Personalmangel in der Pflege - "Eigentlich bewerben sich die Krankenhäuser bei den Pflegekräften"
Überall fehlen Pflegekräfte. Die Lage ist besonders auf dem Land in Brandenburg angespannt, weil hier der Personal-Pool noch kleiner ist. Um Mitarbeiter zu halten und neue zu gewinnen, sind kreative Ideen gefragt. Von Alexander Goligowski
Welche Pflegekraft könnte von der Spätschicht in die noch unbesetzte Nachtschicht wechseln? Kann dafür eine Leasing-Kraft die Spätschicht übernehmen? Jana Humberdros ist an vielen Tagen über Stunden damit beschäftigt, Löcher im Dienstplan zu stopfen. Die Personaldecke ist dünn. "Immerhin ist es uns gelungen, wieder so viele Betten zur Verfügung zu stellen wie vor der Corona-Pandemie", zeigt sich die Pflegedirektorin der Klinik Ernst-von-Bergmann in Bad Belzig leidlich zufrieden. "Das reicht aber noch längst nicht, um unseren eigentlichen Versorgungsauftrag zu erfüllen", betont sie aber auch. "Laut Landeskrankenhausplan müssten wir 163 stationäre Betten vorhalten. Wir sind bei 145", beschreibt Jana Humberdros die Lage.
Untergrenze soll für bessere Betreuung sorgen
Auf der geriatrischen Station muss derzeit die Hälfte der Betten leer bleiben. Personal hier im Fläming fehlt, und die Pflegeuntergrenze schreibt vor wie viele Patienten und Patientinnen von einer Pflegekraft betreut werden dürfen. Laut Bundesgesundheitsministerium sind in der Geriatrie zehn Patienten pro Pflegekraft in der Tagschicht vorgesehen und 20 Patienten pro Pflegekraft in der Nachtschicht.
Für die Pflege an sich sei diese Grenze ein Gewinn, sagt Jana Humberdros. Sie schone die Gesundheitspflegerinnen und Gesundheitspfleger und sorge für eine bessere Patientenbetreuung. Dadurch können aber auch bei Personalmangel nicht alle Betten genutzt werden. "Für mich als Pflegedirektorin ist es ein ständiger Kampf, die Pflegeuntergrenze einzuhalten", sagt Jana Humberdros.
Pflegekräfte halten mit persönlichem Einsatz
Jana Humberdros ist Chefin von 170 Pflegekräften. Eigentlich hat sie einen Büro-Job und doch hilft die Pflegedirektorin regelmäßig in den Stoßzeiten aus: um den Bezug zur Arbeit nicht zu verlieren, aber auch um ihre Leute zu entlasten. "Wenn mal jemand fehlt, hilft es viel, wenn ich statt um halb acht schon um sechs Uhr zum Dienst erscheine und die Kolleginnen und Kollegen bei der Morgenarbeit ein paar Stunden unterstütze." Die Pflegekräfte freut das, und so etwas sorgt auch für ein familiäres Umfeld. Und genau darum geht es auch: Das Personal, das bereits da ist, muss gehalten werden. Zwischen den Krankenhäusern ist ein Kampf um jede Arbeitskraft entbrannt. Abwerbeversuche gibt es ständig.
Schichtmodell an Lebensumständen angepasst
Zu gewinnen ist dieser Kampf auch durch persönliches Engagement. Nicole Prinz konnte sie vor fast einem Jahr als Stationsleiterin auf der Intensivstation engagieren. Für die alleinerziehende Mutter ist der Schichtbetrieb eine große Herausforderung. "Wir haben hier ein flexibles Schichtmodell, das sich möglichst den Lebensumständen der Pflegekräfte anpasst. Frau Humberdros hat für mich eine Lösung gefunden, wie ich Job und Privates unter einen Hut kriege. Und selbst wenn die erste Lösung nicht funktioniert hätte, hätte sie einen Plan B für mich gehabt." Auch Überstunden gibt es in Bad Belzig kaum.
Das sorgt für Zufriedenheit - und für Jana Humberdros ist es eine ganz einfache Rechnung: "Um beruflich Leistung zu bringen, muss es zu Hause stimmen. Wenn da irgendwas knirscht, muss man gucken, wie man da unterstützen kann." Denn sonst ist die gewonnene Pflegekraft ganz schnell wieder weg. Und Pflegekräfte zu gewinnen, ist noch der weitaus härtere Job der Pflegedirektorin.
Schneller sein als die Konkurrenz
Wenn eine Bewerbung von einer Gesundheitspflegerin oder einem Gesundheitspfleger in Bad Belzig eintrudelt, dann ruft Jana Humberdros innerhalb von 24 Stunden zurück. Sie muss schneller sein als die Konkurrenz in Luckenwalde, Treuenbrietzen oder Brandenburg an der Havel. Einmal am Haken, versucht sie die Pflegkraft nicht wieder loszulassen. "In gewisser Weise ist die Situation jetzt so, dass sich eigentlich die Krankenhäuser bei den Pflegekräften bewerben. Denn die können sich weitestgehend aussuchen, wo sie arbeiten wollen." Geld ist das beste Lockmittel und davon wirft die Bergmann-Klinik einiges in die Waagschale.
Ganz neu in Bad Belzig ist Melissa Weinhart. Die Gesundheitspflegerin wohnt in Lutherstadt Wittenberg und arbeitete zuvor in Luckenwalde. Den 40 Kilometer langen Arbeitsweg nimmt sie in Kauf, weil die Bergmann-Klinik ihr Zulagen zahlt. "Erstmal gibt es hier ein Begrüßungsgeld. Das ist schon eine schöne Sache, und das gibt es nicht überall. Außerdem bekomme ich eine Tankzulage, sowas kenne ich sonst gar nicht."
300 bis 500 Euro erhalten die Pflegekräfte in Bad Belzig, wenn ihr Fahrweg länger ist als 20 Kilometer. Gerade auf dem Land ist dieses Angebot verlockend. Entstanden ist die Idee aus vielen Bewerbungsgesprächen, die Jana Humberdros geführt hat. "Mir haben die Leute gesagt, dass sie gern kommen würden, aber in ihrer Region bekommen sie das gleiche Geld und haben den Fahrweg nicht."
Bezahlen muss das Krankenhaus diese Zulagen aus eigener Tasche. Dennoch rechnet es sich. Denn jedes Bett mehr, bedeutet mehr Patienten und mehr Einnahmen. Und dem Versorgungsauftrag kommt die Klinik in Bad Belzig auch ein Stück näher.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 26.02.2023, 19:30 Uhr