Nahost-Konflikt - Berliner Klassikszene plant keine Solidaritätskonzerte mit Israel

Sa 28.10.23 | 10:18 Uhr | Von Maria Ossowski
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Symbolbild: Sitze im Zuschauerraum der Deutschen Oper. (Quelle: dpa/B. Pedersen)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.10.2023 | Maria Ossowski | Bild: dpa/B. Pedersen

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine haben viele Orchester Solidaritätskonzerte gegeben. Ganz anders ist das nach den Hamas-Massakern in Israel. Maria Ossowski über das Schweigen in der klassischen Musik.

rbb-Kulturkorrespondentin Maria Ossowski hat sich in der Klassik-Szene in der Region umgehört und gefragt, ob - wie nach dem Überfall auf die Ukraine - auch für Israel Solidaritätskonzerte geplant sind. Die Ergebnisse ihrer Umfrage hat sie hier zusammengefasst - und ein persönliches Fazit gezogen.

Die großen öffentlich geförderten Berliner Orchester und Opernhäuser haben seit dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel, keine Solidaritätskonzerte geplant. Es gab Schweigeminuten vor Veranstaltungen zum Beispiel bei den Berliner Philharmonikern. Orchestervorstand Philipp Bohnen hat dazu einen kurzen Text verlesen. Die Musiker:innen der Philharmoniker fühlten mit ihrem Solobratscher Amihai Grosz, sagten sie dem rbb. Sein Neffe ist Geisel in Gaza, dessen Schicksal beschäftigt das Orchester.

Der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, probt demnächst für die Asien-Tournee. Vorher findet sicher kein Solidaritätskonzert statt, ob es anschließend eine Veranstaltung in welchem Rahmen geben könnte, sei ungewiss.

Im Konzerthausorchester gab es ebenfalls Schweigeminuten vor einem Konzert mit Christoph Eschenbach. Ob ein Solidaritätskonzert mit Israel oder ein Gedenkkonzert stattfinden könnte, möchte Intendant Sebastian Nordmann nur im Austausch mit anderen Berliner Klangkörpern entscheiden. Einen Alleingang des Konzerthausorchesters lehnt er ab.

Die Deutsche Oper Berlin hat ein deutliches Solidaritätsstatement für Israel und gegen den Terror der Hamas auf ihrer Website veröffentlicht. Das Team hat viele Kontakte zur New Israeli Opera. Ein Solidaritätskonzert sehen die Verantwortlichen nicht.

Das Intendantenduo der Komischen Oper, Philip Bröking und Susanne Moser betonen, das Thema Nahost sei zu komplex, daher bieten sie kein Sonder-Konzert an. Ex-Intendant Barrie Kosky hat bei Interviewanfragen erklären lassen, er hätte viel zu sagen, aber nicht im Moment.

Die Staatsoper Berlin hat im März 2022 ein Solidaritätskonzert für die Ukraine mit einer Ansprache von Daniel Barenboim und hoher Prominenz im Publikum ausgerichtet. Bislang ist auch am Haus Unter den Linden kein Konzert für Israel geplant.

Unsicherheit und Angst im Kulturbetrieb

Anders in Cottbus. Dieses Vierspartenhaus präsentiert am 31. Oktober ein Konzert mit einem Kaddisch, einem hebräischen Totengebet, mit dem Mozartreqiuem, mit Werken jüdischer Komponisten und mit jüdischen Künstlern wie Jascha Nemtzov oder Tehila Nini Goldstein.

Intendant Stephan Märki betont, noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg seien Jüdinnen und Juden so gefährdet gewesen wie jetzt seit dem 7. Oktober. Er will mit seinem Team ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen. Innerhalb eines Tages waren 400 Karten verkauft. Laut Märki zeige sich im Kulturbetrieb in puncto Israel viel Unsicherheit und Angst, die falschen Worte zu benutzen oder zur Zielscheibe zu werden.

Die öffentlich geförderten Berliner Institutionen weisen Angst als Ursache für fehlende Solidaritätskonzerte entschieden zurück.

