Interview | Influencerin Toyah Diebel - "Ich habe zu Berlin von Anfang an eine Hassliebe gepflegt"
Vanilleeis mit Kürbiskernöl stehe sinnbildlich für die Veränderung Berlins, sagt die Influencerin Toyah Diebel. Sie hat die Hauptstadt, aus der sie zwölf Jahre "gesendet" hat, im Sommer verlassen. Nun lebt und arbeitet sie auf dem platten Land - in NRW.
rbb|24: Frau Diebel, was ist eigentlich Ihr Problem mit Kürbiskernöl?
Toyah Diebel: In erster Linie ist Kürbiskernöl ja was ganz Tolles. Ich würde mich niemals abwertend dazu äußern. Dennoch ist es ein Sinnbild dafür, wie sich Berlin in mancherlei Hinsicht verändert hat. Denn es ist mir auf einem Eis begegnet – über das ich mich sehr gewundert habe. Ich wollte meinem Kind eigentlich ein Schoko- oder Vanilleeis kaufen und habe ein Kürbiskernöl-Eis angeboten bekommen. Für 3,40 Euro oder einen ähnlichen Preis. Ich fand es lustig, dass das anscheinend die neue Lieblingssorte der Berliner Kinder ist.
Es war also ironisch gemeint, als Sie im Frühsommer twitterten, das sei der Grund, Berlin jetzt zu verlassen?
Na klar.
Was war also wirklich das Problem mit Ihnen und Berlin?
Ich habe zu Berlin von Anfang an eine Hassliebe gepflegt. Aber die Stadt hat mir so viel gegeben und ich habe mein Erwachsen-werden in Berlin verbracht. Deshalb wäre es absolut unfair zu sagen, dass ich mit Berlin nichts mehr zu tun haben möchte. Im Gegenteil. Ich pflege fast sowas wie eine Nostalgie, die ich mit mir herumtrage. Nichtsdestotrotz hat mein Leben in Berlin nicht mehr funktioniert. Das, was ich im Alltag gebraucht habe, habe ich in Berlin nicht mehr bekommen. Deshalb war für mich die Zeit einfach abgelaufen.
Hat das auch etwas damit zu tun, dass Sie inzwischen zweifache Mutter sind?
Wahrscheinlich. In meiner Traumwelt mit Ende 20 war klar, dass ich einmal die Hauptstadt-MILF werde. Da hätte ich keinen Gedanken daran verschwendet, jemals wieder aus Berlin wegzuziehen. Dieser Gedanke kam dann in einer Silvesternacht, in der ich und mein Partner mit unserem Neugeborenen zuhause waren. Aber da haben die Nachbarn über uns so laut gefeiert, dass wir – was vielleicht auch dem Wochenbett geschuldet war – völlig fertig waren mit den Nerven. Da haben wir uns gefragt, wie es wäre, wenn wir woanders leben würden. Da kam zum ersten Mal der Gedanke auf, sich überhaupt von Berlin zu distanzieren. Seit ich Mutter bin merke ich einfach, dass ich andere Bedürfnisse habe. Und dass auch meine Kinder andere Bedürfnisse haben.
Unsere Wohnung war zu klein, weshalb wir in Berlin auf Wohnungssuche gegangen sind. Als wir uns die fünfte Wohnung – in unterschiedlichen Bezirken – angeschaut hatten, haben wir uns angeschaut und gesagt: Das Spiel spielen wir nicht mit. Wir haben Wohnungen über 100 Quadratmetern gesucht, weil wir zu viert sind und zusätzlich von zuhause aus arbeiten. Da wurden wir mit Preisen konfrontiert, die für uns surreal waren, obwohl wir gut verdienen.
Dann haben wir erst einmal angefangen, außerhalb von Berlin, also in Brandenburg zu suchen. Doch dann kam uns der Gedanke, dass wir, wenn wir sowieso weit von Berlins Zentrum wegziehen würden, wir auch noch weiter weg können. So sind wir in Nordrhein-Westfalen gelandet.
Haben Sie einen Bezug zu NRW?
Ja, wir haben hier Familie. Seit wir Eltern sind, haben wir auch gemerkt, wie schwierig es ist, wenn man ohne familiären Background lebt. Wir hatten als Betreuungsoption in Berlin wirklich nur die Kita. Und mir hat nicht nur die Option der Betreuung gefehlt, sondern auch die emotionale Verfügbarkeit von Oma, Tante und so weiter. Es tat mir auch leid für die Kinder, dass sie ihre Cousinen und Cousins nicht sehen konnten. Ich habe als Mutter einfach gemerkt, wie wichtig es ist, dass Kinder auch mit Bezugspersonen aufwachsen, die nicht die Eltern sind.
Wie lebt es sich jetzt auf dem wirklich platten Land?
Wir wohnen wirklich dörflich in einer 3.000-Seelen-Gemeinde in der Nähe von Bielefeld. Es ist wahnsinnig still hier. Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich Angst hatte vor dem Umzug. Ich habe auch viel geweint, als der Umzug anstand. Vielleicht auch, weil ich das Gefühl hatte, meine Jugend hinter mir zu lassen. Mit diesem Schritt verzichtet man ja vermeintlich auch auf sehr viel. Ich hatte das Gefühl, mit dem Umzug raus zu sein. Physisch und mental nicht mehr Teil dieser Gang zu sein.
