Interview | DLRG-Sprecher zu Badetoten - "Männer gehen eher alkoholisiert baden und sind insgesamt leichtsinniger als Frauen"

Do 19.09.24 | 15:56 Uhr
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Symbolbild:Ein älterer Mann springt von einem Steg in das Wasser des Trepliner Sees nahe Treplin (Brandenburg).(Quelle:picture alliance/dpa/P.Pleul)
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Audio: rbb|24 |19.09.2024 | O-Ton aus dem Gespräch mit Christopher Wellner | Bild: picture alliance/dpa/P.Pleul

In Brandenburg hat es in diesem Jahr mehr Badetote gegeben - in Berlin weniger als im Vorjahr. DLRG-Rettungsschwimmer Christopher Wellner erläutert im Interview, wo für Badende Gefahren liegen.

In dieser Badesaison sind in deutschen Gewässern so viele Menschen verunglückt wie seit fünf Jahren nicht. Das gab die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) am Donnerstag bekannt. Danach verzeichnete die DLRG bis zum 10. September 353 Todesfälle, 75 mehr als im Vorjahreszeitraum.

In Berlin ist die Zahl der Ertrunkenen leicht gesunken (2024: 12; 2023: 14), in Brandenburg stieg die Anzahl der Badetoten von 21 auf 28 Menschen.

rbb|24: Hallo Herr Wellner, Sie sind ehrenamtlicher Rettungsschwimmer in Berlin. Mussten Sie in diesem Sommer besonders viele oder besonders wenige Menschen retten?

Christopher Wellner: Es gab durchaus eine Häufung von Rettungseinsätzen in den Sommerferien – also in der Zeit, in der es recht warm war. An manchen Tagen waren es mehrere Lebensrettungen täglich. Aber insgesamt war es ein "normales" Jahr.

Zur Person

Christoph Wellner(DLRG).(Quelle:Daniel-André Reinelt)
Daniel-André Reinelt

DLRG - Christopher Wellner

Christopher Wellner ist DLRG-Rettungsschwimmer und Rettungstaucher in Berlin. Er ist seit seinem 15. Lebensjahr im Wasserrettungsdienst aktiv. Sein Haupteinsatzgebiet ist die Berliner Unterhavel.

In Berlin hat es bislang in diesem Jahr weniger Badetote als im Vorjahr gegeben – haben Sie dafür eine Erklärung?

Die Zahl der Badetoten schwankt von Jahr zu Jahr und sie ist sehr stark wetterabhängig. Wenn wir einen verregneten Sommer haben, gibt es weniger Badetote, weil weniger Berliner und Berlinerinnen ans Gewässer kommen. Die Zahl ist aber eigentlich auch nicht stark zurückgegangen. Mit zwölf Ertrinkungstoten haben wir zwei weniger als im Vorjahr. Aber natürlich ist jeder davon einer zu viel.

Das Wetter kann also dafür sorgen, dass es weniger Ertrinkende gibt. Welche Faktoren haben noch Einfluss darauf?

Kurzfristig gesehen ist es tatsächlich vor allen Dingen das Wetter. Wenn der Sommer heiß ist, kommen viele Menschen ans Wasser. Dann gibt es mehr Unfälle als bei schlechtem Wetter. Langfristig gesehen macht sich da auch die zurückgehende Schwimmfähigkeit der Bevölkerung bemerkbar. Denn jeder, der nicht schwimmen kann, hat ein erhöhtes Risiko zu ertrinken. Eine Umfrage vom DLRG ergab, dass in Berlin inzwischen 50 Prozent der Grundschüler nicht sicher schwimmen können, wenn sie die Grundschule verlassen. Das ist langfristig betrachtet ein großes Problem.

Das beobachten auch unsere Einsatzkräfte an den Berliner Badestellen. An einigen Badestellen gibt es Untiefen, die nicht zu sehen sind. Da passiert es immer wieder, dass Kinder einmal ins Leere tappen, untergehen und wenn die Rettungsschwimmer an der Stegwache das nicht beobachten würden, wäre das Kind erstmal weg.

