Verkehrsführung an Berliner Baustellen - "Das ist für Radfahrende extrem gefährlich"

Di 11.04.23 | 06:07 Uhr | Von Helena Daehler
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Ende Fahrradweg in Neukölln (Quelle: rbb/Helena Daehler)
rbb/Helena Daehler
Video: rbb|24 | 11.04.2023 | David Donschen | Bild: rbb/Helena Daehler

Radwege werden an Baustellen oft umgeleitet, verengt oder mit der Fahrspur der Autos zusammengeführt. Seit 2021 gibt es einen Leitfaden der Senatsverwaltung für sichere Rad- und Fußwege an Baustellen. Doch der wird nicht immer konsequent umgesetzt. Von Helena Daehler

Vor dem Rathaus Neukölln endet ein Radweg abrupt: Mit gelber Markierung sind die Radweg-Linien auf der Fahrbahn durchgestrichen, das Radweg-Schild ist rot durchkreuzt, und Radfahrende müssen auf die Fahrbahn der Autos. Entlang der Baustelle teilen sich dann Auto- und Radfahrer eine schmale Fahrspur. Immer wieder sind gefährliche Überholmanöver zu beobachten, denn der gesetzlich vorgeschriebene Überholabstand von mindestens 1,5 Metern lässt sich angesichts der Enge nicht einhalten.

Seit zwei Jahren gibt es einen Leitfaden der Senatsverwaltung für Mobilität, der eine sichere Verkehrsführung an Baustellen empfiehlt. Radfahrende sollten demnach idealerweise eine vom restlichen Verkehr getrennte Fahrspur von zwei Metern Breite erhalten. Ist das nicht möglich, schlägt der Leitfaden eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h und ein Überholverbot für Autos vor.

Empfohlene Priorisierung nicht eingehalten

Die Baustelle vor dem Rathaus Neukölln entspricht nicht einmal den Mindestempfehlungen des Leitfadens. "Das ist für Radfahrende extrem gefährlich", sagt Ragnhild Sørensen vom Verein Changing Cities. Die Fahrradaktivistin sieht hier die Priorisierung der Verkehrsteilnehmenden missachtet, wie sie der Leitfaden vorgibt: "Zuerst muss klar sein, ob der Fußverkehr gut durchkommt, dann der Radverkehr, dann die öffentlichen Verkehrsmittel - und erst dann schauen wir auf die Autos."

Auf Nachfrage des rbb, warum bei der Baustelle an der Karl-Marx-Straße keine separate Fahrspur für Radfahrende eingerichtet wurde, erklärte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Mobilität: "Würde man eine eigene Radverkehrsanlage schaffen, müsste mindestens in eine Richtung für den ÖPNV und den Autoverkehr eine Umleitung geschaffen werden." Das sei aufgrund der Belastung der umliegenden Straßen verworfen worden. Zumindest wolle man aber die unklare Spurführung am Beginn des Radwegs, auf die der rbb auch hingewiesen hatte, nochmals überprüfen.

Ragnhild Sørensen (Quelle: rbb/David Donschen)
Ragnhild Sørensen von Changing Cities | Bild: rbb/David Donschen

Leitfaden hat Verbesserung gebracht

Der Leitfaden wurde aufgrund des Mobilitätsgesetzes für Baustellen an Hauptverkehrsadern konzipiert, diese liegen in Senatsverantwortung. Nach einer Schätzung der Fahrradaktivist:innen von Changing Cities entsprechen inzwischen etwa 80 Prozent dieser Baustellen den Empfehlungen des Leitfadens. Auf Bezirksebene seien es dagegen nur circa 20 Prozent.

Eine Anfrage des rbb bei allen zwölf Bezirken hat ergeben, dass fünf Bezirke den Leitfaden bisher nicht oder kaum benutzt haben. Im Pankower Straßenamt war der Leitfaden demnach bisher nicht bekannt. Die Bezirke Reinickendorf, Lichtenberg, Spandau und Treptow-Köpenick verweisen darauf, dass er für die Hauptverkehrsstraßen in Verantwortung der Senatsverkehrsverwaltung konzipiert sei und nicht für die Nebenstraßen in Verantwortung der Bezirke.

Die Senatsverkehrsverwaltung hat allerdings den Bezirken im Mai 2022 empfohlen, sich auch für die bezirklichen Nebenstraßen am Leitfaden zu orientieren. Mehrere der angefragten Bezirke betonen in ihren Antworten, dass sie den Leitfaden zwar nutzen, er sich aber aufgrund von Platzgründen oft nicht umsetzen ließe.

