Interview | Berliner Feuerwehrmann - "Es fängt bei Beleidigung an und geht bis zu schweren Verletzungen"
Woher kommt der Hass auf Einsatzkräfte? Mit dieser Frage beschäftigt sich am Donnerstag ein Feuerwehrkongress in Berlin. Durch die Silvesterkrawalle ist dieses Thema hier von besonderer Brisanz. Ein Berliner Feuerwehrmann berichtet.
Pflastersteine, Böller, Bierkisten, Latten und Pfefferspray: Gruppen junger Männer haben damit in der Silvesternacht in Berlin Polizei und Feuerwehr attackiert. Manche Retter und Helfer wurden sogar in Hinterhalte gelockt und angegriffen.
Der hauptberufliche Berliner Feuerwehrmann Manuel Barth ist viele Jahre selbst zu Rettungseinsätzen gefahren. Inzwischen ist er Vizevorsitzender und Sprecher des Landesverbandes Berlin-Brandenburg der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) und vertritt die Interessen seiner Kollegen. Gewalt gegen Einsatzkräfte ist aus seiner Sicht ein echtes Problem in Berlin, wie er im Gespräch mit rbb|24 berichtet.
rbb|24: Herr Barth, kann man tatsächlich von Hass gegen Einsatzkräfte sprechen?
Manuel Barth: Ich würde jetzt nicht direkt von Hass gegen Einsatzkräfte sprechen, sondern von einer allgemeinen Distanzierung und einem allgemeinen gesellschaftlichen Problem. Wenn Sie als Rettungsdienstler, als Feuerwehrmann oder Feuerwehrfrau an eine Einsatzstelle kommen, um zu helfen und wenn Sie dann dort Gewalt und Aggressionen erfahren, dann ist das Gefälle besonders groß. Das wird so empfunden.
Sie selbst haben auch schon Gewalt im Dienst erlebt. Was genau ist passiert?
Das ist bei mir schon eine Weile her, aber da bin ich als Fahrzeugführer eines Rettungswagens herausgefahren. Da war ein junger Mann, der aus einer Kneipe geflogen ist. Der war verletzt, hat geblutet, und wir sollten ihn versorgen. Der konnte sich mit seiner Situation nicht arrangieren und ist gegen uns aggressiv geworden, mit Schlagen, Spucken, Treten, das ganze Programm.
Welche Erklärung haben Sie für die Gewalt gegen Einsatzkräfte?
Es scheint einfach eine Verrohung in der gesamten Gesellschaft zu sein, die auch die Berliner Feuerwehr, die Rettungsdienste im Allgemeinen bundesweit überrollt. Warum das genau so ist, ist eine Frage für Soziologen. Die Erklärung für die Gewalt gegen Einsatzkräfte ist fürwahr schwierig zu finden. Aber das fängt damit an, dass man sich erst mal die Fakten anschaut. Wenn wir uns zum Beispiel Neukölln angucken, auch im Zusammenhang mit den Silvesterübergriffen, dann waren es überwiegend Täter mit Migrationshintergrund, junge Männer, Jugendliche.
Warum ist es genau dieser Täterkreis - und woran liegt das?
Prävention ist mein großes Stichwort: Wir müssen natürlich auch in die Kieze rein, wir müssen mit den Leuten reden, wir müssen Distanzen abbauen, aber genauso wichtig ist eben auch die Repression, dass man halt sagt: Hör mal, du hast hier eine Straftat begangen, dafür wirst du bestraft.
Die Berliner Feuerwehr wird nicht nur in Neukölln, Schöneberg, Kreuzberg und Wedding angefeindet, sondern auch in anderen Stadtteilen. Warum und in welcher Form?
Da ist meine Hypothese, dass die Grundlage eventuell eine übersteigerte Erwartungshaltung ist. Die Feuerwehr oder auch der Rettungsdienst allgemein werden dort als Dienstleister gesehen, die von Steuergeld bezahlt werden. Das mag richtig sein, aber deswegen ist man ja nicht der persönliche Mitarbeiter des Anrufenden, sondern hat einen ganz klaren gesetzlichen Auftrag.
Und im Zuge dieser fehlenden Distanz oder dieses fehlenden Respekts auf der einen Seite und der Erwartungshaltung auf der anderen Seite sind die Probleme auch vielschichtig. Mancher ist enttäuscht, weil er nicht in das Krankenhaus gebracht wird, das er sich wünscht. Sondern Feuerwehrmann, Feuerwehrfrau, Rettungsdienst genauso handelt, wie er/sie soll. Das heißt, das nächste geeignete Krankenhaus anzufahren.
