Interview | DAK-Bericht über weniger Impfungen - Kinderarzt sieht in Berlin keine "großen Impf-Einbrüche"
Die Krankenkasse DAK schlägt Alarm: Infolge der Corona-Pandemie seien deutlich weniger Kinder u.a. gegen Diphterie geimpft worden. In Berlin beobachtet Kinderarzt Jakob Maske einen Rückgang nur bei zwei bestimmten Impfungen.
In der Corona-Pandemie sind elf Prozent weniger Kinder und Jugendliche gegen andere Krankheiten als Covid geimpft worden als davor. Das geht aus dem Kinder-und Jugendreport der Krankenkasse DAK hervor, für den Zahlen ihrer Versicherten ausgewertet wurden. Nach Hochrechnungen des Versicherers wurden im vergangenen Jahr rund 680.000 Kinder weniger geimpft als im Vergleichsjahr 2019.
Besonders stark sei demnach der Rückgang bei der Vierfach-Impfung gegen Diphtherie, Keuchhusten, Tetanus und Kinderlähmung. Den Angaben zufolge bekamen 31 Prozent weniger Kinder und Jugendliche im Jahr 2021 eine Erst-Impfung gegen diese Krankheiten als noch 2019. Bei den sogenannten Gesamtimpfungen, also allen vorgesehenen Impfungen und Auffrischungsimpfen gegen die vier Krankheiten, betrug der Rückgang demnach 23 Prozent. Fragen dazu an den Berliner Kinderarzt Jakob Maske, der auch Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland ist.
rbb24: Herr Maske, laut DAK sind im Jahr 2021 im Vergleich zu 2019 bestimmte Kinder- und Jugendimpfungen wie Diphterie, Tetanus und Keuchhusten teilweise deutlich eingebrochen. Stellen Sie diesen Trend auch in Ihrer Berliner Kinderarztpraxis fest?
Jakob Maske: Nein, wir verzeichnen keine großen Impf-Einbrüche. Wir haben natürlich schon gesehen, dass am Anfang von Corona die Besuche bei uns und damit auch die Vorsorgemaßnahmen abgenommen haben. Aber wir haben das inzwischen eigentlich alles sehr gut aufgeholt.
Wir sehen gleichwohl bei einzelnen Impfungen Nachholbedarf, dabei vor allem bei der HPV-Impfung (HPV = Humane Papillomviren). Aber die grundlegenden Impfungen, also Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Kinderlähmung usw. werden eigentlich gut wahrgenommen und wir haben hier in Berlin nicht den Eindruck, dass es da zu schwerwiegenden Einbrüchen kommt.
Ist das also eher eine regionale Frage? Oder wie erklären Sie sich das?
Ich denke, aber das kann man erst nach genauer Auswertung der Daten sagen, dass es etwas mit Impfstoff-Engpässen zu tun hat. Wenn wir Impfstoffe nicht zur Verfügung haben, können wir natürlich nicht impfen. Aber insgesamt nehmen wir auch deutschlandweit nicht unbedingt wahr, dass die Eltern weniger gegen Tetanus, Diphterie, Keuchhusten, Kinderlähmung impfen lassen.
Wir sehen ja auch, wie wichtig das ist. Wir haben ja in den USA, in New York und auch in Großbritannien, wieder Polio-Fälle gehabt, die durch Abwasser nachgewiesen wurden. Es sind durchaus immer noch Bedrohungslagen da, die wir ernst nehmen und auch weiterhin so beraten, dass wir natürlich häufig nach den Impfungen schauen.
Sie haben eingangs einen Rückgnag bei der HPV-Impfung angesprochen. Inwiefern ist diese wichtig?
Die sind natürlich gerade für junge Mädchen interessant, weil sie doch sehr effektiv gegen Krebs schützen. Bei den Jungs ist das auch so, aber doch ein bisschen weniger als bei den Mädchen. Wir versuchen jetzt gerade wieder ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen, um da bessere Zahlen hinzubekommen.
In welcher Altersgruppe wird diese Krebsvorsorge-Impfung durchgeführt?
Ab neun Jahren bis zum 18. Geburtstag. Aber wir machen sie möglichst früh, also bis zwölf.
Wie verhält es sich in Berlin derzeit mit den Grippeimpfungen? Beobachten Sie hier unter Eltern ein bröckelndes Interesse?
Die Grippeimpfung ist eine Impfung, die nur Kindern mit einem Risiko empfohlen wird, also für Kinder mit schweren Atemwegserkrankungen, Asthma, aber auch Kindern mit anderen Beeinträchtigungen des Immunsystems, mit Behinderungen im Sinne von Trisomie 21.
Insgesamt sehen wir bei der Grippeimpfung noch eine etwas abgeschwächte Interessenlage bei Eltern dieser Kinder. Da gibt es diejenigen, die jetzt wirklich mal genug haben vom Impfen. Und auch Patienten, die sagen, Grippe- und Corona-Impfung zusammen möchten wir jetzt gar nicht haben.
Bis wann macht jetzt noch eine Grippe-Impfung bei oben beschriebenen Kindern Sinn?
So schnell wie möglich. Wir wollen eigentlich jetzt schon durch sein mit der Immunisierung der Risiko-Kinder, das wäre das Optimum. Aber wir wissen, dass da natürlich nicht alle Eltern und Kinder so drauf bedacht sind.
Zum Schluss noch ein Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen unter Kindern und Jugendlichen in Berlin: Ist in Ihrer Kinderarztpraxis derzeit mehr los als in den zurückliegenden Jahren? Und welche Infekte grassieren denn momentan hier in Berlin am stärksten?
Wir sehen tatsächlich im Moment sehr, sehr viele Infekte der oberen Luftwege, also einfache Erkältungsinfekte. Teilweise gibt es spezifische Erreger wie die RHS-Viren, die sind gerade etwas im Kommen. Wir sehen in Berlin anders als in anderen Bundesländern noch wenige Grippeviren, aber wir sehen sie schon.
Der Rest sind normale Erkältungen, Viren, die eben jetzt auch ein bisschen gehäufter auftreten, als wir das in den Vorjahren gesehen haben. Das sind Infekte, die jetzt aufgeholt werden, denn die Kinder haben natürlich durch das Maske tragen in den Kitas und Schulen auch weniger Infekte durchgemacht, weil Masken natürlich wirken und Infekte abhalten. Und die Kinder müssen diese Infekte ja durchmachen. Und wenn sie diese Infekte nicht mit zwei Jahren durchgemacht haben, dann machen sie das eben mit drei oder vier Jahren durch, wenn der Infekt dann wieder kreist.
Herr Maske, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Frank Preiss / rbb|24
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