Interview | Coming-out in der Kirche - "Wir müssen mutig bleiben und dürfen keine Konsequenzen fürchten"

So 21.05.23 | 17:47 Uhr
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Die Kombo zeigt Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Initiative "#OutInChurch. Für eine Kirche ohne Angst" - eine Szene aus der ARD-Dokumentation "Wie Gott uns schuf" (undatiert) (Quelle: EOM/rbb)
Audio: rbbKultur | 24.05.2023 | Interview mit Thomas Spinrath | Bild: EOM/rbb

Thomas Spinrath ist Mitte 20, gläubig - und hat sich 2022 in dem ARD-Film "Wie Gott uns schuf" öffentlich geoutet. Im Interview erzählt er, was sich im letzten Jahr für ihn verändert hat.

Ende Januar 2022 wagten 100 Menschen im Dienst der katholischen Kirche, die sich als nicht-heterosexuell definieren, den Schritt in die Öffentlichkeit. Priester, Ordensbrüder, Gemeindereferentinnen, Bistums-Mitarbeitende, Kindergärtnerinnen, Sozialarbeiter und viele mehr berichteten in der ARD-Dokumentation "Wie Gott uns schuf" von Einschüchterungen, Denunziationen, tiefen Verletzungen, Benachteiligungen, jahrzehntelangem Versteckspiel und Doppelleben.

Es ist Zeit nachzufragen: Hat sich die Situation queerer Beschäftigter in der katholischen Kirche verbessert? Wie ist es denen ergangen, die sich geoutet haben? "Wie Gott uns schuf - nach dem Coming Out" - der Film von Hajo Seppelt und Katharina Kühn ist jetzt in der ARD Mediathek zu sehen und am 24.5., 22 Uhr, im rbb Fernsehen.

Ulrike Bieritz hat sich mit Thomas Spinrath, einer der 100 Protagonisten, der heute in Berlin lebt, getroffen.

rbb: Thomas Spinrath, Sie waren Anfang 2022 einer der über 100 Menschen, die sich öffentlich geoutet haben. Wie viel Mut brauchten Sie, um an die Öffentlichkeit zu gehen?

Thomas Spinrath: Dieser letzte Coming-out-Schritt brauchte gar nicht mehr so viel Mut. Schon in den Jahren zuvor hatte ich damit begonnen, im katholischen Umfeld sehr viel offener mit meiner Queerness umzugehen. Ich habe mich also bereits im queeren katholischen und interreligiösen Aktivismus bewegt. Die kleineren, aber viel wichtigeren Schritte dahin haben mir mehr Mut abverlangt. Dann war es fast ein konsequenter letzter Schritt, auch Teil dieser großen Kampagne zu werden.

Zur Person

Thomas Spinrath (Quelle: rbb/Ulrike Bieritz)
rbb/Ulrike Bieritz

Thomas Spinrath

- Geboren 1996 in der Nähe von Köln
- Jahrelang ehrenamtlich in der katholischen Kinder- und Jugendarbeit engagiert
- Leitete unter anderem interreligiöse Jugendprojekte
- Mitglied bei #outinchurch
- Mitglied im Verein DialoguePerspectives e.V., Dialogperspektiven. Religionen und Weltanschauungen im Gespräch
- Transformationsforscher am Research Institute for Sustainability (RIFS) in Potsdam

Aber es ist ja nochmal ein Unterschied, ob man es face-to-face jemandem erzählt oder ob man dann wirklich mit Bild und Ton oder im Digitalen auftaucht.

Das stimmt, das merkt man dann auch an den vielen Reaktionen, die gekommen sind. Ich glaube, mir ist das erst in den Tagen und Wochen danach bewusst geworden, was für eine große Öffentlichkeit wir wirklich durch den Film und die Kampagne #OutInChurch erreichen konnten.

Welche Reaktionen haben Sie denn ganz persönlich bekommen?

Sehr viele positive Reaktionen. Es haben sich zum Beispiel viele Leute aus meiner Schulzeit gemeldet, mit denen ich bis dahin sechs, sieben Jahre gar keinen Kontakt mehr hatte. Das war schön, weil viele mir gesagt haben: Du gibst auch meiner Erfahrung eine Stimme! Es war total bestärkend zu wissen, ich mache das nicht alleine für mich. Ich gebe auch anderen queeren Personen, die im katholischen Umfeld sozialisiert wurden, eine öffentliche Sichtbarkeit. Und es wurde eine Debatte angestoßen, die es einfach zu lange nicht gegeben hatte in Deutschland. Deswegen war es sehr berührend, das von vielen Leuten zu hören.

