Ein Jahr Straßenblockaden - Wie Sekundenkleber zum Symbol der Klima-Proteste wurde
Seit genau einem Jahr kleben sich Unterstützer der Protestgruppe "Letzte Generation" immer wieder auf Straßen fest, um eine andere Klimapolitik zu erzwingen. Dafür ernten sie viel Kritik, doch ans Aufhören denken sie nicht - im Gegenteil.
Am 24. Januar 2022 sitzt in Berlin-Pankow rund ein Dutzend Personen mitten auf der Kreuzung Granitzstraße Ecke Prenzlauer Promenade. In Steglitz wird die Auffahrt zur A100 blockiert.
Vor genau einem Jahr hat die Protestgruppe "Letzte Generation" erstmals Straßen in Berlin besetzt, um für eine andere Klimapolitik zu demonstrieren. Es folgten zahlreiche Blockaden auf Autobahnen mit langen Staus sowie Störungen in Museen der Region wie dem Naturkundemuseum und dem Potsdamer Barberini. Oft klebten sich Demonstranten fest, damit die Räumung möglichst lange dauert – und bekamen dafür auch die Bezeichnung "Klimakleber".
Heftige Debatte nach tödlichem Unfall einer Radfahrerin
Zu heftigen Debatten um die Aktionen kommt es, als am 31. Oktober 2022 eine Radfahrerin nach einem Unfall mit einem Betonmischer stirbt. Wegen einer Aktion der "Letzten Generation" kam es zum Stau auf der Autobahn 100 – und ein Fahrzeug der Berliner Feuerwehr erreichte den Unfallort erst mit acht Minuten Verspätung. Der Feuerwehr zufolge haben die Klimaaktivisten den Rettungseinsatz erschwert.
Deren Aktionen gehen allerdings weiter: Einige Mitglieder blockieren im November den Flughafen BER. Zu Weihnachten sägen zwei Aktivistinnen die Spitze des Weihnachtsbaumes am Brandenburger Tor ab. Und auch Straßen blockiert die Protestgruppe immer wieder.
Umfrage: Mehrheit hat kein Verständnis
Auch in den ersten Tagen des neuen Jahres wurde die A100 schon mehrmals blockiert. Diese Form des Protests stößt auf wenig Verständnis. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey lehnten Ende November 71 Prozent der 20- bis 40-Jährigen Straßenblockaden als Protestform ab.
Die Klebe- und Blockadeaktionen beschäftigen auch die Justiz. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin startete Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung, weil Aktivisten Pipelines der brandenburgischen PCK-Raffinerie abdrehten. Genaue Zahlen für Brandenburg gibt es allerdings nicht, da nach Auskunft des Justizministeriums Verfahren nicht mit bestimmten Gruppen in Verbindung gebracht werden.
Anders in Berlin: Wie Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) rbb|24 mitteilte, wurden von Februar 2022 bis zum 20. Januar dieses Jahres 1.207 Ermittlungsverfahren gegen die Klimabewegung der "Letzten Generation" erfasst. Davon wurden 161 eingestellt.
Ein Dutzend Protestierende rechtskräftig verurteilt
Bei sehr vielen dieser Verfahren geht es um dieselben Personen, deshalb wurden die Verfahren verbunden und die Vorwürfe gebündelt. In insgesamt 443 Verfahren ging man so vor. Andererseits kann sich ein Ermittlungsverfahren auch gegen mehrere Aktivisten richten. Deshalb lässt sich die exakte Anzahl der Beschuldigten aus den vorliegenden Zahlen nicht entschlüsseln.
In 460 Fällen wurde ein Strafbefehl beantragt, also eine strafrechtliche Verurteilung ohne Verhandlung, in sechs Fällen wurde Anklage erhoben. Bislang sind 28 Urteile ergangen, davon sind 12 inzwischen rechtskräftig, die Beschuldigten können dagegen also nicht mehr vorgehen.
Überwiegend gab es Verurteilungen zu Geldstrafen zwischen 20 und 90 Tagessätzen. In einem Fall wurden Erziehungsmaßregeln nach Jugendrecht verhängt, das sind erzieherische Maßnahmen, die strafrechtlich noch nicht als Verurteilung gelten.
Protestaktionen ab 6. Februar angekündigt
Aufhören will die "Letzte Generation" nicht, im Gegenteil: Die Gruppe hat angekündigt, ihre Blockade- und Störaktionen in diesem Jahr deutlich auszuweiten. "Der Widerstand wird größer als je zuvor", sagte eine Sprecherin der Gruppe am Montag. "Wir werden massiv auf die Straßen gehen." Ab 6. Februar sollten Protestaktionen "in allen Regionen Deutschlands" stattfinden.
"Wir werden an so vielen Stellen wie möglich den Alltag in dieser Republik unterbrechen." Man wolle die Störungen "in jede Stadt und jedes Dorf tragen mit immer mehr Menschen". Wie genau die Aktionen aussehen sollen, sagte die Gruppe nicht.
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.01.2023, 6 Uhr