Den Skandal an der Deutschen Oper 2006 sehen sie in keinem Zusammenhang mit der heutigen Situation. Die damalige Intendantin Kirsten Harms hatte aus Furcht vor militanten Islamisten Hans Neuenfels' Inszenierung von Mozarts Idomeneo abgesetzt. Im Schlussbild waren die abgeschlagenen Köpfe von Mohammed, Jesus, Buddha und Poseidon zu erkennen.

"Angst oder "Ja, aber"-Relativierungen sind kein guter Ratgeber für Entscheidungen"

Fazit: Keine Solidaritäts- oder Gedenkkonzerte für Israel und/oder gegen Judenhass in Berlin. Ist das verständlich? Nein.

Berlin hat bis zur Machtergreifung Hitlers eine unvergleichliche kulturelle Blüte erlebt. Dank jüdischer Künstler. In Berlin haben die Nationalsozialisten die Vernichtung des europäischen Judentums beschlossen und geplant. Heute ist Berlin die Stadt mit den meisten Jüdinnen und Juden Deutschlands.

Angst oder "Ja, aber"-Relativierungen sind kein guter Ratgeber für Entscheidungen. Je mehr Bilder aus Gaza die Medien fluten, desto unwahrscheinlicher wird es, ein Konzert zu veranstalten, das der Opfer in Israel gedenkt. Für unsere jüdischen Bürger in Berlin jedoch stünde es jedem Orchester gut an, Solidarität zu zeigen. Nie war jüdisches Leben auch bei uns so gefährdet wie jetzt. Ich finde die Untätigkeit beschämend und kann nur Martin Luther King zitieren: "Am Ende erinnern wir nicht die Worte unserer Feinde, sondern das Schweigen unserer Freunde".

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.10.2023, 08:55 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

54 Kommentare

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  1. 54.

    Für den Völkermord sind Terrornetzwerke (Hisbollah, Hamas und co), sowie Despoten wie Putin, Assad und Co hauptverantwortlich. Finden Sie es gut, daß die Hamas im Gazastreifen die palästininsische Bevölkerung überhaupt nicht schützt, während sich die (bösen?) Israelis (völkerrechtlich gedeckt) gegen die Hamas wehren?

  2. 53.
    Antwort auf [Uwe] vom 29.10.2023 um 10:22

    "Was unterstellt man Putin der die gleiche Opferzahl in 20 Monaten statt 20 Tagen fabriziert?"
    Ihr Vergleich stimmt nicht, gucken Sie sich bitte nochmal die Zahlen an, die im übrigen für Gaza teilweise angezweifelt werden. So sehr mir wegen der Zivilisten in Gaza das Herz blutet, so sehr muss man trotzdem die Ursache im Blick behalten: die Hamas haben einen Terrorangriff auf Israel mit über 1400 Toten verursacht, zusätzlich der ca. 200 Geiseln, die von der Hamas genommen wurden. Die Ukraine hat nichts in dieser Richtung getan und ist trotzdem angegriffen worden. Warum kommen immer wieder solche Vergleiche?

  3. 52.

    Die letzten Kommentare von [Alfred Neumann], [Helmut Krüger] und [Jürgen] sind sehr komplex und zeigen, wenn man sie direkt hintereinander liest, das ganze Ausmaß des Konfliktes mit allen Facetten. Ich danke Ihnen allen, denn durch Ihre Kommentare wird offensichtlich, dass es keine Lösung geben wird, gegen die jemand Einspruch erheben könnte. Wenn Sie [Jürgen] schreiben, dass die Hamas nicht an einer Lösung interessiert sind, jedenfalls nicht an einer, die Israel annehmen könnte und man danach die beiden anderen Kommentare liest, wird deutlich, wie riesig das Problem ist und wie schwierig es werden wird, eine Lösung zu finden. Und wenn eine gefunden werden sollte: wie lange wird es dauern, bis sich Israelis und Palästinenser wieder annähern können? Ein Prozess, der gerade anfing, bei den Jüngeren zu funktionieren und den die Hamas durch ihren Terror erfolgreich vernichtet haben. Das ist grauenvoll.

