Sexuelle Bildung an Schulen - Warum im Unterricht auch über Pornos gesprochen werden sollte

Mo 27.02.23 | 07:26 Uhr | Von Konrad Spremberg, Raphael Knop
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Material zum Theme sexuelle Bildung für Kinder und Jugendliche (Quelle: rbb/Konrad Spremberg)
Video: rbb|24 | 27.02.2023 | Material: rbb24 Brandenburg aktuell, Konrad Spremberg | Bild: rbb/Konrad Spremberg

Nacktbilder an den Freund, Pornos im Klassenchat: Kinder und Jugendliche werden heutzutage früh konfrontiert mit Sex. Der Aufklärungs- und Redebedarf ist groß, doch Lehrkräfte sind mit diesen Themen oft überfordert. Von K. Spremberg und R. Knop

Weiche Sitzkissen liegen im Kreis auf dem Boden, in einer Kiste stapeln sich plüschige Körperteile aus Stoff: eine Vulva, ein Penis, ein Uterus. Gleich wird hier über Gefühle, Gesundheit, Genitalien geredet. Ohne Lehrerinnen und Lehrer, weit weg vom Klassenraum ist die Sexualpädagogin Lisa Frey für alle Fragen der Schülerinnen da. Nebenan übernimmt ein Kollege die Jungs.

In den Gruppenräumen des Familienplanungszentrums Balance in Berlin-Hohenschönhausen geben Lisa Frey und ihre Kolleg:innen Workshops für Schulklassen rund um die Themen Liebe, Sexualität und Partnerschaft - und schließen dabei eine Lücke, die Familien und Schulen oft hinterlassen. Die Herausforderung sei es, alle jungen Leute auf einen ähnlichen Wissensstand zu bekommen, sagt Frey. "Einzelne sind total gut informiert, haben korrektes Wissen, können offen und selbstbewusst über Sex sprechen und Fragen stellen. Andere sind es gar nicht gewohnt, über Sex zu reden und damit überfordert."

Lisa Frey, Sexualpädagogin beim Berliner Familienplanungszentrum Balance (Quelle: rbb/Konrad Spremberg)
Sexualpädagogin Lisa Frey | Bild: rbb/Konrad Spremberg

Das Thema Sexualerziehung ist im Berliner und im Brandenburger Schulgesetz verankert. Laut Rahmenlehrplan gehören Sexualerziehung und die Bildung für sexuelle Selbstbestimmung zu den fachübergreifenden Themen. Sie sollen beispielsweise in Biologie, Ethik, Deutsch, Politik, Sport und einer ganzen Reihe anderer Fächer vermittelt werden.

Sexualkunde als purer Biologie-Unterricht

Die Realität sieht oft anders aus. "Der Fokus lag immer auf der geschlechtlichen Fortpflanzung: Wie wir es verhindern, wie wir es machen und wie wir es notfalls abbrechen", erzählt Jule*, die im Sommer in Berlin-Friedenau Abitur macht.

Die Sexualpädagogin Lisa Frey wundert das nicht, denn auch für Lehrer:innen sei Sexualerziehung so verunsichernd wie kein anderes Lehrthema. "Ich finde nachvollziehbar, wenn es Berührungsängste gibt und wenn eine Lehrkraft dann sagt: Wir machen es ganz sachlich, schauen uns die Anatomie an, den Menstruationszyklus, die Verhütungsmittel, und dann haben wir das Thema auch abgehakt", so Frey. Einer der Gründe: In der Ausbildung der Lehrkräfte an den Hochschulen käme das Thema Sexualität oftmals gar nicht oder viel zu selten vor.

Material zum Theme sexuelle Bildung für Kinder und Jugendliche (Quelle: rbb/Raphael Knop)
Anschauungsmaterial für Schüler:innen: Penis aus Holz, Vulva aus Plüsch. | Bild: rbb/Raphael Knop

Laut einer vom Bundesbildungsministerium geförderten Untersuchung von 2019 wurden tatsächlich nur rund 20 Prozent der Lehramtsstudierenden im Studium mit Angeboten zur sexuellen Bildung und Sexualpädagogik erreicht. Und das obwohl bei den Studierenden das Interesse groß ist, wie die quantitativen Erhebung im Verbundprojekt Sexuelle Bildung für das Lehramt (SeBiLe) ebenfalls ergab.

