CSD und "Pride Weeks" - Wie die queere Community in Ostprignitz-Ruppin für mehr Sichtbarkeit kämpft
Queere Treffpunkte sind selten - auch fehlt vielerorts die Sichtbarkeit queerer Menschen. Am 1. Juni findet der erste CSD in Rheinsberg statt. Auch in Neuruppin sind zwei "Pride"-Wochen geplant. Die Vorbereitungen verliefen nicht ohne Gegenprotest. Von Björn Haase-Wendt
"Vor allem in Kleinstädten wie Rheinsberg gibt es viele Leute, die queer sind, aber sich nicht trauen zu outen, weil es immer noch so viel Hass gibt", sagt Marie Steddin. Die 31-jährige Rheinsbergerin organisiert mit gut 30 Unterstützenden am 1. Juni den ersten Christopher Street Day in Rheinsberg und im Landkreis Ostprignitz-Ruppin unter dem Motto "Aufstehen, Hand in Hand, es gibt ein queeres Hinterland".
Mit einem Protestumzug durch die Stadt, anschließenden Kundgebungen und einem Fest auf dem Triangelplatz in Sichtweite zum Schloss soll gezeigt werden, wie vielfältig die Lebensformen in der Stadt sind, auch wenn es sie im ländlichen Raum oftmals nur im Verborgenen gibt.
250 Teilnehmer in Rheinsberg erwartet
Der Christopher Street Day in Rheinsberg soll andere queere Menschen und Unterstützende ermutigen auf die Straße zu gehen, für die Akzeptanz und Rechte von lesbisch, schwulen, bi und trans Menschen. Die Organisatoren rechnen mit 250 Teilnehmern, was für die 8.000 Einwohner-Stadt mit ihren Ortsteilen ein beachtlicher Erfolg für einen ersten CSD wäre. "Wir wollen eine Plattform für queere Menschen bieten und klar machen: Ihr seid nicht allein und wir stehen hinter euch", erklärt Kai Pohle aus dem Organisationsteam.
Hasskommentare im Internet
Doch nicht überall stößt die Veranstaltung auf Gegenliebe. Marie hat in Rheinsberg auf offener Straße bisher keine Anfeindungen erlebt, im Internet und den sozialen Netzwerken sieht das aber anders aus. Unter den Ankündigungen zum CSD fanden sich zahlreiche Hasskommentare, sagt die 31-Jährige. "Das fühlt sich einfach nicht gut an und dadurch merkt man, dass es scheinbar noch viele Menschen gibt, die einfach ein absolutes Problem damit haben."
Unter anderem gab es Diskussionen zum Veranstaltungstag. Einige Rheinsberger hätten nicht akzeptieren wollen, dass der Christopher Street Day und der Internationale Kindertag am selben Tag stattfinden können. "Es ist wichtig, den Leuten die Augen zu öffnen und zu sagen: Hey wir sind genauso wie ihr, nur in bunt", sagt Marie Steddin.
Mit Gegenprotest rechnen die Organisator:innen beim CSD trotzdem nicht. "Das würde mich schon sehr wundern. Das eine ist die Aufregung im Internet, das andere ist dann die Situation tatsächlich vor Ort", erklärt Mitorganisator Freke Over.
Streit um Lesung von queeren Kinderbüchern
Wie verankert Vorurteile in der Gesellschaft sind, hat sich jüngst auch in Neuruppin, der größten Stadt im Nordwesten Brandenburgs gezeigt. Dort soll es erstmals in diesem Jahr zwei "Pride Weeks" geben. Ab dem 17. Juni sind in der Kreisstadt von Ostprignitz-Ruppin unter anderem eine eigens konzipierte Ausstellung zu Schicksalen Neuruppiner Homosexueller während der NS-Zeit, Filmvorführungen, Workshops und zum Abschluss ein Pride Walk durch die Stadt geplant. Auch hier soll das queere Leben mehr Sichtbarkeit bekommen, denn auch in der 33.000-Einwohner-Stadt gebe es kaum Anlaufpunkte für queere Menschen.
Vor allem an einem Programmpunkt der "Pride Weeks" entbrannte sich aber ein heftiger Streit. Die Mitglieder des "Queeren Netzwerks Neuruppin" wollen in mehreren Kitas aus queeren Kinderbüchern lesen. Das brachte die beiden Stadtfraktionen von ProRuppin und BVB/Freie Wähler sowie eine parteilose Abgeordnete auf den Plan. In einem gemeinsamen Antrag versuchten sie zwischenzeitlich, die Lesungen sogar durch die Stadtverordnetenversammlung verbieten zu lassen. Der Ursprungsantrag war gespickt mit Unterstellungen und Vorurteilen. Unter anderem wurde behauptet, dass die Kinder mit Gedankengut und Weltanschauungen überfrachtet und belastet werden würden, die in Mehrheit nicht auf Zustimmung der Eltern treffen würden. Auch müsse die Gefahr der Kindeswohlgefährdung ausgeschlossen werden.