  4. 51.

    Israel hatte sich 2005 aus Gaza zurück gezogen und die Siedlungen dort aufgelöst. Das hat der Hamas nicht gereicht. Die haben immer wieder Terrorschläge gegen Israel verübt und von deren erklärten Ziel, die Juden zu vernichten, nicht abgeschwören. Die wollen weiterhin einen, zu dem islamistischen Staat errichten dem aber nicht nur das heutige Israel gehören soll. Dazu kommt noch die Achse Hamas-Iran-Russand, die viel nicht sehen wollen.

  5. 50.

    "Das ist das 2. Warschauer Ghetto in dem Handeln zu erkennen."

    An dem von Ihnen getätigten Satz gibt es nichts falsch zu verstehen: DAS ist die Gleichsetzung der NS-Vernichtungsmaschinerie mit dem Verhalten Israels. Bei aller Fürchterlichkeit in den Konsequenzen: Dazwischen liegen Welten und deshalb wiederhole ich meinen Vorwurf des Antisemitismus, spezifischer: Antijudaismus.

  6. 49.

    @ Turtle, Sie unterstellen aber nicht, das ALLE Palästinenser diesen Terror der Hamas unterstützen? Sehen Sie, ich auch nicht. Und in keinster Weise meine ich, das Israel schuld hat am Terror der Hamas. Ich meine, wenn die internat. Staatengemeinschaft und Israel ernsthaft an einer Zwei-Staaten-Lösung arbeiten würde, wäre der Hamas 50% ihrer Grundlage genommen. Darum sind auch die Hamas an einer Lösung nicht interessiert. Was gerade völlig ignoriert wird: der Konflikt begann nicht am 7.10.2023.

  7. 48.

    Der latente Antisemitismus des linksliberalen Bildungsbürgertum blitzt durch. Greta Thunberg hat sich wiederholt eindeutig geäußert. Hier verhindert nur ein kleiner Rest Anstand ähnlich klare Worte.

  8. 47.

    Auge um Auge, Zahn um Zahn?
    Wie soll, wie wird das enden - es kann doch nicht immer so weiter gehen, Jahrzehnt für Jahrzehnt, und zeitlich und geografisch darüber hinaus!
    Wer läßt zuerst den Stein fallen!

  9. 46.

    Ich finde die Haltung des Staatstheaters Cottbus sehr gut und hoffe, dass wenigstens die Einwohner von CB bei freiem Eintritt das Haus füllen.
    Für Berlin ist das leider eine ganz schwache "Kür", wenigstens hat die Kommentatorin und Fachfrau für Kunstfragen in ihrem Fazit eine eindeutige Haltung bezogen. Vielen Dank dafür und dass sie sich die Mühe machte, an die starken und voller Trauer bewegten Worte von MLK zu erinnern!

  10. 45.

    Da stimme ich Dir voll zu. Dieses „selbe Tat, anders bewerten“ ist eine Selbstlüge. Kritik wird mit gleich mit Antisemitismus und Rassismus versucht zu erschlagen. Meine Frau ist Jüdin, die findet das Vorgehen der Hamas und die Reaktion gegen Unschuldige im Gaza beides abartig. Wäre toll wenn alle Opfer zusammenhielten gegen Netanjahu/Hamas. Beide sind nicht besser

  11. 44.

    Der Begriff "Leitkiltur" wurde in theologischen Kontext gesetzt - grundsätzlich machbar, aber mit hohem Risikopotential belastet, wie die aktuellen Abläufe zeigen. Auch ist die Formulierung "den deutschen Opfern und Geiseln" fragwürdig. Ist nicht jeder Tote einer zuviel - egal auf welcher "Seite" oder welchen Glaubens? Ich gehe sogar noch weiter und stelle die Frage ob das Vorgehen der israelischen Politik noch mit dem Recht auf Selbstverteidigung zu rechtfertigen ist. Diese Frage war auch Inhalt der letzten Sitzung der UN-Vollversammlung, wo die Resulotion mit der erforderlichen 2/3 Mehrheit angenommen wurde.

