ARD-Themenwoche | "Meals on Wheels for Homeless" - Mit Fahrrad und Stullen im Gepäck Wohnungslose unterstützen
Helfen und dabei Spaß haben. Jeden zweiten Sonntag fährt die freiwillige Crew von "Meals on Wheels for Homeless" mit Bikes quer durch Berlin und tut ganz nebenbei noch was Gutes. Sie verteilen selbst belegte Brote an Wohnungslose. Von Nicole Staerke
Sonntagvormittag bei strahlendem Sonnenschein direkt am Frankfurter Tor: Christian aka Murphy stolpert nicht frisch aus dem Club, er hat eine Mission. "Ich habe ein paar Sandwiches geschmiert und will die jetzt zusammen mit meiner Crew an wohnungslose Menschen verteilen." Die Idee dafür kam ihm vor knapp zweieinhalb Jahren zu Beginn der Coronapandemie.
Murphy ist zu diesem Zeitpunkt fast täglich joggend oder mit seinem Rad in der Stadt unterwegs. Als er immer wieder an den vielen Wohnungslosen vorbeifährt, bekommt er das Gefühl, etwas tun zu müssen. Er fasst den Entschluss vor einer seiner Radtouren "einfach mal zehn Stullen zu schmieren" und die testweise an Menschen ohne Bleibe zu verteilen. Das Feedback: positiv. Nicht nur von den Wohnungslosen. "Als ich Freunden davon erzählt habe, kam das so gut an, dass jede Woche immer mehr Leute mitkommen wollten."
Mittlerweile trommelt er im Schnitt zweimal monatlich über Instagram freiwillige Helfer:innen zusammen, die mit ihm zusammen quer durch Berlin radeln und den Ärmsten der Gesellschaft ein Lächeln ins Gesicht zaubern und für weniger Magengrummeln sorgen.
Etwas Gutes tun und dabei eine gute Zeit haben
Das scheint das Motto von "Meals on Wheels for Homeless". Neben der Essensverteilung geht’s auch oder vor allem um die Gemeinschaft, ums gegenseitige Kennenlernen der anderen Freiwilligen und natürlich ums Biken. Murphy selbst ist in der Berliner Fixie-Szene fest verankert und zieht mit seiner Aktion andere Fahrradbegeisterte an.
Gestartet wird fast immer am Frankfurter Tor direkt vor Humana. Kurzer Check-In, gegenseitiges Beschnuppern oder ein herzliches "Hallo!" an bekannte Gesichter. Danach teilen sich die knapp 15 Helfer:innen in Fünfer-Gruppen auf und fahren je nach Fitnesslevel unterschiedliche Routen quer durch Berlin. Die kleinste Tour ist knapp zehn Kilometer, die längste um die 30.
Kleiner Aufwand, großer Nutzen
Murphy kennt die Spots der Wohnungslosen genau. Als erstes geht’s Richtung Ostbahnhof. "Mögt ihr ein Frühstückspaket haben?" begrüßt er die Menschen vor ihren Zelten. Wulf freut sich über das Angebot: "Das ist auch mal Essen, das essbar ist. Sonst ist es zwar auch ok, aber immer das Gleiche. Wo man dann sagt: Mal was anderes als die Erbsensuppe!"
"Wir versuchen die Pakete immer zu variieren", erzählt Jasmin, die selbst seit über einem Jahr regelmäßig bei den Touren mitfährt. Meistens ist in den Essenstüten ein liebevoll und kreativ belegtes Brot, ein Getränk, eine Süßigkeit, Hygieneprodukte für Frauen oder Masken und Obst. Bevorzugt Bananen oder Nektarinen. "Irgendwas, was man gut beißen kann, weil Obdachlose oft Probleme mit ihren Zähnen haben." Den Inhalt besorgen sich die Helfer:innen alleine – entweder durch Foodsharing oder sie kaufen die Produkte selbst im Supermarkt ein.
Soziale Hilfe wird mit Dankbarkeit belohnt
Ihren letzten Stopp legen sie unter der Oberbaumbrücke ein. Auch da wird die Crew herzlich empfangen: "Euer Paket rettet meinen Tag! Weiter so! Es gibt nicht so viele Leute, die so gut sind." Danach geht es zurück Richtung Startpunkt. Nach knapp zwei Stunden Radtour treffen sich alle Mithelfenden noch mal und lassen den Tag bei einer Pizza Revue passieren. Zufriedene Gesichter. "Heute haben wir pro Team knapp 40 Obdachlose glücklich gemacht." freut sich Murphy.
Jasmin erzählt, wie sehr die freiwillige Arbeit sie erfüllt: "Man merkt bei ganz vielen, wenn man sich mit ihnen unterhält, dass sie ein Bedürfnis danach haben. Klar, man hat Grundbedürfnisse – Klamotten, eine Wohnung oder Essen – man hat aber auch soziale Bedürfnisse. […] Da hilft einfach ein Gespräch am Tag, wo sie ihre Obdachlosigkeit ein bisschen vergessen können."
Mit ihrer Arbeit will Jasmin etwas bewirken. Bei den Leuten auf der Straße und in den Köpfen von Menschen mit Vorurteilen. Sie wünscht sich, dass die Berührungsängste gegenüber Wohnungslosen in der Gesellschaft abnehmen. "Viele Leute sehen nicht hin oder trauen sich nicht, mit ihnen zu sprechen. Dadurch würden sie erfahren, dass es häufig nicht ausgesucht ist, sondern dass das durch eine Krankheit passiert, dann verlieren sie die Arbeit und die Wohnung … Das ist ein Teufelskreis, aus dem sie nicht mehr rauskommen."
Ganz einfach dabei sein!
Mitmachen kann bei dem Projekt jede:r. Ganz ohne Verpflichtung. Das war Murphy wichtig. Sich verpflichtend einer Organisation anschließen sei "auch nicht sein Ding." In der Regel fährt die Crew ein bis zweimal im Monat durch Berlin. Die Termine dafür veröffentlichen sie rechtzeitig auf ihrer Instagram-Seite. Da wird der Treffpunkt und die Zeit verkündet, an dem alle freiwilligen Teilnehmer:innen ganz ohne Voranmeldung mit ihren Spenden hinkommen können. Verpackt wird vor Ort. Spaß gehabt auch.
Sendung: Fritz, 7.11.2022, 6:25 Uhr
"WIR gesucht! Was hält uns zusammen?" Die ARD-Themenwoche vom 6. bis 12. November 2022 zeigt aktuelle gesellschaftliche Konflikte – und mögliche Lösungswege.
Driftet die Gesellschaft auseinander in Alt und Jung, Arm und Reich, Trans und Cis, mit und ohne Einwanderungsgeschichte? Leben viele nur noch in ihrer eigenen Blase? Wo gibt es Räume für Dialog? Warum übersehen wir, was uns eint? Diese Fragen greift die Themenwoche in allen Programmen der ARD auf: im Fernsehen und Radio, in der ARD Mediathek und Audiothek, auf den Online- und Social-Media-Kanälen.
Der rbb bringt Perspektiven aus Berlin und Brandenburg mit ein.