Früher Kontakt mit sexuellen Bildern

"Das erste Mal, dass ich mit Pornografie Kontakt hatte, war auf eigene Faust", erzählt Jules Freundin Anna*. Die angehenden Abiturientinnen hätten sich in der Schulzeit mehr Wissen und Unterstützung gewünscht, während sie ihre eigene Sexualität entwickelt und entdeckt haben. "Wenn man zwölf oder dreizehn Jahre alt ist, fängt man an, sich für Dinge wie Pornografie zu interessieren." Ihren Eltern hat sie damals nichts gesagt.

"Guckt’s euch nicht an!", hieß es dann in der Schule, erinnert sich Jule. Natürlich hätten viele Schüler:innen darauf nicht gehört und zum Teil gewalttätige, erschreckende Bilder gesehen. Heute ist sie überzeugt, die Erwachsenen hätten anders reagieren sollen: "Man muss spezifischer sagen: Was ist denn das Problem an Pornos? Und nicht: Das darfst du nicht sehen, weil du elf bist!"

Pornos nicht verbieten, sondern darüber reden

Laut Sexualpädagogin Lisa Frey ist es nahezu unmöglich zu verhindern, dass junge Menschen solche potenziell überfordernden Videos online sehen. Bei rund der Hälfte der befragten jungen Menschen passiert das schon vor dem vierzehnten Geburtstag, ergab die Jugendstudie "Partner 5" im Jahr 2021. Im Schulunterricht wird aber nur bei 34 Prozent der Befragten überhaupt über Pornografie geredet.

"Das Wichtige ist, darüber zu sprechen, um es zu verarbeiten und sich distanzieren zu können", sagt Frey über einen guten Umgang junger Menschen mit Pornos. "Dann muss das nicht im Kopf hängen bleiben. Wenn man die Jugendlichen aber alleine lässt, ist das auf lange Sicht gefährlich." Grundsätzlich sei das Interesse an Pornos und allgemein an Sexualität auch bei jüngeren Kindern nichts Verwerfliches, auf keinen Fall sollten Eltern Verbote aussprechen. "Die große Gefahr ist, dass sich junge Leute nicht mehr anvertrauen aus Angst, Medienverbot zu bekommen."

Material zum Theme sexuelle Bildung für Kinder und Jugendliche (Quelle: rbb/Konrad Spremberg)
Nackt und vielfältig | Bild: rbb/Konrad Spremberg

Das Ziel ist sexuelle Selbstbestimmung

Die knappen Rahmenlehrpläne helfen Lehrkräften wenig konkret dabei, zeitgemäßen Unterricht zu gestalten. Darum haben Bildungsexpert:innen aus Berlin und Brandenburg ein ergänzendes Papier verfasst: den Orientierungs- und Handlungsrahmen (OHR) zu Sexualerziehung und sexueller Selbstbestimmung. Die Bildungsgewerkschaft GEW Berlin hat an dem Papier mitgearbeitet. Sie kritisiert, die Berliner Senatsbildungsverwaltung würde seit Veröffentlichung "den Mantel des Schweigens" darüberbreiten und es nicht aktiv an den Schulen bekannt machen. Auf Anfrage von rbb|24 teilt die Senatsverwaltung mit, eine auf dem OHR aufbauende Handreichung werde im laufenden Schuljahr erscheinen, darüber hinaus gäbe es freiwillige Fortbildungen.

So komplex Sexualbildung in der Schule ist, so einfach lässt sich ihr Ziel auf den Punkt bringen: Kinder und Jugendliche sollen ein sexuell selbstbestimmtes Leben führen können. Sexuelle Selbstbestimmung heißt aber auch, die eigene sexuelle Identität entdecken und kennenlernen zu können. Inwieweit zum Beispiel queere Schüler:innen und ihre Lebenswirklichkeit im Sexualkundeunterricht stattfinden? "Gar nicht", antworten die Abiturientinnen Jule und Anna im Chor beim Gedanken an ihren Biologieunterricht.

*Die Nachnamen sind der Redaktion bekannt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.02.2023, 06:40 Uhr

Beitrag von Konrad Spremberg, Raphael Knop

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23 Kommentare

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  1. 22.

    Wieso fassen Sie denn den Hinweis, dass Sie den Inhalt des Artikels nicht verstanden haben, als Beleidigung auf?

  2. 21.

