Konzertkritik | Biig Piig im Säälchen - Aus jeder Pore Freude ausstrahlend
Wenn die irische Sängerin Jessica Smyth auf die Bühne geht, nennt sie sich Biig Piig. Vor fünf Jahren brachte sie ihre erste Single heraus, hatte schnell Millionen Klicks auf Youtube und Spotify. Ihr Auftritt im Berliner Säälchen war kurz, aber schön. Von Hendrik Schröder
Biig Piig, was man wie das "große Schwein", also mit einfachem i, ausspricht, ist ein seltsamer Künstlername für eine zierliche 25 Jahre alte Musikerin, die zudem auf der Bühne die besten Manieren hat. Sie wählte den Namen, so erzählt es Jessica Smyth in Interviews, um einfach völlig frei zu sein und künstlerisch machen zu können, was sie wolle. Und das tut sie auch.
Wild mischt sie die Genres, mal rockt es, dann funkt es an diesem Abend im Berliner Säälchen auf dem Holzmarkt, dann schallern Breakbeats durch den Raum. Seltsamerweise klingen trotz des wilden Genremix die meisten Songs sehr ähnlich. Macht aber nichts.
Außer Rand und Band
"Berlin, yeah, mega, schon so lange her, dass ich hier gespielt habe, das wird ein toller Abend, ihr seid super." So ähnlich spricht es Biig Piig leicht außer Atem nach dem ersten Song ins Mikrofon und ist dabei fast mehr aus dem Häuschen als das eher relaxed begeisterte Publikum im ausverkauften Säälchen.
Biig Piig ist außer Rand und Band an diesem Abend und es ist schön, das mitzuerleben. In nicht viel mehr als einem roten Bikini-ähnlichen Oberteil mit passenden Unterarmstulpen und einer Art Jogginghose hüpft sie über die Bühne. Das ist deshalb erwähnenswert, weil sich eben diese roten Stulpen bei einem Gitarrensolo, bei dem die Gitarristin von einem kleinen Podest nach vorne hüpft, in den Mechaniken verheddern und Biig Piig sie wieder abfriemeln muss, während die Gitarristin weitergniedelt wohlgemerkt und sich beide vor Lachen darob kaum halten können.
Das ist sympathisch. Das ist so easy und leichtfüßig, wie der ganze Abend und das ganze Konzert. Und auch wenn der gesamte Sound derbe elektronisch getriggert klingt und nie wirklich organisch und immer irgendwo noch Effekte und Synthis mitlaufen - gut, dass Biig Piig mit Liveband auftritt, das müsste man ja nicht zwingend bei dem Sound. Aber der Bassist, so cool und gekonnt, die Gitarristin, so akkurat und sicher, der Drummer, so konzentriert und entschlossen - und vorne Jessica Smyth aka Biig Piig, mit ihrer ätherischen, oft mehr gehauchten Stimme und niemals still stehend, das ist schon eine tolle Gang.
Tanzen, trinken, mitsingen - gleichzeitig
Bislang hat Biig Piig nur EPs und Mixtapes und Singles veröffentlicht. Früher brauchte man ohne Album im Gepäck gar nicht groß auf Tour zu gehen, heute reichen eine Handvoll Songs, die wie bei Biig Piig millionenfach auf Youtube und Spotify geklickt werden, um die Läden wie an diesem Abend auszuverkaufen.
Was nicht despektierlich gemeint ist. Nach ein paar Songs gibt es einen Mitklatsch-Part, Biig Piig knallt über dem Kopf die Hände zusammen, aber es will nicht so recht funktionieren und nur wenige machen mit. Nein, so entertained werden will hier keiner, zu uncool, lieber tanzen.
Vier dicke Strahler werfen von der Bühne aus immer wieder warmes Licht ins Publikum. Das besteht aus jungen, hippen, top gelaunten Leuten, die aussehen, wie sich Menschen von außerhalb ein Berliner Publikum vorstellen. Sie trinken Bio-Brause oder Rotwein, haben betont unauffällige aber die richtigen Klamotten an und können tanzen, trinken, mitsingen und sich in drei Sprachen unterhalten, und zwar alles gleichzeitig.
Die Zeit ihres Lebens
Nach einer Stunde ist es auch wieder vorbei. Die Songs sind kurz und klingen wie beschrieben alle relativ ähnlich. So richtig was hängen von der Musik bleibt nicht, aber egal, das war eine super Performance und eine Sängerin, eine Band, die weder aufgesetzt noch anbiedernd noch pathetisch daherkommt, sondern, so scheint es, einfach gerade die Zeit ihres Lebens haben und aus jeder Pore Freude ausstrahlen. Mitreißend.
Sendung: Inforadio, 15.03.2023, Hendrik Schröder