"Lollapalooza" am Tempelhofer Feld - Das Festival der langen Schlangen
International bekannte Bands, vielfältiges Fingerfood, Akrobatik und ein Spieleparadies für kleine Besucher - das "Lollapalooza" hat zu seiner Europapremiere vorgelegt. Doch wenn es sich in Berlin etablieren will, muss es seine Kinderkrankheiten beseitigen. Von Thomas Blecha
Dieser Beitrag wurde zum ersten Mal zur Europapremiere des Lollapalooza-Festivals 2015 in Berlin veröffentlicht.
Braucht Berlin ein großes Musik-Festival? Und vor allem kann es ein so genanntes "Major" auf die Beine stellen? Seit Jahren spaltet diese Frage die Berliner Musikszene. Das Berlin Festival hat sich daran jahrelang die Zähne ausgebissen und im vergangenen Jahr entschieden, Tempelhof als Standort aufzugeben, sich freiwillig zu verkleinern und nur noch auf die Electro-Szene zu konzentrieren.
Raus aus dem Hangar, rein ins Ohr
Nun wagt das legendäre Lollapalooza Festival einen erneuten Anlauf und bringt größere wie kleinere Rock-, Pop- und Electro-Bands auf die Open-Air-Bühnen des Tempelhofer Flughafengeländes. Und gleich zu Beginn am Samstag fällt eines wohltuend auf: Die Veranstalter haben sich entschieden, die zwei Hauptbühnen und die größere Nebenbühne auf das Rollfeld zu verlegen. Die Folge: Endlich hört man die Bands in einer annehmbaren Soundqualität - ganz im Gegensatz zu den Acts des früheren Berlin Festivals, die ihre Songs in den engen Hangars runterspielen mussten, ohne dass ihr Publikum wirklich viel gehört hätte.
Folkballaden für gebrochene Mädchenherzen
Beim Lineup haben die Veranstalter in diesem Jahr weniger auf Überraschungen als auf solide Mainstream-Ware gesetzt: So müssen Muse und The Libertines als Headliner herhalten, daneben gibt es viele massenkompatible Acts wie Bastille und Sam Smith sowie die deutschen Dauerbrenner Seeed und die Beatsteaks, die wahrscheinlich jeder jüngere musikinteressierte Berliner schon einmal in seinem Leben live gesehen hat.
Am Samstag, Tag eins des Festivalwochenendes, ist James Bay der erste größere Act, der die Hauptbühne wirklich voll bekommt. Der 25-jährige Singer-Songwriter hat zwar erst im März sein Debütalbum veröffentlicht, aber bereits große Bühnen wie das Glastonbury oder auch als Vorband der Rolling Stones gespielt. Mit seinem rauchig-kraftvollen Folkballaden wie "Let it go" und "Hold Back The River" spielt er sich auch in Berlin in alle Mädchen- (und Jungen)herzen, die schon einmal gebrochen wurden.
Nicht weniger folkig geht es im Anschluss bei den Mighty Oaks zu. Das Berliner Trio - ganz typisch Hipster-Berlin bestehend aus einem Amerikaner, einem Italiener und einem Briten - beweist, dass es seine Instrumente beherrscht, wirkt aber mit seien nachdenklichen, teils melancholischen Songs etwas deplatziert auf der zweiten Hauptbühne, die fröhlich von der Septembersonne beschienen wird. Wesentlich peppiger geht es bei den beiden nächsten Acts zu, zwischen denen man sich dummerweise entscheiden muss: Parov Stelar Band mit ihrem originellen Electro-Swing-Jazz-Gemisch und dem Londoner Duo Hot Chip, das mit seinem ausgereiften Synthie Pop eigentlich immer eine sichere Bank sind.