Gab es auch negative Reaktionen?

Direkt, ganz persönlich nicht. Ich kann mir natürlich auch vorstellen, dass sich manche Leute nicht trauen, das persönlich zu sagen. Ich glaube, und das ist ja auch Teil meiner Erfahrung, dass ich am Ende doch in einem - für katholische Verhältnisse - relativ liberalen Umfeld groß geworden bin und viele meiner Sorgen, ob Queers dort einen Platz haben können, gar nicht berechtigt waren.

Auf einer größeren, institutionellen Ebene haben wir als Kampagne Gegenwind, Ablehnung, organisierten Hass aus rechtskatholischen Kreisen bekommen. Aber das sind Dinge, mit denen ich dann weniger persönlich konfrontiert wurde.

War es für Sie einfacher, sich zu outen oder an die Öffentlichkeit zu gehen, weil Sie jung sind und queer zu sein nicht mehr so ein Tabu ist?

Am Ende ist es eine persönliche Frage, wie wohl ich mich fühle, mit meiner Geschichte in der Öffentlichkeit zu stehen. Auch wenn dieser kollektive Schritt befreiend sein kann, kollektiv ist es nicht immer einfach, weil viele schmerzhafte Erfahrungen neu hochgekommen sind. Ich weiß nicht, ob es eine Altersfrage ist. Ich denke, ich hatte als eine Person, die ehrenamtlich unterwegs ist, eine gewisse Freiheit. Ich wusste, dieser Schritt wird für mich keine finanziell existenziellen Konsequenzen haben können. Und das ist schon eine Dimension, die man auf keinen Fall unterschätzen darf.

Die Kampagne #OutInChurch hat inzwischen über 500 Mitglieder. Wir haben Menschen wieder neuen Mut geben können, auch trotz existenzieller Sorgen um die Anstellung bei der katholischen Kirche offen Teil der Bewegung zu sein.

Es gibt viele Menschen, die sich weiterhin zusammentun müssen und Kirche so leben, wie sie es möchten.

Thomas Spinrath, Protagonist im ARD-Film "Wie Gott uns schuf"

Es gab ja keine Konsequenzen. Am Ende hat niemand seinen Job verloren.

Uns hat in gewisser Weise die Öffentlichkeit geholfen. Diese große Öffentlichkeit zu haben, hat wahrscheinlich schon einen gewissen Schutz geboten, weil für Verantwortungsträger sicherlich die Gefahr bestanden hätte, auf sehr viel öffentlichen Gegenwind zu stoßen, wenn personelle Konsequenzen gezogen worden wären.

Die Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts heißt, dass die sexuelle Orientierung oder die private Lebensführung keine Rolle mehr spielen und kein Kündigungsgrund mehr sein dürfen. Was hat sich für Sie persönlich in diesem Jahr verändert, seit dem ersten Film?

In einem Jahr passiert viel, gerade wenn man Mitte 20 ist. Ich habe mich nach zehn Monaten entschieden, aus der katholischen Kirche auszutreten. Zunächst einmal, weil ich gemerkt habe, dass es mir schwerfällt, kirchenrechtlich und steuerrechtlich Teil dieser Kirche zu sein.

Ich wollte nicht verantworten, dass mein Geld in einem autoritären System auch an queerfeindliche, rechtsradikale katholische Kreise verteilt werden kann. Das war gleichzeitig aber auch eine schmerzhafte Entscheidung. Nicht erst durch die Kampagne kenne ich viele Menschen, die eine wertvolle Arbeit leisten, die auch durch Kirchensteuermittel finanziert wird. Aber ich bin an den Punkt gekommen, wo ich skeptisch geworden bin, ob wir es schaffen, das große, autoritäre und am Ende halt strukturell menschenfeindliche und strukturell queerfeindliche Machtsystem der katholischen Kirche in absehbarer Zeit zu brechen.

Solange es dieses Machtsystem gibt, helfen uns meiner Meinung nach graduelle Verbesserungen wie jetzt im Arbeitsrecht nur sehr bedingt.

Braucht es vielleicht auch so eine Art Graswurzelbewegung von unten, um die Kirche zu verändern? Sehen Sie, angesichts von Bischöfen, die keine Reformen wollen, dennoch Chancen auf Veränderung?

