Seit fast anderthalb Jahren fordern Berliner Standesämter dutzende neue Stellen, bewilligt wurden sie vom Senat bisher nicht. Vielerorts sind etwa Eheschließungen eingeschränkt. Aber nicht alle Bezirke sind gleichermaßen betroffen. Ein Überblick. Von Sabine Müller
Es ist kein neues Problem, dass viele Standesämter in Berlin mehr Arbeit haben, als sie bewältigen können. Seit Jahren gibt es immer wieder Berichte über rare Heiratstermine und lange Wartezeiten. Die Lage hat sich aber nochmals verschärft, seit Ende 2022 das geänderte Personenstandsrecht in Kraft trat und die Arbeitsbelastung weiter stieg. Im Laufe dieses Jahres kommt dann noch das neue Namensrecht auf die Standesämter zu.
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Gesetzlich verpflichtende Aufgaben haben Vorrang
Schon im Sommer 2022 hatten die zwölf Bezirke beim Senat deshalb einen Bedarf von insgesamt 90 zusätzlichen Vollzeitstellen angemeldet. Im Berliner Doppelhaushalt 2024/25 finden sich diese Stellen allerdings nicht.
Priorisieren ist nun vielerorts die Devise, heißt konkret: gesetzlich verpflichtende Aufgaben haben für die Standesämter Vorrang. Zu diesen Aufgaben gehört es neben der Ausstellung von Geburts- und Sterbeurkunden zwar, Anmeldungen zur Eheschließung anzunehmen, nicht aber Trauungen durchzuführen.
Außerdem machen die Bezirke Druck. Bei der letzten Sitzung im sogenannten "Lenkungskreis Bürgerdienste" verschärften sie den Ton gegenüber dem Senat deutlich und drohten mit "Schreibtischehen", um Zeit und Personal zu sparen. Statt einer feierlichen Trauung würde dann nur ein kurzer Verwaltungsakt angeboten. In Medienberichten war danach von einem "Kollaps in Standesämtern" die Rede.
Aber wie schlimm ist die Lage wirklich? Der rbb hat in allen Bezirksämtern nachgefragt und sehr unterschiedliche Antworten erhalten.
Standesämter der Bezirke im Überblick
Charlottenburg-Wilmersdorf
Das Standesamt Charlottenburg-Wilmersdorf hat sein Angebot derzeit nicht heruntergefahren, teilt der für Bürgerdienste zuständige Bezirksstadtrat Arne Herz (CDU) mit. Hochzeiten am Samstag gibt es allerdings schon seit mehreren Jahren nicht mehr, auch keine Außer-Haus-Trauungen. Sterbeurkunden können innerhalb von drei bis fünf Werktagen ausgestellt werden.
Die Mitarbeitenden geben ihr Möglichstes, betont Herz und bedauert, dass beantragte zusätzliche Stellen bisher nicht bewilligt wurden.
Friedrichshain-Kreuzberg
Im Standesamt Friedrichshain-Kreuzberg gibt es aktuell ein "uneingeschränktes Angebot", heißt es aus dem Bezirksamt. Das bedeutet konkret: Eheschließungen montags, dienstags, mittwochs und freitags sowie an ausgesuchten Samstagen. Perspektivisch kann der Bezirk "nicht ausschließen", dass Samstags-Hochzeiten eingestellt werden müssen. Sterbeurkunden werden innerhalb von fünf bis sieben Tagen bearbeitet.
Berlinweit sehr ungewöhnlich: Im Standesamt Friedrichshain-Kreuzberg sind laut eigener Aussage alle Stellen besetzt.
Lichtenberg
Eheschließungen werden im Bezirk Lichtenberg "bisher ohne Einschränkungen" durchgeführt und es gibt keine Planungen dafür, Termine zu verknappen. Auch im Bestattungswesen läuft alles regelhaft, Sterbeurkunden sind innerhalb von ein bis zwei Wochen ausgestellt.
Als Grund dafür, dass es keine Einschränkungen gibt, nennt das Bezirksamt: Eigeninitiative. Nachdem die geforderten zusätzlichen dreieinhalb Vollzeitstellen vom Senat nicht bewilligt wurden, finanzierte der Bezirk sie selbst.
Mitte
Unter der Woche kann im Standesamt Mitte geheiratet werden, Samstags-Trauungen werden schon seit 2016 aus personellen Gründen nicht mehr angeboten. Pläne, Hochzeiten "abzuspecken" und statt einer feierlichen Trauung nur einen kurzen Verwaltungsakt anzubieten, gibt es in Mitte aktuell "noch nicht".
Personalnot ist ein Thema: Dem Standesamt fehlen nach eigener Aussage aktuell 10,7 Stellen. Das führt unter anderem dazu, dass Bestattungsgenehmigungen, obwohl sie prioritär behandelt werden, aktuell eine durchschnittliche Bearbeitungszeit von drei bis vier Wochen haben.