Und allein das kann dann schon zu einer Beschwerde führen. Das ist auch eine Form von Belastung. Die Kollegen sagen: Ich mache meinen Job vernünftig, und trotzdem habe ich dann eine Beschwerde am Hals. Das empfinde ich als schwierig und störend.
Wo sieht man das?
Das sind dann oft die besser situierten Bezirke, also Dahlem, Wannsee und so weiter, wo die Erwartungshaltung der Bürger sehr hoch ist.
Was hören Sie von Kollegen und Kameraden jenseits der massiven Angriffe in der Silvesternacht: Womit haben die Frauen und Männer der Berliner Feuerwehr zu kämpfen?
Es fängt an bei Beleidigung, Beschimpfungen, das Zeigen des Stinkefingers, einen Vogel zeigen und so weiter. Das geht bis zur Körperverletzung, auch bis zu schweren Verletzungen. Zum Beispiel wurde einem Kollegen der Knöchel gebrochen. Der fällt für Wochen aus. Das war eine psychiatrisch auffällige Patientin, die massiv auf den Kollegen eingewirkt hat.
Ist das nicht Berufsrisiko?
Naja, der Ursprung ist ganz oft ein psychiatrischer, psychischer Ausnahmezustand, Alkoholismus, Drogenkonsum und so weiter. Das sind alles Erklärungen. Aber die Kolleginnen und Kollegen fangen beim Rettungsdienst an und nicht beim Sicherheitsdienst oder bei der Polizei, wo man vielleicht eher darauf fokussiert ist, dass es hier zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommt.
Natürlich gibt es gewisse Risiken. Aber das ist noch lange keine Rechtfertigung, das erdulden zu müssen. Und umso wichtiger ist es, Aufmerksamkeit dafür zu schaffen. Und uns selbst zu fragen: Wie gehen wir damit um? Wie können wir unsere Kolleginnen und Kollegen langfristig davor schützen?
Und was macht das alles mit den Mitarbeitern und Ehrenamtlichen?
Das stört das eigene Urvertrauen. Wenn ich im Rettungsdienst oder in welcher Funktion auch sonst unterwegs bin, begebe ich mich immer in unbekannte Situationen, in fremde Wohnungen, fremde Ecken. Ich weiß nie, was da wirklich ist und gehe dorthin, weil ich gerufen wurde, um zu helfen.
Deshalb gibt es Kollegen, die überlegen, Berlin zu verlassen, woanders hinzugehen. Und unsere Nachwuchssorgen sind riesengroß. Die Bilder aus der Silvesternacht sind da kein guter Werbeträger, gerade auch nicht für die Freiwillige Feuerwehr, die uns zu solch großen Veranstaltungen massiv mit Personal unterstützt aus dem Ehrenamt heraus.
Und wenn Sie ehrenamtlich tätig sind und Gefahr laufen, in irgendwelche Straßenfallen und Hinterhalte zu geraten und verprügelt zu werden, dann ist es nachvollziehbar, wenn man sagt: Das ist nicht mehr das richtige Ehrenamt für mich, ich mache das hier freiwillig ohne Geld, weil ich der Gesellschaft was geben möchte und möchte mich diesem Risiko, verkloppt zu werden, nicht mehr aussetzen.
Was wünschen Sie sich?
Wir müssen sichtbarer werden als Feuerwehr im Allgemeinen, sichtbarer werden für die Menschen. Die Polizei, glaube ich, ist da deutlich besser aufgestellt. Die Feuerwehr ist oftmals in der zweiten Reihe, die Feuerwachen liegen meist in Seitenstraßen.
Distanzabbau wäre hilfreich, dass man künftig sagt: Den kenne ich, mit dem habe ich mal gesprochen. Oder: Ich kenne einen Feuerwehrmann, ich kenne eine Feuerwehrfrau, die haue ich nicht. Grundsätzlich hat man dann vielleicht einen höheren bzw. einen normal menschlichen Respekt vor Einsatzkräften, den wir alle voneinander erwarten.
Ist das ein Appell an sich selbst und an Ihre Kollegen? Wer soll die Initiative ergreifen?
Es ist ein Appell an die Behörde als solches, also an die Berliner Feuerwehr, aber auch an die Senatsinnenverwaltung oder alle, die damit zu tun haben, eben dieses Problem zu erkennen, und wir haben uns ja selbst schon ein bisschen gerührt.
Herr Barth, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Annette Miersch, rbb24 Inforadio.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.09.2023, 6:05 Uhr