    Das deutsche Recht gilt nun mal ausschließlich in Deutschland. Die Hoster der hier strittigen Inhalte sitzen aber allesamt nicht hier und unterliegen damit auch nicht deutschem Recht. Verbieten kann Deutschland diese Inhalte damit schon mal nicht. Man könnte höchstens versuchen, die Inhalte für den Zugriff aus Deutschland über die Provider zu sperren. Solch ein Vorhaben ist aber aus zwei Gründen zum Scheitern verurteilt. Erstens ist es die schiere Masse und die nahezu unbegrenzte Variation von IP-Adressen der Anbieter. Ein neuer Webseitenname (ein Buchstabe anders reicht schon) genügt und die Sperre läuft ins Leere. Die kryptischen IP-Adressen zu sperren, ist allein wegen der Anzahl schon praktisch nicht umsetzbar, zumal auch hier eine Neuvergabe leicht zu erreichen ist. Sperre adé! Zweitens würde die Sperre nur für Deutschland gelten. Ein VPN genügt schon, das zu umgehen und Sie können sicher sein, dass heutige Jugendliche das kennen. Im Web etwas verbieten zu wollen, ist unmöglich.

  3. 20.

    Sie haben gute Chancen als Lehrerin gehört zu werden. Aber nur dann, wenn die Eltern zu Hause über die Lehrer gut sprechen. Immer. "An einem Strang ziehen" ist hier besonders wichtig. Die individuellen Details und Fragen der Schüler können die Eltern am individuellsten beantworten. Da in der Regel nicht selbst gefragt wird, müssen die Eltern die Gespräche (Mehrzahl!) dazu suchen. Übrigens: Den richtigen Zeitpunkt dazu gibt es nicht...

  4. 19.

    ???
    Im Parlament wird (bestenfalls) miteinander geredet?
    Und nur weil es nicht restlos funktionert ganz lassen?
    Erschließt sich mir nicht.

  5. 17.

    "Wenn man zwölf oder dreizehn Jahre alt ist, fängt man an, sich für Dinge wie Pornografie zu interessieren."
    Das finde ich aber auch, dass das unbedingt in der Schule behandelt werden muss, wenn man schon keine Werbung über Süßigkeiten im Fernsehen sehen darf …
    Ihr habt se doch nicht mehr alle !!!!!!!

  6. 16.
    Antwort auf [Ungläubiger] vom 27.02.2023 um 22:24

    Super Idee, nur mit Verboten ist noch lange nicht sicher daß sich alle daran halten!! Also miteinander reden ist immer besser, bei allen Themen!!!

  7. 15.

    @Tim
    Ohne Beleidigung geht es bei Ihnen nicht wie? Es liegt in der Verantwortung der Eltern und Sozialgemeinschaft.
    Das hier gezeichnete Bild "Die große Gefahr ist, dass sich junge Leute nicht mehr anvertrauen aus Angst, Medienverbot zu bekommen." - "Man muss spezifischer sagen: Was ist denn das Problem an Pornos? Und nicht: Das darfst du nicht sehen, weil du elf bist!" - halte ich für falsch.
    @Sheela
    Und klar kann man das verhindern. Bsp. Totalverbot, wie es das bis 1974 (BRD) und 1989 (DDR) gab.

  8. 14.

    „Was läuft denn bitte hier verkehrt???
    "Pornos nicht verbieten, sondern darüber reden"
    Wer sowas Minderjährigen zeigt, könnte sich des Missbrauchs, der Verbreitung strafbar machen oder der Kindeswohlgefährdung“

    Es ist doch absolut nirgendwo die Rede davon, dass Schülerinnen und Schülern Pornos gezeigt werden sollen; die im Netz zu finden, schaffen die wohl auch ganz alleine … Und genau deshalb sollte dann eben auch darüber gesprochen werden, dass solche Videos mitunter ein ziemlich stark verzerrtes Bild von Sex und Sexualität vermitteln. Und das ist einfach nur gut und richtig so. Vielleicht sollten Sie sich mal fragen, was bei Ihnen verkehrtläuft, dass Sie das nicht verstehen, sondern stattdessen den abstrusesten Unsinn annehmen …?

  9. 13.

    Es geht ja nicht darum Pornos zu zeigen, sondern darüber zu reden. Und dass die Heranwachsenden mit sowas in Berührung kommen, lässt sich nicht verhindern...