Wir brauchen meines Erachtens eine gesellschaftliche Aufarbeitung des Leids und der Gewalt, die von der katholischen Kirche an queeren Menschen verübt wurde und bis heute verübt wird. Das wird die katholische Kirche alleine nicht leisten können. Das sehen wir ja daran, wie sie kläglich daran scheitert, sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen aufzuarbeiten.

Der Synodale Weg (Anm. d. Red.: Reformprozess der katholischen Kirche) hat bei allen Schwierigkeiten gezeigt, dass es zumindest in der Breite der katholischen Kirche immer noch ganz viele Menschen gibt, die den Wandel möchten. Dass dieser Wandel jetzt nicht so radikal und überzeugend ausgefallen ist, wie ihn sich wahrscheinlich viele gewünscht haben, liegt daran, dass es eine Machtelite an Bischöfen gibt, die das verhindert.

Aber es gibt viele Menschen, die sich weiterhin zusammentun müssen und einfach Kirche so leben, wie sie es möchten. Da müssen wir mutig bleiben und dürfen keine Konsequenzen fürchten, auch wenn das immer wieder bedeutet, reaktionären Widerstand zu kriegen. Das ist Teil jeder Befreiungsbewegung, dass man sich leider mit Hass und Widerstand auseinandersetzen muss. Aber ja, es hält uns ja niemand davon ab, Christentum und Religiosität so zu feiern, zu leben und zu gestalten, wie wir das möchten. Wir müssen viel mutiger sein, das einfach zu tun.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch mit Thomas Spinrath führte Ulrike Bieritz für rbbKultur. Der Text ist eine überarbeitete und gekürzte Fassung. Das vollständige Gespräch können Sie im Audio-Player oben nachhören.

Sendung: rbb Fernsehen, 24.5.2023, 22 Uhr

17 Kommentare

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  1. 17.

    Wovon werden denn die Krankenhäuser finanziert? Sie erhalten genau dieselben Gelder wie jedes andere Krankenhaus auch. Allein die Trägerschaft sagt nichts über die Finanzierung aus. Ob kirchliche Träger im Einzelnen besser oder schlechter sind, darf jeder für sich entscheiden. Wesentlich anders ist der gesamte Ablauf jedenfalls nicht.

  2. 16.

    Keine Einrichtung könnte Krankenhäuser, Kindertagesstätten oder Pflegedienste aus reiner Nächstliebe betreiben. Die christlichen Kirchen sind gleichwohl eine nicht wegzudenkende Konstante bei der Versorgung der Bevölkerung. Ihre Unterstellung, solche Einrichtungen böten eine stete Möglichkeit an Gewinnmaximierung für die Kirchen, entspricht nicht der Realität.

  3. 15.

    Glauben Sie ernsthaft, kirchliche Krankenhäuser, Kindertagesstätten oder Pflegedienste würden auch nur mit einem Cent aus kirchlichen Mitteln bezuschusst? Wie alle anderen Einrichtungen dieser Art werden die aus den üblichen gesellschaftlichen Mitteln, wie Steuern und Kassenbeiträgen, finanziert. Im Gegenteil fließen Gewinne aus diesen Wirtschaftsunternehmen in Richtung Kirche. Aus Barmherzigkeit und Nächstenliebe werden diese Einrichtungen jedenfalls nicht betrieben. Es ist nicht verwerflich, dass die Kirchen solche Einrichtungen betreiben, aber es ist falsch, so zu tun, als würden die Kirchen da kein Geschäft machen.

  4. 14.

    Wann kommt denn der Artikel "Coming-out in der Moschee"? Lasst mich raten ...

  5. 13.

    Leute, kriegt euch wieder ein. Was da der "Transformationsforscher am Research Institute for Sustainability" erzählt interessiert fast niemanden auch nur die Bohne. Auch wenn der Transformationsforscher meint, seine Thesen würden mit der Bibel übereinstimmen, er sollte nochmal genauer lesen. Auf Wunsch würde ich ihm helfen.

  6. 12.

    Entweder ist die deutsche kathol. Kirche christlich und basiert auf der Heiligen Schrift, die Homosexualität verurteilt [Vgl. Gen 19, 1-29; Röm 1,24-27; 1 Kor 6,10; 1 Tim 1,10.], oder sie soll offen zugeben, dass sie nicht mehr christlich sein will.

  7. 11.

