 neue Jobs. Innovationszentrum Uni-Medizin in Cottbus: 1.600 neue Jobs. Tesla-Autofabrik in Grünheide: 12.000 neue Jobs.
In den vergangenen Monaten wurden Tausende neue Arbeitsplätze in Brandenburg angekündigt - manches davon wird sich erst bis 2024 manifestieren oder ist noch nicht in trockenen Tüchern.
Das ist die eine Seite. Am Horizont lauert in der Lausitz aber zugleich das Ende der Braunkohle mit wegfallenden Arbeitsplätzen - und zuletzt fielen bei Vestas in Lauchhammer 460 Stellen weg.
Geht man nun einen Schritt zurück und blickt aus einer makroökonomischen Sicht auf Brandenburg, zeigt sich unterm Strich: Die Zukunft am Arbeitsmarkt sieht ziemlich rosig aus. Die neuesten Zahlen der Arbeitsagentur aus dem November 2021 brachten einen Nachwenderekord: Seit der Wiedervereinigung war die Arbeitslosenquote nie niedriger. 70.160 Brandenburger und Brandenburgerinnen (Arbeitslosenquote 5,8 Prozent) waren im November arbeitslos gemeldet.
Arbeitslosigkeit wieder unter Vor-Corona-Niveau
"Brandenburg ist vergleichsweise gut durch die Corona-Krise gekommen; Beschäftigung und auch Arbeitslosigkeit haben sich wieder erholt", sagt Holger Seibert, Arbeitsmarktexperte für Berlin und Brandenburg beim Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB). Die Arbeitslosenquote - genau wie die absolute Zahl der Arbeitslosen - ist in Brandenburg bereits wieder unter dem Vor-Corona-Niveau.
In Bezug auf die Ansiedlungen müsse man abwarten, in welchem Umfang hier am Ende tatsächlich Neueinstellungen stattfänden, sagt Seibert: "Derzeit gibt es in Brandenburg circa 880.000 Beschäftigte. Würden die Neuansiedlungen 10.000 neue Beschäftigungsverhältnisse generieren, wäre das ein Plus von gut einem Prozent. Bei Industriearbeitsplätzen können in der Region noch einmal so viele Arbeitsplätze bei Zulieferern und durch indirekte Effekte wie etwa beim regionalen Einzelhandel entstehen."
Wie viele Jobs in der Braunkohle?
Zum Vergleich: Im Lausitzer Revier in Brandenburg und Sachsen waren laut IAB im Juni 2020 (neueste Zahlen) noch 7.887 Menschen in der Braunkohleverstromung beschäftigt. Das entspricht 1,9 Prozent aller Arbeitsplätze in der Region - dazu kommen noch die Jobs, die indirekt davon abhängen.
Das klingt nach wenig, aber die Arbeitsplätze haben eine große wirtschaftliche Bedeutung. Im Vergleich zu anderen Sektoren sind Braunkohle-Jobs deutlich besser bezahlt: In dieser Branche verdienen Lausitzer und Lausitzerinnen im Mittel 4.653 Euro brutto, über alle Branchen sind es nur 2.564 Euro.
2022 nur noch 66.000 Arbeitslose
Die Prognose des IAB für 2022 ist gut: In keinem Bundesland soll die Zahl der Arbeitslosen stärker sinken als in Brandenburg. Das Forschungsinstitut geht davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen von 77.000 im Jahresdurchschnitt 2021 um 14 Prozent auf 66.200 im Jahr 2022 sinken wird. Am Höhepunkt der Arbeitslosigkeitskrise im Februar 2005 waren 278.000 Brandenburgerinnen und Brandenburger ohne Job. Tatsächlich soll 2022 die Arbeitslosigkeit in allen Bundesländern sinken; nirgends ist der prozentuelle Rückgang aber so stark wie in Brandenburg (siehe Karte oben).
Streng genommen handelt es sich bei dieser IAB-Prognose um eine Fortschreibung von bisherigen Entwicklungen. Zusätzliche Investitionen von außen - wie etwa die Tesla-Fabrik - werden in diesen Zahlen gar nicht abgebildet. Dadurch könnte die Zahl der Arbeitlosen womöglich noch stärker zurückgehen. Gleichzeitig gilt: Die Pandemie ist derzeit ein großer Unsicherheitsfaktor für jede Wirtschaftsprognose.
Grenzen des Wachstums
Aber das Beschäftigungswachstum könnte in Brandenburg schnell an Grenzen stoßen. Es fehlt an Fachkräften und durch den Nach-Wende-Geburtenknick kommen immer weniger nach. Schon jetzt sagen viele Experte, dass der Fachkräftemangel - auch in Brandenburg - das Wirtschaftswachstum ausbremst. Neben steigenden Rohstoffpreisen wird der Mangel an gut ausgebildeten Facharbeiter:innen laut der Konjunkturumfrage der IHK Brandenburg von den Unternehmen als das größte Risiko gesehen. "Das Erwerbspersonenpotenzial wird noch deutlich abnehmen, wenn es der Region nicht gelingt attraktiver zu werden", so formuliert es Seibert.
Aber an Attraktivität zu gewinnen, wird bei den klamme Klassen für viele Kommunen schwierig. Schon jetzt geht eine wirtschaftliche Kluft durch Brandenburg: Vor allem in den Speckgürtel rund um Berlin ziehen viele Menschen, wird viel gebaut, entstehen neue Betriebe. Genau dort ist oft die Steuereinnahmekraft höher und die Verschuldung niedriger.
Der Westen lockt nach wie vor mit Geld
Ein neues Schwimmbad, ein gute Schule oder moderne Infrastruktur machen sicherlich einen Ort attraktiver. Aber die große Hürde beim Fachkräftemangel stellt für Brandenburg (und andere Ost-Bundesländer) sicherlich das niedrige Lohnniveau im Vergleich zu den südwestlichen Bundesländern dar. Nur wenige Hundert Kilometer weiter kann ein Arbeitnehmer rund 10.000 Euro mehr verdienen pro Jahr. Im Vergleich zu den den anderen Bundesländern im Osten steht Brandenburg gut da; die Lücke zu den West-Bundesländern bleibt aber groß.
Roboter statt Kumpel
Auch Seibert vom Forschungsinstitut der Arbeitsagentur IAB drückt mit Blick auf die entstehenden Arbeitsplätze auf die Euphoriebremse: "Es kann natürlich sein, dass Neuansiedlungen Brandenburg zu einem stärkeren Beschäftigungswachstum verhelfen als in den vergangenen Jahren, aber das muss sich erst bewahrheiten." Jetzt wo die Landschaft endlich nach der Wende blüht, dräut am Horizont zudem ein neues Problem, dass schwieriger zu lösen sein wird als der Strukturwandel durch das Ende der Kohleverstromung.
"Indutriearbeitsplätze haben ein hohes Substituierbarkeitspotenzial durch Computer oder computergesteuerte Anlagen", malt Seibert ein pessimistisches Bild. "Gerade in einer Region, die schon heute zu wenig Fachkräfte hat, sind die Unternehmen möglicherweise eher bereit, stärker in Digitalisierung und Automatisierung zu investieren." Statt Kohlekumpels in der Lausitz würden dann autoschraubende Roboter in Grünheide die Arbeit machen.
Sendung: Inforadio, 29.12.2021, 6:20 Uhr