Marzahn-Hellersdorf
Das Standesamt Marzahn-Hellersdorf macht keinen Hehl aus seiner Notlage. "Seit August 2022 wurden die Termine für Eheschließungen im Bezirk auf ein Minimum reduziert", schreibt Juliane Witt (Linke), Bezirksstadträtin für Bürgerdienste, auf der Homepage. Auf rbb-Nachfrage nennt Witt diese Zahlen: Im Januar 2024 wurden fünf Trauungen durchgeführt, für den Rest des Jahres sind derzeit weitere 73 geplant.
Laut Plan sollten in Marzahn-Hellersdorf zehn Standesbeamtinnen und Standesbeamte arbeiten. Unter anderem aufgrund von Krankheit und unbesetzten Stellen sind laut Witt im Durchschnitt aber nur drei anwesend.
Dazu kommen technische Probleme im elektronischen Personenstandsregister. Fast den gesamten November 2023 konnten deshalb keine Geburts-, Sterbe- und Ehe-Urkunden ausgestellt werden.
Neukölln
Im Standesamt Neukölln finden Eheschließungen aktuell "nahezu ohne Einschränkungen statt". Wochenendtermine sind allerdings rar, 2024 sind Trauungen nur an sechs Samstagen möglich.
Temporäre Einschränkungen kann es während der Ferien oder in der Zeit zwischen den Jahren geben, denn oberste Priorität habe die Ausstellung von Geburtsurkunden und Sterbeurkunden. Die Ausstellung von Sterbeurkunden dauert in Neukölln aktuell etwa drei bis fünf Tage.
Die Zahl der fehlenden Stellen beziffert das Bezirksamt auf "acht bis zehn". Ob deshalb zukünftig Leistungen eingeschränkt werden, sei "derzeit nicht abschätzbar".
Pankow
Nach Ansicht von Bezirksstadtrat Cornelius Bechtler (Bündnis 90/Die Grünen) kann das Eheschließungsangebot in Pankow "sicherlich nicht als umfassend bedarfsdeckend angesehen werden". Schon im August 2017 wurde entschieden, Hochzeiten an den Außenstandorten Rathaus Weißensee und Prenzlauer Berg einzustellen. Seitdem finden Trauungen ausschließlich im Rathaus Pankow statt und das in reduzierter Anzahl. Samstags-Eheschließungen wurden nie komplett eingestellt, die verfügbaren Termine aber deutlich runtergefahren.
Bechtler beklagt, die "zunehmende Arbeitsbelastung" sei im Standesamt "jetzt schon deutlich zu spüren". Ob die Mitarbeitenden "längerfristig dem bestehenden Leistungsdruck standhalten", so der Bezirksstadtrat, hänge unter anderem davon ab, ob das Personal aufgestockt werde.
Reinickendorf
In Reinickendorf finden aktuell mittwochs, freitags und an bestimmten Samstagen Hochzeiten statt. Noch gebe es keine Einschränkungen, teilt der Bezirk mit. Aber ab Juni werden die Samstags-Trauungen eingestellt, außerdem die sogenannten "Außeneheschließungen", also Trauungen, die außerhalb des Standesamtes etwa in Restaurants stattfinden.
Sterbeurkunden können innerhalb von zwei Wochen ausgestellt werden. Künftig könnte das aber länger dauern, prognostiziert das Bezirksamt. Was das Personal angeht, so gibt es im Standesamt laut Bezirk aktuell sieben volle Stellen, gewünscht sind auf längere Sicht aber doppelt so viele.
Spandau
Spandau meldet aktuell keine Einschränkungen bei den Eheschließungen. Von daher ist es auch nicht geplant, Hochzeiten "abzuspecken" und statt einer feierlichen Trauung nur einen kurzen Verwaltungsakt anzubieten.
Mit Personalknappheit hat das Standesamt Spandau aber durchaus zu kämpfen. Es fehlen dreieinhalb Stellen, die beantragt wurden, um die Mehrarbeit wegen des neuen Personenstandsrechts zu stemmen.
Die Ausstellung von Sterbeurkunden dauert in Spandau aktuell etwa sechs bis acht Wochen – "je nach Vorlage der vollständigen Unterlagen". In einer "Notlage" sieht sich das Standesamt aktuell nicht, wegen des fehlenden Personals sei die Situation aber "angespannt".
Steglitz-Zehlendorf
Der für Bürgerdienste zuständige Bezirksstadtrat Tim Richter (CDU) beklagt einen "ständigen Aufgabenzuwachs" bei den Standesämtern, ohne dass es neue Stellen gebe.
Da bleibt für manches weniger Zeit, das Standesamt Steglitz-Zehlendorf hat die Zahl der Samstags-Trauungen halbiert. Andere Leistungseinschränkungen gibt es derzeit nicht und nach Angaben von Bezirksstadtrat Richter auch keine langen Wartezeiten. Geburtsurkunden etwa werden innerhalb von drei bis fünf Werktagen ausgestellt, Sterbeurkunden innerhalb von fünf bis zehn Werktagen.