Getrennte Spuren Markgrafendamm (Quelle: rbb/Helena Daehler)
Gut gelöst - zumindest auf einer Seite des Markgrafendamm: getrennte Rad- und Fußgängerspuren. | Bild: rbb/Helena Daehler

Hemmnisse auf Verwaltungsebene

Thomas Stein vom Deutschen Institut für Urbanistik forscht dazu, woran es auf kommunaler Ebene bei der Radwege-Planung hapert: "Wir stellen an ganz vielen Stellen fest, dass das Thema auf struktureller und Arbeitsprozessebene angegangen werden sollte." Routinen in der Verwaltung müssten aufgebrochen werden und stärker in Projekten gedacht werden. "Bisher wird meist linienhaft gearbeitet: Jede einzelne Stelle bearbeitet hintereinander die Akte – und am Ende kann sich im schlimmsten Fall rausstellen, dass die erst spät eingebundene Straßenverkehrsbehörde oder der Tiefbau Einwände gegen die Pläne erhebt."

Die Enge an Baustellen ist durchaus exemplarisch für die Herausforderungen bei der Verkehrswende – es ist eine Platzfrage. "Wenn der Flächenkonflikt im Sinne der Umweltverträglichkeit gelöst werden soll, wird es schwierig sein, das zu lösen, ohne irgendjemandem etwas wegzunehmen", so Mobilitätsforscher Stein. An vielen Stellen sei zum Beispiel über Parkplätze zu reden. Der Status Quo der Platzverhältnisse sei bei einer ernst gemeinten Verkehrswende nicht zu halten.

Überholverbot Markgrafendamm (Quelle: rbb/Helena Daehler)
Auf der anderen Seite des Markgrafendamm: Wenig Platz für Rahfahrende, es gilt Überholverbot - an das sich allerdings wenige halten. | Bild: rbb/Helena Daehler

Vorzeigebaustelle in Friedrichshain

Wie der Leitfaden gut umgesetzt werden kann, zeigt sich am Markgrafendamm in Friedrichshain, wo zwischen Persiusstraße und Alt-Stralau gebaut wird. In Richtung Ostkreuz wurden für Radfahrer:innen und Fußgänger:innen zwei baulich voneinander getrennte Spuren eingerichtet. In die entgegengesetzte Fahrtrichtung war dafür laut Senatsverwaltung allerdings kein Platz. Dort teilen sich Auto- und Radfahrer:innen, ähnlich wie am Rathaus Neukölln, eine schmale Fahrspur.

Gemäß Leitfaden wurde hier aber zumindest eine Geschwindigkeitsbegrenzung und ein Überholverbot für Autos eingeführt. Daran halten sich allerdings nicht alle: Autofahrer:innen überholen Radfahrende - und diese wiederum nutzen den Gehweg, um nicht im Stau zu stehen.

Sendung: rbb24, 11.04.2023, 13:00 Uhr

 

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Beitrag von Helena Daehler

99 Kommentare

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  1. 99.

    "Witzig", wie es sich seit Stunden hier nur noch darum dreht, dass massenmordende Radfahrer Fußgänger nach dem Leben trachten. Das ist hier NICHT das Thema!! Thema ist, dass die meisten Bezirke nicht dem Schutz der unmotorisierten Verkehrsteilnehmenden nachkommen PLUS dass motorisierte Verkehrsteilnehmende geltendes Straßenverkehrsrecht brechen und folglich Radfahrer (und ja, auch Fußgänger) gefährden!!
    Gnarf!!!

  2. 98.

    "Wäre das genau so in Ordnung, wenn ein Autofahrer einen Radfahrer von der Straße hupt? Oder noch besser vom Radweg, weil er schneller vorwärts kommen will?"

    Aber genau das passiert doch tagtäglich, 365 Tage im Jahr.

  3. 97.

    Gefährlich ist es in Baustellen immer. Für alle. Da hier die Steigerungsform „extrem“ unlogisch verschärfend verwendet wird, kann dies nur darauf hindeuten, dass im Eingangsbild das Radwegzeichen rot durchkreuzt ist. Sollten Radfahrer nicht absteigen und schieben (auf dem Bürgersteig), ja dann ist „extrem“ richtig .... gefährlich. Und teuer, wenn man erwischt wird!