Als ich dann aber hier war und – auch wenn das platt klingt – die Luft eingeatmet und die Stille wahrgenommen habe, als ich die Tiere gesehen habe und das weite Land, hat mir das so gut getan, dass ich mich fast befreit gefühlt habe.
Ich weiß aber, dass nicht jeder die Option hat, einfach aufs Land zu ziehen. Ich kann das, weil ich selbständig bin. Doch viele haben die Wahl, von zuhause aus zu arbeiten, ja gar nicht.
Vermissen Sie denn etwas aus Berlin? Kreative Eissorten ja vermutlich nicht.
Doch, immer! Ich mache mich zwar lustig über solche Eissorten, aber die Kulinarik in Berlin sucht ja ihresgleichen. Egal, von welchem Kontinent der Welt man etwas essen möchte – man wird ja noch am selben Tag fündig. Das kann ich jetzt aus NRW nicht behaupten. Und ich vermisse auch das kulturelle Angebot, das ja in Berlin schon der Wahnsinn ist. Ich würde sagen, Kultur und Kulinarik habe ich jetzt einfach nicht mehr.
Ihre Kinder sind ja gebürtige Berliner. Was ist, wenn die Ihnen irgendwann mal Vorwürfe machen, nicht dort wohnen geblieben zu sein?
Die beiden zeigen mir bestimmt irgendwann mal den Vogel und fragen uns, wie wir sie dort wegholen konnten. Und es ist auch okay, wenn sie wieder hinwollen. Ich bin ja selbst mit 20 Jahren nach Berlin gezogen und kann das bei jedem Menschen, der das tun will, nachvollziehen. Berlin ist eine krasse Stadt, um erwachsen zu werden und sich selbst zu finden. Kann natürlich auch schief gehen. Aber es ist eine Stadt mit so vielen Möglichkeiten.
Aber für Sie selbst ist es undenkbar, wieder zurückzuziehen?
Ja. Das ist für mich ausgeschlossen, weil ich die Vorteile des Landlebens so genieße und so in Anspruch nehme, dass ich mir gar nicht mehr vorstellen kann, das aufzugeben. Ich bin ja noch recht regelmäßig in Berlin, alle sechs Wochen etwa. Denn ich habe ja eine Firma und Mitarbeitende in Berlin. Da kommt auch die alte Hassliebe direkt wieder zur Geltung. Denn einerseits freue ich mich auf diese kurzen Besuche von wenigen Tagen. Ich genieße es total, in Berlin zu sein. Ich fühle mich dann fast ein bisschen wie die alte Toyah.
Ich muss aber sagen, dass ich mich auch wahnsinnig freue, wieder nachhause zu fahren. Gerade jetzt wo ich in dieser Stille in der Natur lebe, fallen mir der ganze Dreck, der Beton und der Lärm viel mehr auf. Ich kann sogar sehr schlecht schlafen in Berlin, weil ich diesen Geräuschpegel nicht mehr gewohnt bin. Ich habe zwölf Jahre in Berlin gelebt – und erst nach zehn Jahren ist mir dieser Geräuschpegel, der ja unterbewusst immer da war, aufgefallen. Dieser konstante und monotone Lärm, der immer da ist. Ich würde gerne mal wissen, was das mit Menschen macht, wenn sie diesem unterbewussten Lärm nonstop ausgesetzt sind.
Vermutlich sorgt das für Stress.
Richtig. Stress ist ein Thema, das ich sehr mit Berlin verbinde. Stress wegen des Verkehrs, wegen des anderen Arbeitens, wegen der Baustellen. Berlin ist schon eine sehr schnelle Stadt. Man sagt zwar, New York sei die Stadt, die niemals schläft. Aber Berlin schläft doch auch nie. Und ich habe auch jahrelang nie geschlafen. Das macht ja was mit den Menschen.
Bevor Sie selbst Mutter waren, hatten sie die Kampagne "Dein Kind auch nicht" ins Leben gerufen, die dafür warb, vorsichtig mit Kinderbildern umzugehen im Netz. Hat sich daran jetzt für Sie etwas geändert? Oder schicken Sie jetzt auch Schnappschüsse der Kinder per Whatsapp an die Oma?
Ich schicke der Oma schon seit der Geburt der Kinder Bilder. Das ist ja der normale Umgang – dass man der engen Familie Bilder zeigt. Ich kritisiere ja den unüberlegten Umgang mit Kinderbildern in der Öffentlichkeit. Also dass Kinderbilder einfach ins Internet gejagt werden. Ohne die Kinder zu fragen oder auf ihre Privatsphäre zu achten. Da hat sich an meiner Haltung gar nichts geändert. Ich merke sogar, jetzt wo meine Kinder im Kindergartenalter sind und Bilder schon selbst blöd finden können, dass es mich bestärkt darin, dass das die richtige Haltung ist. Ich möchte mein Kind darin unterstützen, dass es die Entscheidungskraft hat, ob diese Bilder von Fremden gesehen werden oder nicht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 11.03.2023, 19:30 Uhr