Tempelhof-Schöneberg
Laut Bezirksstadtrat Matthias Steuckardt (CDU) werden Eheschließungen in Tempelhof-Schöneberg aktuell ohne Einschränkungen durchgeführt. Allerdings denke der Bezirk darüber nach, ob die bestehenden Zeitfenster "ein Stück weit eingedampft werden". Falls es dazu kommt, sollten aber nicht ganze Tage wegfallen, sondern eventuell weniger Samstage angeboten werden oder kleinere Zeitfenster an Wochentagen.
Sterbeurkunden und Geburtsurkunden werden laut Bezirksstadtrat Steuckardt teilweise tagesaktuell ausgestellt, es könne "aber auch mal eine Woche dauern".
Aktuell sind im Standesamt Tempelhof-Schöneberg 6,5 Stellen nicht besetzt.
Treptow-Köpenick
In Treptow-Köpenick sind Eheschließungen sowohl unter der Woche als auch samstags möglich. Allerdings werden seit vergangenem Jahr weniger Termine angeboten. Weitere Einschränkungen seien "absehbar", heißt es aus dem Bezirk, etwa noch weniger Trauungen an Samstagen.
Auch Treptow-Köpenick ist personell unterbesetzt, es fehlen vier Standesbeamtinnen beziehungsweise -beamte. Auf die Ausstellung von Sterbeurkunden hat das aber zurzeit "noch keine Auswirkungen", sie erfolgt innerhalb einer Woche.
Scharfe Kritik an der Innenverwaltung
Aus dem Büro von Bezirksstadträtin Catrin Gocksch (CDU) in Lichtenberg heißt es, die Notlagen in den Standesämtern seien "ausschließlich durch die fehlende Bewilligung der insgesamt rund 90 zusätzlichen Stellen ausgelöst". Auch andere CDU-Stadträte üben scharfe Kritik und haben dabei vor allem die SPD-geführte Innenverwaltung im Visier.
"Das Grundübel an der Sache ist, dass sich die Innenverwaltung zwar zuständig fühlt für inhaltliche Vorgaben, aber nicht für die Personalbeschaffung", klagt Matthias Steuckardt aus Tempelhof-Schöneberg. Die Senatsverwaltung für Inneres habe "augenscheinlich nichts unternommen", so Arne Herz, Stadtrat für Bürgerdienste in Charlottenburg Wilmersdorf.
"Und das eben schon seit Mitte 2022, als eine Anmeldung notwendiger Ressourcen für die Haushaltsberatungen zum Doppelhaushalt 2024/25 noch gut möglich gewesen wäre", sekundiert Tim Richter aus Steglitz-Zehlendorf.
Die gescholtene Innenverwaltung weist den Vorwurf zurück, sie lasse die Bezirke im Stich. Eine Sprecherin sagte dem rbb, die Verwaltung habe den zusätzlichen Personalbedarf der Bezirke "in regelmäßigen Besprechungen des Lenkungskreises der Ämter für Bürgerdienste unterstützt". Gleichzeitig verweist sie darauf, die zuständige Gesamtsteuerung der Ämter für Bürgerdienste liege in der Verantwortung der Senatskanzlei, nicht mehr der Innenverwaltung.
Aus der Senatskanzlei heißt es auf Nachfrage, man arbeite mit der Innenverwaltung und der Finanzverwaltung "mit Hochdruck gemeinsam daran, die Berliner Standesämter zu unterstützen und zu entlasten".
Funktioniert hat eine gemeinsame Absprache jedenfalls schon bei der wortgleichen Ankündigung. Voraussichtlich in der nächsten Sitzung des Lenkungskreises werde es einen Vorschlag geben, wie der wachsende Stellenbedarf der Standesämter mittelfristig gedeckt werden könne.
Diese nächste Sitzung findet am 14. März 2024 statt.
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Das ist ja das Problem. Aber wehe Otto Normalverbraucher bringt nicht innerhalb von einer Minute diese und jene Unterlagen. Dann gibt es Ärger ohne Ende. Vor allem die Kosten für die Aufbewahrung ihrer Mutter in dem Krematorium. Da müssen sie ja schließlich dafür aufkommen. Da müssten, so sehe ich es, die Behörden anteilsmäßig dran beteiligen.
1.
den Mangel haben wir in Marzahn Hellersdorf hautnah erleben dürfen. Wir haben Mitte November unsere Mutter verloren, konnten sie erste mitte Januar beerdigen, da der staatliche Friedhof (den wir für die Bestattung gewünscht hatten) ab Mitte Dezember Weihnachtsferien machte.Aber der Höhepunkt war die Sterbeurkunde, die wir für die Vorlage beim Arbeitgeber und auch für die Versicherung benötigten.Gestern, ja gestern nach 11 Wochen haben wir sie erhalten. Es ist viel zu tun in Berlin