  4. 96.

    "der Fahrradfahrer fährt langsam vorbei; bedankt sich." In diesem kleinen Nebensatz stecken leider schon zwei Annahmen, die mit der erlebten Realität in Berlin nichts zu tun haben. Weder fahren diese Rücksichtslosen langsam an den Fußgängern vorbei, noch halten sie es für nötig, sich zu bedanken. Warum auch, die erachten das ja als Selbstverständlichkeit. Sehr viele Radfahrer machen mit Fußgängern genau das, was sie am Verhalten von Autofahrern an ihnen selbst kritisieren.

    Warum soll ein Fußgänger denn Platz machen? Wäre das genau so in Ordnung, wenn ein Autofahrer einen Radfahrer von der Straße hupt? Oder noch besser vom Radweg, weil er schneller vorwärts kommen will?

  5. 95.

    Ich bin absolut Ihrer Meinung!
    Ich weis nicht, was das für eine Krankheit ist, die seit ein Paar Jahren ausgebrochen ist. Egoismus pur bei den angeblichen Öko‘s …

  6. 94.

    Auch jeder Fußgänger sollte Verkehrsschilder kennen.
    https://www.bikes.de/magazin/service/verkehr/radwege-benutzungspflicht

    Einfach mal darauf achten, ob der eifrig Klingelnde nicht doch das Recht bzw. sogar die Pflicht hat, den Gehweg zu benutzen, welchen man gerade beschreitet.

  7. 93.

    "Es müssen Radfahrer davon abgehalten werden, sich und andere zu gefährden." Das ist das Ziel der Autofanatiker und Radfahrerhasser hier, möglichst viele Menschen davon abzuhalten mit dem Rad zu fahren.

    "Wer so aufbraust wie Sie, sollte besser kein Fahrzeug führen." Wo bin ich denn aufbrausemd wenn ich Fakten schildere? Sie können ja mal versuchen die Fakten, die ich genannt habe, zu widerlegen aber da werde ich lange warten müssen.

    In Australien wurde eine Helmpflicht eingeführt, darauf fuhren weniger mit dem Rad und es kam nachweislich zu mehr Unfällen.

    https://taz.de/Debatte-Helmpflicht-fuer-Radfahrer/!5063181/

    "Auf den Intensivstationen der Republik liegen permanent Fahrradfahrer mit Schädelhirntrauma." Eine maßlose Übertreibung.

    https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/schaedel-hirn-traumata-vorwiegend-durch-stuerze-und-radfahren-ohne-helm/

    Wie die wissenschaftliche Untersuchung zeigt brauchen wir also eine Helmpflicht für KfZ Insassen, Fußgängern und zu Hause!

  8. 92.

    Das macht der ADFC schon lange. Sie sind nicht informiert. Wie alle Autofanatiker hier.

  9. 91.

    Der ADFC könnte doch aber mal die Regeln vermitteln anstatt immer nur freie Fahrt für Radfahrer zu fordern.

  10. 90.

    "Einfach mal das Fahrrad schieben, ist nicht schlimm und bitte nicht immer so tun als wenn Radfahrer immer das Vorrecht hätten, Straße, Fußweg, Wald, Spielplätze, S-Bahnen, U-Bahnen, auf den Bahnsteigen…. usw"

    Ich persönlich würde mich im oben gezeigten Beispiel in der Karl-Marx-Allee weder an den rechten Rand drängen, noch mich vorbeischlängeln.

    Ich stelle mich ordungsgemäß hinten an, reihe mich hinter den KfZ ein und blockiere mittig die Spur. Aber dazu braucht man Nerven aus Stahl und ein ganz dickes Fell um das wilde Gehupe, die Beschimpfungen und gewalttätige Bedrohungen (da wird auch schon mal das KfZ als Waffe eingesetzt)über sich ergehen zu lassen.

    Das ist nicht jedermanns Sache. Und nicht ganz StVO konform wenn da so ein Mini-Pseudoradweg aufgeklebt ist. Aber sicher.

  11. 89.

    Und trotzdem nutzt ein der Radfahrer entgegen geltendem Recht die Gehwege als neue Fahrradschnellwege, zT sogar entgegen der Fahrtrichtung. Das können Sie zB jeden Tag an der Mall of Berlin beobachten. Und wo sind die Ordnungshüter?

  12. 88.