  10. 12.

    Was läuft denn bitte hier verkehrt???
    "Pornos nicht verbieten, sondern darüber reden"
    Wer sowas Minderjährigen zeigt, könnte sich des Missbrauchs, der Verbreitung strafbar machen oder der Kindeswohlgefährdung:
    https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__176a.html
    https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__184.html
    https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1666.html

  11. 11.

    Gott sei Dank, ich dachte schon, dass ich nur so denke …

  12. 10.

    Ich rede mit meinen Schülern (4.-6.Kl.) offen, aber altersentspr., darüber - von „Nein heißt Nein“ bis „Pornographie“, besuche mit ihnen zu festen Modulen ein Fam.planungszentrum, wo Sexualpädag. geschlechtergetrennt aufklären & alle offenen Fragen anonym beantworten. Auch hier reichen die Themen von Masturbation bis Pornos. Auf Elternabenden informiere ich darüber, sobald ich mitbekomme, dass Sexvideos/Pornos gesehen wurden. Häufig bekommen Eltern dann rote Ohren. Ein sensibles Thema für alle.

  13. 9.

    Alles wird auf die Schule abgeschoben. Wozu sind eigentlich die Eltern da? Das sind doch i h r e Kinder. Bitte werdet doch eurer Elternrolle gerecht.

  14. 8.

    Im Grunde haben Sie natürlich Recht, dass dies der Erziehungsauftrag der Eltern wäre. Leider versagen viele darin, wahrscheinlich auch nur aus der naiven Vorstellung heraus, das eigene Kind würde damit schon nicht in Berührung kommen. Diese Vernunft haben Kinder und Jugendliche aber natürlich noch nicht und wenn dann was passiert ist, verhindert die Scham, dass man sich an die Eltern wendet. Es spricht daher für mich nichts dagegen, dass der umsichtige und bedachte Umgang mit Medien in der Schule thematisiert wird, ohne dass er deswegen gleich sexualisiert wird, denn das engt das Thema und die Aufmerksamkeit nur ein. Kinder und Jugendliche müssen erlernen, dass jegliches Tun Konsequenzen haben kann, die äußerst peinlich oder unangenehm werden können und deshalb ein sparsamer Umgang mit Informationen und ein bedachter Umgang mit persönlichen Geheimnissen unabdingbar sind.

  15. 7.

    Ich finde es gut wenn in Schulen Sexualunterricht ab einer gewissen Klassenstufe stattfinden soll. Gleichzeitig sollten auch die Eltern dafür sorgen daß ihre Kinder ab einem gewissen Alter aufgeklärt werden sollten. Da wir in einer offenen Gesellschaft leben und die Zeit der Prüde vorbei ist.

  16. 6.

    Auch die Schulen haben einen Erziehungsauftrag, zumal die Thematik eher dem Bildungsauftrag zuzuordnen ist.
    Ihr zweiter Absatz wirkt inhaltlich etwas konfus und gibt Rätsel auf...

  17. 5.

    Es gibt Dinge, die kann man nicht auf die Schule verlagern. Eltern sind gefordert. Selbst!
    Man muss es machen! Und nicht: Man lässt erziehen...
    In der Schule kann man aber lässig natürlich damit umgehen, so wie unsere Kultur halt (noch) ist. Und an dieser Stelle versteckt sich eine Gefahr der Wandlung, wenn man nicht offensiv die Natürlichkeit verteidigt und sogar einfordert.

  18. 4.

    Ja, das klingt total super! Aber so weit muss man ja erst mal kommen. Ich habe es schon schwer genug, überhaupt mal bis zum ersten Date zu kommen, das ist mir seit Jahren nicht mehr gelungen. Nun gut, in der Corona-Zeit war das ohnehin nicht möglich. Aber die Frauen werden eben so mit Nachrichten überschüttet, dass man da praktisch keine Chance hat, mal aus dem Grundrauschen hervorzustechen. Andere mögen es leichter haben, weil sie vielleicht die Möglichkeit haben, in ihren normalen Lebensbereichen mit Frauen ins Gespräch zu kommen, aber wenn das absolut nicht der Fall ist, hat man offenbar Pech gehabt. Jedenfalls habe ich seit Ende der 90er Jahre hunderte von Frauen zum Essen eingeladen, aber das Ergebnis war immer dasselbe: Die haben kein näheres Interesse an mir.