Lange Reparaturen von Fahrstühlen - Wenn "defekt" zum Dauerzustand wird
Mehr als die Hälfte der bundesweit 650.000 Fahrstühle weist Mängel auf. Vor allem für Ältere und Menschen mit Einschränken sind defekte Fahrstühle eine erhebliche Lebenseinschränkung. Viele müssen wochenlang auf Reparaturen warten. Laura Wolf
Es ist ein oft wiederkehrender Alptraum in Berliner Mietshäusern: Der Aufzug streikt. "Defekt" heißt es teils monatelang zum Beispiel bei Michael Nagel. Seit 2015 lebt Nagel in einer Seniorenwohnanlage in Berlin-Wedding. Der 53-Jährige ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Um die fünfte Etage des Hauses verlassen zu können, braucht er den Fahrstuhl. Allerdings fällt der Aufzug der Wohnanlage immer wieder aus: zuletzt im vergangenen Jahr - vom 24. August bis in den November hinein.
Die Wohnanlage gehört der Hilfswerk-Siedlung GmbH, kurz HWS, einer Immobilienfirma der evangelischen Kirche. Von dieser hätten die Bewohner:innen damals zu hören bekommen, sie sollten doch den Fahrstuhl im Nebenhaus benutzen. Doch der Weg zum verbundenen Nachbarhaus ist nicht barrierefrei: Sechs Treppenstufen sind zu überwinden. "Für jeden Rollstuhlfahrer hier im Haus ist das wie eine schallende Ohrfeige! Ja, so nach dem Motto: 'Krüppel, was wohnst du hier?'", sagt Nagel.
Fahrstuhlreparatur ist Pflichtsache für Vermieter
Dabei sei es so, heißt es vom Berliner Mieterverein, dass Vermieter:innen handeln müssen, wenn ein Aufzug defekt ist, müssen. "Fällt der Fahrstuhl aus, ist es ein Mangel", erläutert Wibke Werner, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins gegenüber dem rbb-Verbrauchermagazin Super.Markt. "Die Mieter müssen den Vermieter im Zweifel darüber informieren. Und dann ist der Vermieter in der Pflicht, diesen Fahrstuhl wieder zu reparieren." Ein bis zwei Wochen könne man dem Vermieter Zeit für die Reparatur geben; wenn dann nichts passiert sei, könne man die Anfrage wiederholen.
Im Fall von Nagels Seniorenwohnheim habe es so lange gedauert, den Aufzug zu reparieren, da die Planung der Reparatur sehr aufwändig gewesen sei, erklärt die HWS auf Nachfrage des rbb. Ein Defekt am Türantrieb habe den monatelangen Ausfall verursacht: "Für die Reparatur war ein Austausch der Tür und der dazugehörigen Technik notwendig, was eine aufwändige, (auch externe) technische Planung sowie fünfstellige Reparaturkosten bedeutete." Die Arbeiten wurden demnach im September beauftragt, aber erst im November durchgeführt.
"Fahrstuhl des Grauens"
Die HWS betreibt eine weitere Seniorenwohnanlage, ebenfalls im Wedding. Dort ist die Mieterin Kathi Badir vor zweieinhalb Jahren im hauseigenen Fahrstuhl gestürzt. Der Aufzug aus dem Jahr 1975 kam nicht ebenerdig zum Stehen, sondern rund 15 Zentimeter erhöht. Badir verletzte sich am Handgelenk. Die ungewollte Stufe sei ein "sicherheitserheblicher bis gefährlicher Mangel", erklärte der TÜV Rheinland gegenüber dem rbb. Gerade bei älteren Anlagen könne dieser Mangel durch den Antrieb entstehen, dies sei nichts Ungewöhnliches. Nichts Ungewöhnliches vielleicht, aber für Badir steht fest: "Das ist ein Fahrstuhl des Grauens."
2021 sind deutschlandweit rund 650.000 Aufzüge geprüft worden. Davon hatten 2.600 gefährliche Mängel, wie etwa ein ausgefallenes Notrufsystem, große Stufenbildung oder ein verschlissenes Tragseil. Aufzugsexperten gehen zudem davon aus, dass ungefähr die Hälfte der in Deutschland fahrenden Anlagen in die Jahre gekommen ist.
Im jährlichen Wechsel kontrollieren die zugelassenen Überwachungsstellen Aufzüge in einer Zwischen- und Hauptprüfung. Ist eine Anlage sicher, bekommt sie eine Plakette mit dem nächsten Prüftermin. Hat der Aufzug Mängel, müssen diese von einer Wartungsfirma behoben werden. Vermieter:innen müssen dafür sorgen, dass der Fahrstuhl regelmäßig geprüft und gewartet wird.
Stillstand ist kein Ausnahmefall
Ludwig von Busse, Geschäftsführer der Aufzugsfirma Simplifa, zufolge gibt es einige Faktoren, die eine schnelle Mängelbehebung erschwerten. Dazu gehörten beispielsweidr Probleme in der Lieferkette oder Fachkräftemangel. Oft führe beides zu einem längeren Stillstand.
Diesen Stillstand erlebt derzeit auch Hüseyin Ergün, der mit seiner Familie in einem Mietshaus der Howoge in Berlin-Kreuzberg wohnt. Seit Januar 2022, also seit einem Jahr, funktioniert die Anlage hier nicht wirklich. Nach einer Wartung würde sie für ein paar Stunden fahren, dann jedoch erneut ausfallen. Für Ergün, der in der vierten Etage wohnt, erschwert der Lift-Ausfall das Leben enorm.
Im vergangenen Herbst bat Ergün die Howoge in einem Einschreiben, die Miete um zehn Prozent zu mindern. Er erhielt keine Antwort. Allerdings: In der Regel braucht es für eine Mietminderung keine Genehmigung – diese setze man selbst durch, sagt der Berliner Mieterverein. Doch wer zu viel Miete mindert, riskiert im schlimmsten Fall eine Kündigung.
Deswegen rät der Mieterverein dazu, die Mietminderung anzukündigen und die Miete dann unter Vorbehalt zu zahlen. "Dann kann man anhand der dokumentierten Fälle rückwirkend eine angemessene Mietminderungsquote berechnen und diesen Betrag vom Vermieter zurückfordern", erläutert Mietrechtlerin Werner. Üblicherweise wird bei einem defekten Aufzug eine Mietminderung zwischen 5 und 20 Prozent als gerechtfertigt angesehen.
Ab wann kann die Miete gemindert werden?
"Bei zwei Wochen Fahrstuhl-Ausfall würde ich sagen, ist es ein erheblicher Mangel. Und wenn die Wohnung im Vierten oder Dritten liegt, dann denke ich, ist das schon ein erheblicher Mangel", sagt Werner. Sie sehe eine Anfangsminderung von zehn Prozent als gegeben an. Dennoch empfiehlt sie, sich vor einer Mietminderung immer von einem Mieterverein beraten zu lassen oder sich anderweitig Rechtsschutz zu holen, "und nicht einfach loszumindern".
Auf Nachfrage erklärt uns die Howoge, dass sie die Anlage des Kreuzberger Mietshauses im zweiten Halbjahr 2023 komplett austauschen will. Und auch die HWS lässt verlauten, sie wolle die Aufzüge in den Weddinger Wohnanlagen 2023 und 2024 erneuern. Für die Mieter eine unangenehm lange Zeitspanne, bis etwas passiert.
Sendung: SUPER.MARKT, 22.01.2023, 20.15 Uhr