    "Auf den Intensivstationen der Republik liegen permanent Fahrradfahrer mit Schädelhirntrauma." Eine maßlose Übertreibung."
    Zum Thema Helmpflicht:
    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/101029/Australien-Helmpflicht-fuer-Radfahrer-hat-Zahl-der-toedlichen-Unfaelle-fast-halbiert

  13. 87.

    "Es müssen Radfahrer davon abgehalten werden, sich und andere zu gefährden." Das ist das Ziel der Autofanatiker und Radfahrerhasser hier, möglichst viele Menschen davon abzuhalten mit dem Rad zu fahren.

    "Wer so aufbraust wie Sie, sollte besser kein Fahrzeug führen." Wo bin ich denn aufbrausemd wenn ich Fakten schildere? Sie können ja mal versuchen die Fakten, die ich genannt habe, zu widerlegen aber da werde ich lange warten müssen.

    In Australien wurde eine Helmpflicht eingeführt, darauf fuhren weniger mit dem Rad und es kam nachweislich zu mehr Unfällen.

    https://taz.de/Debatte-Helmpflicht-fuer-Radfahrer/!5063181/

    "Auf den Intensivstationen der Republik liegen permanent Fahrradfahrer mit Schädelhirntrauma." Eine maßlose Übertreibung.

    https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/schaedel-hirn-traumata-vorwiegend-durch-stuerze-und-radfahren-ohne-helm/

    Wie die wissenschaftliche Untersuchung zeigt brauchen wir also eine Helmpflicht für KfZ Insassen, Fußgängern und zu Hause!

  14. 86.

    Die meisten Kommentare hier scheinen computergenerierter Müll zu sein.

    Oft sind falsch ausgeschilderte Baustellen für alle Verkehrsteilnehmer eine Gefahr.
    Pankow Nord zeigt sich da in Pracht und Können.
    Wir schreiben mittlerweile direkt an das Amt für Tiefbau und machen Beweisphotos. Wenn ich eine Baustelle schon in der Planung nicht gesichert bekomme, darf ich eigentlich garnicht bauen.
    Im Übrigen lobe ich mir da die Verkehrsteilnehmer, die alle mit Besonnenheit mit solchen Situationen umgehen.
    Im Gegensatz zu den meisten Bots hier, die ihre sprechblasen unverändert seit 1813 absondern.

  15. 85.

    "Das der Helm gegen 1,5 Tonnen machtlos ist weiß ich auch. Aber er kann bei kleinen Stürzen wie z.B. wegrutschen o.ä. den Kopf schützen, darum ging es mir. "

    Nur hat das Ganze nichts mit dem Artikel zu tun. Stürzt ein Radfahrer weil er in einer Baustelle touchiert wird und stürzt, nutzt der Helm Nullkommanix.

    Das Problem sind rücksichtslose LKW- und Autofahrer und eine ignorante Verwaltung, die solche Baustellen überhaupt erst genehmigt.

  16. 84.

    Volle Zustimmung! Als seit fast 7 Jahrzehnten "Radfahrender" (welche Wortschöpfung...)plädiere ich für eine ausnahmslose Pflicht zu Kennzeichen, Haftpflichtversicherung und Fahrradhelmen.

  17. 83.

    Für die Radfahrer im Video ist es schon eine Zumutung, gemeinsam mit anderen im Stau zu stehen. Es wird deshalb über den Gehweg gefahren.

  18. 82.

    Die Aufgabe der Bezirke besteht nicht daran, zuallererst rasenden Radfahrern den Weg frei zu machen, damit die nicht im Stau stehen. Hätte der Senat seine Hausaufgaben gemacht, könnte die Verkehrwende längst viel weiter sein. Es wurde jedoch gnadenlos auf Zeit gespielt. Jetzt ist Zeit für Grün in der Opposition.

  19. 81.

    "Genauso sehe ich das auch. Ich würde noch nicht mal zum Bäcker ohne Helm fahren. Als Autofahrer nen Gurt anlegen mußten gab es ein riesen Theater, ebenso als die Helmpflicht fürs Motorrad eingeführt wurde."

    Sie als Pseudoradfahrer fahren ja nur maximal 100 Kilometer im Jahr zum Bäcker, sie sind Autofanatiker wie alle anderen hier, die einfach nur dummes Zeug labern!

  20. 80.

    Das Auto sollte endlich den Platz bekommen dem ihm zu steht der Schrottplatz.

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