Festival-Auftakt | "No Limits"-Festival - Wo Schluss ist mit Wünsch-Dir-was
Zum 10. Mal findet in Berlin das Festival "No Limits – Disability & Performing Arts" statt, mit rund 25 Produktionen aus zehn Ländern. Selbstbestimmung und Empowerment sind dabei zentrale Themen. Von Barbara Behrendt
13 Tänzerinnen und Tänzer mit Behinderung starren zurück. Minutenlang, regungslos. Sie tragen grellgrüne Hotpants und bauchfreie Netz-Shirts, die Männer schwarze Lederriemen statt Oberteil, zwischen denen die Brustwarzen hervorschauen. "Wir sind nicht traurig oder dumm", wird später als Schriftzug eingeblendet, "und wenn ihr euer eigenes Elend in unseren Gesichtern erkennt: dafür sind wir nicht zu haben."
Das ist die erste Szene des "Narrenschiffs", wie die deutsche Performance-Gruppe Monster Truck gemeinsam mit der belgischen inklusiven Tanzcompanie Plattform-K ihre fast wortlose Inszenierung genannt haben, die das "No-Limits"-Festival eröffnet.
Beim Baby-Wunsch ist Schluss
Und es wird noch konfrontativer, heftiger, schmerzlicher. Die Tänzer:innen haben Hunger – also futtern sie tütenweise Chips. Sie haben Lust auf eine Party, also verausgaben sie sich zu Techno-Beats. Sie haben Lust auf Sex, also tanzen sie eine Gruppen-Kopulation, die es in sich hat. Doch als sie sich ein Baby wünschen, ist Schluss mit dem Wünsch-dir-was.
Monster Truck bringen stets provokante Fragen, Thesen und Bilder auf die Bühne. Diesmal ist es das Thema der körperlichen Selbstbestimmung, das, so sagt es die Regisseurin Sahar Rahimi, natürlich jeden betrifft: "Es geht uns darum, diese Selbstbestimmung als urmenschliches Begehren zu beschreiben, das sich in ganz verschiedenen Kämpfen vereint. Da könnte ich auch von der gerade stattfindenden Revolution im Iran sprechen, wo die Frage nach der körperlichen Selbstbestimmung, nach einem Empowerment, nach Autonomie genauso oder zumindest ähnlich vorhanden ist."
Selbstverantwortung für Künstler:innen mit Behinderung
Der Kinderwunsch wird zwar bei Menschen mit Behinderung als besonderes Tabu empfunden, doch die Frage, ob man Kinder bekommen möchte und kann, ist universell.
Das Ausloten von Gleichberechtigung und Teilhabe steht bei jeder Produktion von Monster Truck im Zentrum – und letztlich auch bei jedem Gastspiel des Festivals. Die Grundidee, sagt Rahimi, kommt vom Regieteam, aber was auf der Bühne erzählt und getan wird, ist mit den Performer:innen entwickelt worden.
Wer spricht für wen? Auch Andreas Meder, der Festivalleiter von "No Limits", sieht darin die virulente Frage: "Es geht sehr stark um Selbstverantwortung, um Selbstempowerment. Darum, dass auch Künstler mit Behinderung ihre Arbeiten selbst verantworten müssen."
"Ein Festival, das sich selbst abschaffen muss"
Daran schließt an: Wer kuratiert, wer wählt aus? 2019 konnte das Festival mit Michael Turinsky einen Kurator und Tänzer mit Behinderung ins Team holen, in diesem Jahr ist das nicht gelungen – auch, weil viele Kandidat:innen gerade eigene Kunst-Projekte planen. Eigentlich eine gute Nachricht.
Überhaupt, so Meder, werde performative Kunst mit Menschen mit Behinderung inzwischen deutlich höher gefördert als das 2005 bei der ersten Festival-Ausgabe der Fall war. Die Berührungsängste der potentiellen Zuschauer:innen sind dagegen gesunken. Braucht es ein Festival mit dem Etikett "inklusiv" oder "Disability" da noch? "Ich sage schon seit der ersten Ausgabe, dass dieses Festival sich selbst abschaffen muss, um erfolgreich zu sein. Aber soweit sind wir noch nicht."
Zum Glück, denn beim üppigen Programm kann man viele Entdeckungen machen. Das "No Limits" zeichnet sich schon lange dafür aus, ästhetisch brisante Kunst zu zeigen. Die Entwicklung gehe, so Meder, hin zu mehr Tanz-Performances und weniger Sprechtheater. Doch das Festival legt seinen Schwerpunkt – auch bei den Tanz-Produktionen – auf Arbeiten, die eine Geschichte erzählen.
Meder hebt das Tanz- und Theater-Spektakel "Bogumer" von der katalanischen Gruppe Cia Vero Cendoxy hervor, bei dem - Thema Machtmissbrauch - Gott selbst vor Gericht steht. Sahar Rahimi empfiehlt dagegen "Welt ohne uns" von den deutschen Gruppen "Meine Damen und Herren" und "Skart". Ein Abend über das Sterben. Es scheint, als ginge es diesmal besonders existenziell zu bei "No Limits".
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.11.2022, 06.00 Uhr