Vielfalt der Lebensentwürfe in den Kitas thematisieren
"Ich war ziemlich geschockt und habe nicht damit gerechnet und ich glaube auch niemand in der Stadtverordnetenversammlung hat damit gerechnet, dass so ein Antrag kommt", sagt Lars Allolio-Näcke vom "Queeren Netzwerk Neuruppin". Denn die besagten Bücher gibt es seit dem vergangenen Jahr längst in den städtischen Kitas und erklären kindgerecht zum Beispiel, was Regenbogenfamilien sind oder warum es Alleinerziehende gibt. "In einem Buch geht es um Oskar, der einfach zwei Mamis hat und es geht darum wie bin ich eigentlich entstanden. Weil Kinder fragen sich natürlich auch, wie geht denn das?", erläutert Marleen Vock, die Vorsitzende vom "Queeren Netzwerk Neuruppin", die mit ihrer Partnerin selbst zwei Söhne hat.
Antrag vom Tisch
Diese Fragen kämen immer wieder in den städtischen Kitas, bestätigt Neuruppins Vize-Bürgermeisterin Daniela Kuzu, die sich ebenfalls im Netzwerk engagiert: "Es ist einfach Realität, wir haben viele Kitaleiterinnen, die davon berichten, dass Kinder andere Kinder konfrontieren, wo ist denn deine Mama oder dein Papa, wenn es gleichgeschlechtliche Paare sind." Auch sei eine queer-inklusive Pädagogik Teil der Erzieherausbildung. In der Sitzung der Stadtverordneten zu Beginn der Woche konnten die beiden Stadtfraktionen schließlich überzeugt werden. Nach sachlicher Diskussion und der Vorstellung der queeren Kinderbücher zog der Fraktionsvorsitzende von ProRuppin, André Ballast, in Absprache mit BVB/Freie Wähler den zuvor etwas abgeschwächten Antrag zurück – die Lesungen dürfen damit stattfinden. "Das schöne ist, dass mit wenig Emotionalität und vielen Fakten gepunktet werden konnte", sagte Marleen Vock vom Netzwerk nach der Sitzung.
Herausforderungen für kleine CSDs
Die Diskussion zeigt den Organisatoren aber, wie wichtig es ist, für Vielfalt und Akzeptanz der LGBTQI+ Community einzustehen. Dass es dafür im ländlichen Raum aber auch die notwendige Unterstützung und Ressourcen braucht, zeigt sich in der Prignitz. In Wittenberge sollte nach zwei erfolgreichen CSDs mit jeweils mehreren hundert Teilnehmern in den Vorjahren am 15. Juni erneut eine Parade stattfinden. Mitte Mai mussten die Organisatoren die Veranstaltung für dieses Jahr aber absagen. "Uns fehlt gut ein Drittel des Budgets was wir bräuchten und es fehlt auch das Personal, weil viele Vollzeittätig sind und der CSD im Ehrenamt organisiert wird", erklärte Vivian Ohmsen aus dem Organisationsteam. Für das kommende Jahr soll der Prignitzer CSD neuaufgestellt werden.
Für die Landeskoordinierungsstelle "Queeres Brandenburg" kommt die Absage nicht überraschend. Problematisch sei, dass Fördergelder häufig erst sehr kurzfristig genehmigt würden, sagte von Jirka Witschak von der Landeskoordinierungsstelle der Deutschen Presse-Agentur. Besonders die Inanspruchnahme von Lottomitteln, für deren Vergabe das Brandenburger Sozialministerium zuständig ist, sei durchaus schwierig. Die Organisatoren der Neuruppiner "Pride Weeks" hatten sich auch deshalb gegen eine Beantragung von Lottomitteln entschieden. Das Verfahren sei sehr aufwendig und einige Planungen für die Veranstaltungswochen hätten erst sehr kurzfristig stattfinden dürfen, heißt es von den Organisatoren.
Das Sozialministerium weist laut der Deutschen Presse-Agentur die Vorwürfe der Landeskoordinierungsstelle hingegen zurück. Dem Ministerium sei demnach nicht bekannt, dass es bei den Organisatoren der Christopher Street Days oder anderer Pride-Veranstaltungen im Land Unmut über kurzfristige oder nicht erfolgte Finanzierungszusagen gebe.
Sendung: Antenne Brandenburg, 29.05.2024, 15:10 Uhr