Interview | Newsvermittlung bei Kindern - "Das sind reale Ängste – anders als das Monster unterm Bett"
Der 11. September 2001 ist vielen Eltern auch deshalb noch in Erinnerung, weil sie ihren Kindern erklären mussten, was in New York passiert war. Aber wie erklärt man Terror? Oder auch die aktuellen Ereignisse in Afghanistan und die Klimakrise?
rbb|24: Frau Asbrand, Bombendetonationen, blutende Menschen, Wetterkatastrophen mit zahlreichen Toten: Nachrichten – vor allem die Bilder – sind nichts für sensible Charaktere, und dazu zählen auch Kinder. Was sagt man ihnen, wenn sie solche Meldungen gehört haben? Oder ist es sogar besser, Nachrichten lieber nicht in Gegenwart von Kindern zu sehen?
Julia Asbrand: Das hängt sehr davon ab: Was sind das für Nachrichten? Wie alt ist das Kind? Wie sehr tendiert es dazu, sich zu einem bestimmten Thema Sorgen zu machen? Generell sollte man darauf achten: Welche Nachrichten bekommt mein Kind mit? Ist das altersangemessen? Vielleicht läuft auch nur etwas im Hintergrund, man bekommt das als Eltern gar nicht richtig mit, aber das Kind schnappt etwas auf, mit dem es nicht richtig umgehen kann.
Man kann natürlich versuchen, mit dem Kind gemeinsam und möglichst bewusst Medien und Nachrichten zu konsumieren, die für das Kind angemessen sind. Aber man kann es nicht immer vermeiden, dass ein Kind etwas hört, das es noch nicht verarbeiten kann. Dann sollte man auch darauf eingehen.
Ist es sinnvoll, das Kind darauf anzusprechen, oder sollte man lieber abwarten, bis es seine Fragen von selbst stellt?
Man sollte auf jeden Fall erstmal fragen, was denn überhaupt angekommen ist? Wir Erwachsenen gehen natürlich davon aus, dass das Kind die Nachrichten gehört und dabei abgespeichert hat, was passiert ist. Aber vielleicht denkt es weniger über die Kriegssituation nach, die in den Nachrichten beschrieben wurde, und fragt sich vielmehr: Was wäre denn, wenn sowas bei uns passieren würde? Was mache ich denn dann? Und je nachdem, wo das Kind gerade steht mit seinen Gedanken, muss man es natürlich auch ganz anders abholen.
Wie reagiert man als Eltern angemessen auf die unterschiedlich abstrakten Inhalte der Meldungen? Es ist ja ein Unterschied, ob das Kind blutende Menschen auf dem Bildschirm gesehen hat oder ob es hört, dass seine Generation infolge der Klimakatastrophe womöglich keine lebensfähige Umwelt mehr vorfinden wird.
Da kann man fragen: Was geht dir dabei durch den Kopf? Macht dir etwas Angst oder Sorgen? Möchtest du etwas wissen? Möchtest du vielleicht selbst etwas tun?
Wir sprechen hier über reale Ängste. Das Kind sagt ja nicht: Da ist ein Monster unter meinem Bett - und wir können mit dem Kind unterm Bett nachschauen, da kein Monster ist, also ist alles gut. Sondern das sind Ängste, die auch für uns Erwachsene zum Teil schwer greifbar sind.
Es ist durchaus sinnvoll zuzugeben, dass man sich auch Sorgen macht – man sollte aber immer schauen, wie man das dosiert. Es ist schwierig für Kinder, wenn sie sehen, wie ihre Eltern extrem emotional werden – aber man kann durchaus sagen, mir fällt auf die Schnelle auch keine Lösung für den Klimawandel ein. Lass uns doch mal zusammen überlegen und uns informieren.
Welche Rolle spielt das Alter des Kindes?
Man kann natürlich mit 12-, 13-, 14-Jährigen ganz anders reden, als mit jüngeren Kindern. Bei Kindern im Vorschul- oder frühen Grundschulalter würde ich eher versuchen, es möglichst einfach zu erklären, die Sorgen an sich ernst zu nehmen, aber die Themen auch nicht zu weit auszuwalzen.
Gerade jährt sich der 11. September 2001 zum 20. Mal. Wie erklärt man Kindern Ereignisse von einer solchen Dimension? Da tun Menschen anderen absichtlich weh, es sterben viele – so etwas kann man sich ja schon als Erwachsener kaum erklären.
Jedes Kind erfährt irgendwann, dass es – platt gesagt – Böses in der Welt gibt. Das ist für Kinder etwas, das sie sich ganz gut vorstellen können. Gerade in Kindergeschichten geht es ja oft um 'Das Gute' versus 'Das Böse'. Dazu haben gerade jüngere Kinder häufig einen etwas einfacheren Bezug. Ich glaube, dass Kinder mit solchen Geschichten teilweise sogar besser zurechtkommen als Erwachsene, weil das für sie einfach unter die Kategorie "böse" fällt.
Man muss sich überlegen, wieviel man seinem Kind zumutet. Ob man da ein Riesenfass aufmacht über Politik und wirtschaftliche Interessen versus religiöse Aspekte – oder ob man einfach sagt: Es gibt diese Ereignisse, aber wir schauen auch darauf, wie geht es uns eigentlich hier in diesem Moment? Das ist wichtig, auch um eventuelle Sorgenschleifen zu durchbrechen.
Welche Rolle spielt denn die Einstellung und die gegenwärtige Verfassung der Eltern? Entsetzen oder zum Beispiel Resignation schwingen ja sicher auch mit – wie kann man trotzdem sachlich bleiben?
Zu bestimmten Themen gibt es mittlerweile auch immer mehr Informationsmaterial – allein in der Coronakrise sind zahlreiche Infoseiten speziell für Kinder entstanden, Ähnliches gibt es über das Klima. Das heißt: Man muss nicht immer für alles eigene Worte finden, sondern man kann, wenn sich das Kind dafür interessiert, zusammen Informationen suchen und sich das Thema gemeinsam erschließen.
Man darf natürlich eigene Sorgen teilen, ohne aber das Kind damit zu überwältigen. Konstruktiver ist es, wenn man zusammen überlegt, was man selbst tun kann - zum Beispiel für den Klimaschutz.
Wenn sich kindliche Sorgen verfestigen und durch Gespräche nicht mehr lösen lassen – worauf sollte ich achten? Wann ist es notwendig, sich Hilfe von außen zu holen?
Wenn man merkt, dass das Kind allein nicht mehr rauskommt: Wenn es in sogenannten Grübelschleifen hängt, die Stimmung leidet, es anfängt sich zurückzuziehen, nicht mehr richtig am Alltag teilnimmt, vielleicht irgendwann auch die Noten schlechter werden – also ein richtiger Leidensdruck entsteht. Dann finde ich es sinnvoll, sich externe Beratung zu holen.
Im Jugendalter ist es aber auch normal, sich das erste Mal auch mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen und ein Stück weit darunter zu leiden, was in der Gesellschaft alles passiert. Das heißt weder, dass alle, denen das so geht, eine Beratung brauchen, noch dass sie alle da nur durchgehen müssen und dann ist alles wieder gut. Aber es gehört natürlich zur Entwicklung, sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen und für sich einzusortieren, dass es eben nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern auch Grauschattierungen. Dabei kann man herauszufinden, wie man selbst zu dieser Welt steht und wo man seinen Platz darin einnehmen möchte.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Oda Tischewski, Inforadio.
Sendung: Inforadio, 09.09.2021, 08:37 Uhr