Zuzug in Wandlitz - "Wir haben mittlerweile Mietpreise wie in Berlin"
Die Gemeinde Wandlitz lockt seit Jahrzehnten Ausflügler aus Berlin an. Doch immer mehr von ihnen suchen zwischen Naturpark und Seen einen festen Wohnsitz. Die Folgen spüren Einheimische und Zugezogene gleichermaßen: Wandlitz wächst. Von Margarethe Neubauer
Zwischen Metallharke und Spaten kniet Christian Dittmar im Vorgarten seines Einfamilienhauses. Der 41-Jährige zeigt auf seine blauen Gummilatschen. "Nicht unbedingt die passenden Arbeitsschuhe. Daran erkennt man noch den Berliner", sagt er und lacht. Vor sieben Jahren sind der Softwareentwickler und seine Frau in das neue Wohngebiet gezogen. Von der sechsspurigen Straße in Althohenschönhausen ins ruhigere Wandlitz.
"Wir konnten der Großstadt, die wir vorher geliebt haben, nicht mehr viel abgewinnen. Alles war so anonym, wir kannten die Nachbarn in unserem Aufgang nicht. Wir wollten ein gemütliches Nest für die Familie", erzählt der Vater von zwei Kleinkindern. "Die Natur, die Nähe zum See. Meine Frau und ich sind leidenschaftliche Surfer. Jetzt wohnen wir da, wo andere Urlaub machen."
Rund 300 neue Einwohner pro Jahr
Wie Christian Dittmar zieht es viele Berliner in die Gemeinde im Barnim. Seit 2002 ist Wandlitz um gut ein Viertel gewachsen. Unter den 413 Brandenburger Gemeinden und vier kreisfreien Städten liegt es für diesen Zeitraum auf Platz 28 in Sachen Wachstum. Mit allen neun Ortsteilen zählt die Gemeinde mittlerweile mehr als 24.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Jährlich kommen im Schnitt rund 300 Menschen dazu.
"Ein gesundes Wachstum, das man braucht", sagt Bürgermeister Oliver Borchert (Freie Bürgergemeinschaft Wandlitz). "Auch wir haben einen Sterbeüberschuss." Im Jahr 2022 wurden in Wandlitz 135 Kinder geboren, dem gegenüber stehen 279 Sterbefälle. "Ohne einen gewissen Zuzug würde die Gemeinde schrumpfen. Und Schrumpfungsprozesse sind genau so schlimm wie Wachstumsprozesse."
Dass ihre Heimat immer beliebter wird, geht auch an den Alteingesessenen nicht vorbei. Diana Seidner stammt aus dem Ortsteil Basdorf, lebt seit 30 Jahren in Klosterfelde. Dort engagiert sie sich im Ortsbeirat und bei verschiedenen Vereinen. Das Werbeschild an der Einfahrt zum Gewerbegebiet ist dreimal so hoch wie sie. Darauf zu sehen: mehrstöckige Mietshäuser mit bodentiefen Fenstern, wie sie auch in Berlin-Schöneberg oder Friedrichshain stehen.
Mietpreise wie in Berlin
"An sich finde ich das Konzept nicht schlecht. Es soll auch sehr grün werden", sagt die Finanzbuchhalterin. "Aber das ist schon eine Hausnummer." 350 Wohnungen mit einem bis fünf Zimmern sollen hier in den nächsten zwei, drei Jahren entstehen. Aktuell hat Klosterfelde um die 3.000 Einwohnerinnen und Einwohner. "Selbst wenn nur 700 einziehen – die müssen dann alle auf diese Straße, zum Arzt, zum Supermarkt. In der Hochsaison schiebt man sich schon jetzt von Ortsteil zu Ortsteil", sagt Diana Seidner.
Auf der Website des Wohnparks wird mit der Nähe zur Hauptstadt und der Lage im Grünen geworben. Und Klosterfelde als "lebendiger neuer Ortsteil für alle" beschrieben. Die kleinsten Wohnungen zwischen 40 und 60 Quadratmetern kosten zwischen 600 und 900 Euro kalt. "Wer kann sich das leisten?", fragt Diana Seidner, deren 20-Jähriger Sohn noch zu Hause lebt, weil er selbst keine passende Wohnung findet: "Wir haben mittlerweile Mietpreise wie in Berlin."