    Wobei schon jetzt konstatieren muss, dass die katholische Kirche in Deutschland von der Weltkirche teilweise als Sekte wahrgenommen wird. Deutschlands katholische Kirche holt sich im Vatikan kalte Füße für ihren Sonderweg, verbrämt als "Synodaler Weg" bezeichnet. Mehrere katholische Bischöfe in Deutschland würde gerne Homosexuelle segnen und Frauen in Weiheämtern sehen. Damit sind sie innerhalb der Kirche aber ziemlich isoliert. Bei einem Rom-Besuch der Bischöfe stießen ihre Vorschläge ebenfalls auf keine Gegenliebe. Der Papst hat sich bereits mehrfach kritisch zum "Synodalen Weg" geäußert. Die angesprochenen zentralen Themen bleiben aus Sicht des Vatikans aber nicht verhandelbar.

  8. 10.

    Pardon, das empfinde ich dann als Ausdruck von waltendem Totalitarismus: Aus der Tatsache eines zu 90 oder 95%ig Existierendem soll etwas 100%ig Existierendes gemacht werden. Die Natur oder auch Gott - gleich, wie ein Mensch das sehen will - hat immer alles hervorgebracht, das häufig Vorkommende und auch das selten Vorkommende und alles hat damit seinen Sinn.

    Wer eines davon abschneidet, begeht Diskriminierung und Ausschluss, dagegen regt sich völlig zu Recht Widerstand, ob nun innerhalb oder außerhalb der Kirche.

  9. 9.

    „Axo, sich aber dann in den selbigen Krankenhäusern oder von der Caritas versorgen lassen.“

    Solange das medizinische Personal eines Krankenhauses fachlich gut ist, ist es mir herzlich egal, an welchen Unsinn auch immer diese Menschen privat so „glauben“.

  10. 8.

    Gottes Liebe ist überall und völlig ohne Vorurteil, Gott liebt alle gleich, nicht nur jene, die Kirchensteuer bezahlen. Anscheinend ist mit der Ideologie zwischen Gott und Mensch irgendwas schief gelaufen, denn manche Menschen machen von der Kirchensteuer die Zuwendung Gottes abhängig.
    Das ist falsch, Gott liebt alle, auch jene, die keiner menschengemachte Religion angehören.

  11. 7.

    Um Gottes Willen, Gläubige voller Vorurteil und Ablehnung, dabei glauben sie, aber woran genau? An Vorurteil, Dekadenz und Homophobie? Wer glaubt, der sollte doch von Gottes Liebe allen Menschen gegenüber regelrecht durchflutet werden, denn Gott schuf uns doch alle. Gläubige machen Unterschiede? Was ist der Glaube denn überhaupt wert? Ein guter Mensch wird auch dann gut sein, wenn er frei von jedweder Ideologie ist. Aber der Glaube rettet mitnichten schwache Menschen und macht sie zu guten Menschen, gut wird man nur durch sich allein, ohne Ideologie.
    Seid gut zueinander und liebt die Menschen, mehr Religion ist nicht nötig.

  12. 6.

    Axo, sich aber dann in den selbigen Krankenhäusern oder von der Caritas versorgen lassen.

  13. 5.

    Es ist schon sehr fragwürdig, was der Interviewte so von sich gibt. Aus dem Verein austreten und hoffen die Anderen werden es richten. Habe da bessere Erfahrungen mit dem Bodenpersonal gemacht.

  14. 4.

    Meine Frau und ich sind auch ausgetreten. Wir bleiben Christen, aber unterstützen dieses menschenfeindliche System nicht mehr. Geld ist die einzige Sprache, die die katholische Kirche versteht. Vielleicht ändert sich die Kirche in 100 Jahren. Dann überlegen wir neu ;-)

  15. 3.

    In unserer Region spielt die katholische Kirche, Gott sei Dank, keine Rolle und darum sollte man ihr auch keinen Raum in den Medien einräumen. Dieser Club alter Männer, die Probleme mit Frauen haben und erst recht mit homosexuellen Menschen, ist derart rückwärts gewandt, daß man sich fragt, was eigentlich der Sinn ihres dasein ist. Sich um die Menschen zu kümmern, für sie da zu sein jedenfalls nicht.

  16. 1.

    Für die katholische Kirche würden die "Coming Out" Aktivitäten problematisch sein. Man muss wissen, damit wird allenfalls eine winzige, ja eine verschwindende Minderheit bedient, die auch in der katholischen Kirche keine wirkliche Basis hat. Der Rest der noch Kirchensteuerzahler würde sich vermehrt abwenden, weil er solche Bewegungen nicht als unterstützungswert erachtet.

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