  12. 43.

    Bewusst falsch verstehen ist wohl Deine Stärke. OMG, verurteilt bloß nicht Israel in ihrem Handeln. Ich verurteile die Hamas ebenso, alles ist unentschuldbar. Du akzeptierst tausende tote Kinder?

  13. 42.

    Sie setzen die systematischste Erfassung, systematischste Schikanierung und systematischste Tötung, die jemals auf dem Erdball an einer Bevölkerungsgruppe stattgefunden hat, mit demjenigen gleich, was Israel ggf. aus Übermaß und als Reaktion tätigt?

    Dafür kann es nur einen Begriff: Antisemitismus, treffender: Antijudaismus, die Figur des "landraubenden Juden". Schon im Panzerkreuzer Potemkin findet sich die Stereotype des "Geldjuden", der sich mit Zylinder und offener Weste brüstend oben auf der Freitreppe steht. Dieses Bild zog sich dann durch.

  14. 41.

    Ihre Wortwahl erinnert mich an die so bezeichneten Vertriebenen-Verbände im vorherigen Bundesgebiet, die analog zu Weimarer Zeiten, wo von "dem Reich entrissene Gebiete" gesprochen wurde und diese schraffiert auf Landkarten eingetragen waren. "Bald wird sich das Blatt wieder wenden."

    Genau das meinte ich mit palästinensischem Nationalismus. Genau darin können sich die Mehrheit der Palästinenser und die israelischen Siedler, die auf andere Religionen herabschauen, die Hand reichen.

    Es wird überfällig, das auszusprechen. Nach einem Staat der Vielfalt sucht man bei Beiden vergebens.

    Mit der unabdingbaren Solidarität für Israel angesichts des jegliche Menschenrechte mit den Füßen tretenden Hamas Terror hat das allerdings nichts zu tun. Die ist in der Tat JETZT gefragt. Insofern auch an Sie:

    Bitte die zeitlichen Ebenen auseinanderhalten und sie nicht in einer Art Nullsummenspiel vermischen.

  15. 40.

    "Richtig einordnen und Haltung zeigen."
    So wie Deutschland bei der Abstimmung über die UN-Resolution? Ein leuchtendes Beispiel für Einordnung und Haltung.

  16. 39.

    Yitzhak Rabin, der Brückenbauer, in Berlin abgefunden mit einer Straße ohne Wohnadresse, getötet von einem rechtsextremistischen Siedler.

  17. 38.

    Das fing mit der Landnahme und Vertreibung der Bevölkerung 1946 an die bis heute andauert. Siehe Besiedlung Amerikas und Ureinwohner. Die leben heute in Reservaten - ähnlich Gaza, nur das es ein Freiluft-Knast aus Gnade Israels ist inkl Versorgungsabhängigkeit. Heute schafft man neue Märtyrer dort wenn man deren Familien tötet ohne Rücksicht und straffrei

  18. 37.

    "Wie eine Brücke bauen? Wie die abdingbare Heimstatt für Juden errichten und gleichzeitig andere Religionen und Kulturen in gleicher Weise achten?"

    Das ist und bleibt die Frage aller Fragen...

    Im übrigen haben Sie absolut recht, ich bin ich mit Ihren Einwendungen völlig d'accord.

  19. 36.

    Ich kann nicht akzeptieren was Israel im Gaza tut. Es sterben mehr Zivilisten als im bisherigen gesamten Krieg RU gegen UA im Zeitraffer. Was hat man RU international vorgeworfen, sanktioniert, angeklagt usw - und nun schweigen die selben Ankläger und ducken sich feige weg. Das ist das 2. Warschauer Ghetto in dem Handeln zu erkennen. Man greift sogar die UN an. Die Hamas sind unentschuldbar - Israel ist nun weit schlimmer, uneingeschränkt zusehen bei einem Völkermord ist eine Schande

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