Der musikalische Coup des Jahres
Ihnen folgt der musikalische Coup des Jahres: FFS - eine Zusammenschluss der Glampop-Ikonen Sparks und der Indie-Legenden der Nuller-Jahre, Franz Ferdinand. Deren Frontmann Alex Kapranos und Sparks-Gründer Russell Mael geben beide mit einem breiten Grinsen im Gesicht einige der meist ironischen Songs ihres einzigen Albums zum Besten, die alle großes Ohrwurmpotential haben - so etwa "Johnny Delusional" oder das höchst selbstreferentielle "Collaborations Don't Work". Doch zum Entzücken des Berliner Publikums gönnen sich beide Bands auch die Freiheit, ein paar eigene alte Songs wie "When Do I Get To Sing 'My Way'" (Sparks) und "Take Me Out" (Franz Ferdinand) zu spielen. Und damit beweisen sie, dass scheinbar konträre Bands zumindest auf Zeit zusammenarbeiten und etwas Neues schaffen können - auch wenn es damit nicht mehr unbedingt zum Headliner reicht.
Leider geil - und leider gar nicht geil
Dieser Aufgabe kommen anschließend Deichkind und The Libertines nach - wenn auch nur die Hamburger Hiphop-Punk-Formation wirklich überzeugt. Wenn Deichkind zu "Bück dich hoch" auf Bürosesseln über die Bühne gleiten oder einen personifizierten Mauszeiger zu "Like mich am Arsch" in die Knie gehen lassen, dann kommt das bei der hier anwesenden, mitwippenden und sehr textsicheren Facebook-Generation "leider geil" an.
Im Gegensatz dazu ist der Auftritt von den Libertines leider gar nicht geil. Während einer ihrer Frontmänner, Carl Barat, den alten britischen Rockcharme noch erahnen lässt, blickt man ratlos zu einem aufgedunsenen Pete Doherty, der sich eher schwankend über die Bühne bewegt, ab und zu den Mikrofonständer umtritt - und wahrscheinlich denkt, das wäre noch Rock'n'Roll. Egal ob die beiden alte oder neue Songs der eben erst erschienen Platte spielen, hier in Berlin bekommen sie lediglich einen Höflichkeitsapplaus von denen, die nicht vorzeitig zum gleichzeitig spielenden Mainact Macklemore & Ryan Lewis geflüchtet sind.
Schlangestehen statt Bands ansehen
Abseits der Konzertbühnen fällt auf, wieviel Mühe sich die Lollapalooza-Veranstalter gegeben haben, um die verschiedenen Geschmäcker zu bedienen. Für Kids gibt es eine eigene Bühne mit Musik- und Akrobatikprogramm, ein Spielezelt, Tischtennisplatten, einen Basketball- sowie Fußballplatz und eine Skateboard-Halfpipe. Für die modebewussten Hipster ist die "Fashionpalooza" gedacht, wo sie sich selbst ihren neuen Jutebeutel besprayen können. Und natürlich gibt es im "Grünen Kiez" Workshops zu Nachhaltigkeit, und auch an vegetarischen Gerichten mangelt es nicht.
Doch bei all diesen Extras scheint das Festivalteam in seiner Planung die "Basics" eines jeden Festivals komplett vergessen zu haben. Denn überall auf dem Gelände bilden sich unendlich lange Schlangen vor den völlig überfüllten und leider auch überlaufenden Toiletten. Dummerweise müssen auch Hippies und Hipster mal Pipi. Am Nachmittag teilen die Veranstalter dann mit, dass es "ein paar Probleme mit der Kanalisation vom Flughafen Tempelhof" gebe und man für den zweiten Festivaltag zusätzliche Toiletten organisiere.
Schlangestehen ist auch das Motto bei den Essständen. Egal ob Bratwurst, Pad Thai oder Raclette-Käse-Sandwich - trotz bargeldlosem Bezahlen dauert die Abfertigung jedes einzelnen Besuchers einfach viel zu lange. Viele verlassen zwischenzeitlich sogar das Festivalgelände und pilgern den Mehringdamm hinunter, um in einem der Imbissläden etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Besonderen Ärger hat sich am Samstag das Lollapalooza zudem bei so genannten Platinum-Ticket-Inhabern (die 500 Euro für das Festivalwochenende gezahlt haben) und weiteren VIPs zugezogen. Denn die mussten zeitweise zwei Stunden am Einlass warten, bis sie überhaupt ihr Bändchen und damit Zutritt zum Gelände bekommen haben.