Mehr Nachfrage als Angebot
Dass die Gemeinde zunehmend ein Ort für Besserverdienende wird, sei laut Bürgermeister Oliver Borchert aber ein subjektives Gefühl. "Der Wohnungsbestand, den wir haben, ist zu großen Teilen deutlich unterhalb der zehn-, unterhalb der neun-Euro-Marke." Die Gemeinde selbst hat knapp 600 kommunale Wohnungen mit einem Durchschnittspreis von 5,55 Euro kalt pro Quadratmeter. "Natürlich kommen jetzt Wohnungen dazu, die auf dem freien Markt entstehen und auch mal 13 oder 15 Euro kosten. Die Wahrheit ist, dass wir einen großen sozialen Wohnungsbestand haben, der vielleicht nicht ausreicht."
Derzeit gebe es 574 offene Wohnungsanträge. "Wir könnten theoretisch für jede Wohnung, die wir haben, einmal neu die Miete vergeben", sagt Bürgermeister Borchert. "Es macht aber keinen Sinn, in fünf Jahren 1.000 neue Wohnungen auf den Markt zu bringen. Wir brauchen eine zeitliche Steuerung. Ja, wir haben eine deutlich höhere Nachfrage, als gedeckt werden kann. Das heißt aber nicht, dass wir so lange bauen, bis die Nachfrage gedeckt ist."
Ziel: die Identität der Gemeinde bewahren
Denn eigentlich will Wandlitz dörflich bleiben. So steht es im Entwurf des Leitbilds der Gemeinde, das gerade entwickelt wird und der Gemeindevertretung Ende Mai 2024 zum Beschluss vorliegen soll. Dort heißt es, die Gemeinde wolle "Wohnbaupotenziale ortsteilbezogen und verträglich gestalten" und "Identität und ortsbildenden Charakter erhalten". Dieser Punkt beschäftigt viele Anwohnerinnen und Anwohner. Künstler Uwe Handrick lebt im alten Dorfkern und beobachtet Zuzug und Baugeschehen kritisch. "Ich habe nichts gegen Bauen. Was mich stört, ist die Hässlichkeit", sagt der 65-Jährige.
Er selbst lebt in einem Haus mit Backsteinscheune, Baujahr 1922. "Da werden jetzt viereckige Blöcke gebaut, die mit der ursprünglichen Bäderarchitektur von Wandlitz nichts mehr zu tun haben. Das macht die Struktur des Ortes kaputt." Niedriger Wasserdruck, volle Supermarktparkplätze – auch er spürt das Wachstum seines Ortsteils im Alltag. Doch Uwe Handrick sieht auch die positive Kehrseite: "Wir sind eine sehr gut durchmischte Gemeinde, man trifft viele junge Menschen in Wandlitz."
Einer von ihnen ist Felix Kempfer. Der 19-Jährige lebt in Schönwalde, macht gerade sein Abitur. Er ist in der Gemeinde aufgewachsen und würde perspektivisch gern hier bleiben. "Eine S-Bahn direkt neben dem Schlafzimmer, die brauche ich nicht. Ich mag es, in wenigen Minuten am See zu sein." In die Uni nach Berlin oder Potsdam könnte er auch pendeln. Von Schönwalde fahren die Bahnen im 30-Minuten-Takt in Richtung Hauptstadt. Doch gerade im Sommer sei der Nahverkehr ein Problem. "Wir stehen im Bus wie die Sardinen, der Zug hat mich schon am Bahnsteig stehen lassen." Laut Pendleratlas der Statistischen Ämter pendelten 2022 täglich 7.536 Menschen aus Wandlitz zur Arbeit. Allein 5.279 nach Berlin.
Die Infrastruktur wächst – langsam
Felix Kempfer engagiert sich im Jugendparlament der Gemeinde und setzt sich für die Belange der jungen Wandlitzer ein. Zum Beispiel mehr Orte zum Abhängen, aber auch der Ausbau der Schulen sei ein Thema. Gerade plant die Gemeinde für 2026 eine Schulerweiterung in Wandlitz sowie den Bau einer Kita. Auch in Schönwalde soll bis 2027 für knapp 40 Millionen Euro eine neue Grundschule entstehen. "Ja, das hat die Gemeindevertretung nicht rechtzeitig angepackt", sagt Bürgermeister Borchert. "Aber wenn wir das fertiggestellt haben, sind wir für das nächste Jahrzehnt gut aufgestellt. Und dann kann man sukzessive nachsteuern."
Auch Christian Dittmar in der Einfamilienhaussiedlung macht sich Gedanken über die nachwachsende Infrastruktur. Noch gehen seine Kinder nicht zur Schule, aber sein Neffe hatte hier schon Unterricht im Container. "Klar, da macht man sich Sorgen. Wachstum ist nicht zu vermeiden. Wir wollten auch hierhin, weil wir es schöner fanden als in Berlin", so Dittmar. "Aber es muss realistisch geplant werden. Auch für die Bedürfnisse der Neuankömmlinge.“
Sendung: Wir wollen reden, 16.04.2024, 20:15 Uhr