Musiktheater | "Radioland" in der Neuköllner Oper - Eine meistens wahre Geschichte

Fr 27.01.23 | 10:50 Uhr | Von Hans Ackermann
Szene aus "Radioland" an der Neuköllner Oper.(Quelle:Thomas Koy)
Video: rbb24 Abendschau | 25.01.2023 | Hans Ackermann | Bild: Thomas Koy

Radioland heißt die neue Produktion der Neuköllner Oper. Das Stück handelt von einem britischen Piratensender. Von einer ehemaligen Seefestung im englischen Kanal aus versorgt er Mitte der 60er Jahre die britische Insel mit Rock’n Roll und Beatmusik. Von Hans Ackermann

Die Geschichte, die Fabian Gerhardt und Lars Werner in ihrem neuen Stück in der Neuköllner Oper erzählen, ist eine wahre Geschichte. Oder genauer eine "meistens wahre, aber immer unglaubliche Geschichte des Fürstentums Sealand" - wie es im Untertitel von "Radioland" heißt.

Theaterpodest auf Stelzen

"Guten Abend England, willkommen bei Radio Sealand, ich bin Michael Bates, euer Hochsee-DJ". Mit Enthusiasmus begrüßt der Moderator die Hörerinnen und Hörer von Radio Sealand. Ein englischer Piratensender, für den man in der Neuköllner Oper eine Seefestung aus Stahl und Beton nachgebaut hat. Zu Beginn läuft im Hintergrund ein Film, der in schwarz-weißen Bildern aus der britischen Wochenschau diese Plattform auf zwei massiven Pfeilern inmitten der Nordsee zeigt.

Auch hier steht das Podest auf Stelzen, gut zwei Meter über dem "Meeresboden". Ein Monstrum, das den halben Saal füllt. Das Publikum sitzt an drei Seiten darum herum. Auf der vierten Seite haben sich die sechs Mitglieder der Band mit ihren Instrumenten eingerichtet.

Wenn die vier Sänger und Sängerinnen auf ihrem Podest herumtoben - singen, tanzen, eine Gerichtsverhandlung abhalten und vieles mehr - bekommt man unten im Publikum manchmal schon ein wenig Angst, dass jemand von der Plattform hinunter "ins Meer" stürzen könnte - was zum Glück aber nicht passiert, trotz fehlender Reling.

Kraft des Radios

Denn hier wird äußerst temperamentvoll gespielt und auch immer wieder die Kraft des besonderen Massenmediums gefeiert: "Ihr schaltet das Radio ein und ein Wirbel aus Welt und Klang überschwemmt euch", heißt es im Stück. Mit diesem Wirbel werde man "Grenzen überwinden", fährt Moderatorin Penny euphorisch fort - vor allem aber will man die BBC ärgern.

Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk Großbritanniens verschläft Anfang der 60er Jahre doch tatsächlich die musikalische Revolution im eigenen Land, spielt in seinen Programmen keine Beatles oder Rolling Stones und ignoriert auf diese Weise die musikalische Jugendkultur. Kein Wunder, wenn gerade in Großbritannien damals besonders viele Piratensender gegründet werden, Radiostationen, die sich in ihren Musikprogrammen alle Freiheiten nehmen.

Ohne Werbung keine Revolution

Im Stück erfährt man aber auch von einer anderen Freiheit: mit Radiowerbung Geld zu verdienen. Als die rebellische Penny ihren Eltern dazu moralische Vorhaltungen macht, entgegnet die Mutter lakonisch: "Mein Kind, ohne Waschmittelwerbung keine Radiorevolution!"

Dem "zweibeinigen Ungetüm im Meer" gelingt der "Angriff auf das Festland, mit Beat und Rock’n Roll" so gut, dass die BBC nach nur einem Jahr "Bedenkzeit" dann doch schnell eine eigene Jugendwelle einrichtet. Als die Piraten auf ihrer Plattform davon erfahren, ist der Schrecken groß. Statt einer neuen Schar von "Schallplattenunterhaltern" - wie man hier den Begriff "DJ" übersetzt - sitzt lediglich die "Traurige Gestalt" im tuckernd anlegenden Boot. Sie verkündet den entsetzen Plattform-Piraten: "Die BBC sendet jetzt Popmusik!"

Wahre Geschichte von Knock John

Fabian Gerhardt und Lars Werner erzählen in "Radioland" die wahre Geschichte der ehemaligen Seefestung "Knock John". Eine Plattform aus Stahl und Beton, die nach 1940 als eine von insgesamt sieben Seefestungen im englischen Kanal, einige Seemeilen vor der Ostküste, im flachen Wasser der Themsemündung zur Flugabwehr errichtet wurde.

Nach dem Krieg wurden die Plattformen, von denen heute noch vier existieren, dem Seewasser und dem Rost überlassen.1965 besetzte der frühere Major der British Army Roy Bates dann das künstliche Eiland und nutzte die Konstruktion ein Jahr lang als Standort für seinen Piratensender.

Fürstentum der Freiheit

Im Stück stellt deshalb auch "Radio Sealand" schon bald seinen Sendebetrieb ein, stattdessen erklärt Familienoberhaupt Roy Bates - grandios gespielt und gesungen von der Sopranistin Stefanie Dietrich, die man unter ihrem riesigen angeklebten Offiziers-Schnauzbart kaum erkennt - die Plattform zum Fürstentum Sealand. Für die diplomatische Anerkennung seines Fürstentums auf Stelzen hat der echte Roy Bates bis zu seinem Tod 2012 gekämpft.

Und so sind bis zum Schluss der ausverkauften Vorstellung nach gut zwei Stunden auch auf der Bühne noch einige Angriffe von außen abzuwehren. Etwa der Versuch "ausländischer Investoren", das Off-Shore-Paradies in ein "Las Vegas auf Hoher See" umzuwandeln. Am Ende singt Penny Bates (Mathilda Switala) eine hinreißende Ballade an die Freiheit, die man nicht verlieren dürfe: "Denn ist sie einmal weg, kriegst du sie nicht zurück".

 

Nächste Vorstellungen: Fr. 20.00, So. 18.00 bis zum 26.02.

 

Sendung: rbb24 Abendschau, 25.01.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Hans Ackermann

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