Statistisch gesehen ist der überwiegende Anteil der Ertrinkenden allerdings männlich Warum ertrinken so viele Männer?

Da muss ich ein Stück weit spekulieren. Beim DLRG haben wir die Erfahrung gemacht, dass eher Männer beispielsweise alkoholisiert baden gehen und sie auch insgesamt einfach leichtsinniger sind als Frauen.

Inwiefern sind Männer denn leichtsinnig?

Häufig ist es das Nichtbeachten der Baderegeln. Also wenn man sich bei über 30 Grad Außentemperatur lange sonnt und dann ohne sich abzukühlen ins Wasser springt, kann das – und sogar bei Jüngeren – zum Kreislaufzusammenbruch führen. Bei Älteren oder Personen mit Vorerkrankungen natürlich verstärkt. Auch alkoholisiert vom Partyfloß zu springen kann tödlich enden. Das machen Männer einfach häufiger als Frauen.

Die Zahl der Badetoten schwankt von Jahr zu Jahr. Wenn wir einen verregneten Sommer haben, gibt es weniger Badetote

Christopher Wellner

Gibt es neben leichtsinnigen Männern und nicht sicher schwimmenden Kindern noch mehr Gruppen, die besonders gefährdet sind, zu ertrinken?

Stark überrepräsentiert in den Zahlen sind ältere Menschen. Das geht bei etwa 50 Jahren los. Aber auch die 70-Jährigen sind sehr stark vertreten in der Ertrinkungsstatistik. Das erklären wir uns damit, dass sich diese Menschen vielleicht überschätzen. Dass sie den See doch lieber durchqueren möchten als parallel zum Ufer zu schwimmen. Doch wenn einem unwohl wird, kann man in Ufernähe natürlich viel sicherer ans Land gelangen, als wenn man mitten auf dem See ist.

Die meisten in Berlin und Brandenburg Verstorbenen sind im See verunglückt – was macht die Seen so gefährlich – vor allen Dingen die von Ihnen erwähnten Untiefen?

In den Seen gibt es oft auch Unterwasserpflanzen, die man nicht sehen, in denen man sich aber verheddern kann. Außerdem gibt es in Seen sogenannte Sprungschichten. Das bedeutet, dass ab einer gewissen Tiefe ganz plötzlich kalt wird. Wenn jetzt beispielsweise jemand von einer Badeplattform mit einem Köpper ins Wasser springt und unter diese Sprungschicht gerät, ist der Temperaturunterschied im Zweifelsfall sehr hoch. Das kann an heißen Tagen dazu führen, dass der Kreislauf damit nicht zurechtkommt. Und wenn man unter Wasser bewusstlos wird, ist man in höchster Lebensgefahr.

War es nach 2015 tatsächlich so, dass es viele Geflüchtete waren, die nicht schwimmen konnten? Hat sich das – es kommen ja noch immer viele Menschen hierher – jetzt geändert?

Wir erheben ja statistisch nicht den Migrationshintergrund. Aus meiner eigenen Erfahrung aus den Jahren nach 2015 kann ich das aber bestätigen. Aber jetzt, fast zehn Jahre später, ist Ertrinken wieder ein gesamtgesellschaftliches Problem. Weil sich eben so viele, und davon sind weite Teile der Bevölkerung betroffen, nicht sicher im Wasser bewegen können. Für Menschen, die nicht sicher schwimmen können, ist es am und im Wasser gefährlicher.

Was hilft, um nicht in im Wasser in Not zu geraten?

Man sollte die klassischen Baderegeln – sich abkühlen, sich nicht überschätzen, parallel zum Ufer und in Ufernähe schwimmen – beachten. Außerdem sollte man möglichst an bewachten Badestellen baden gehen. Und was speziell für das superbeliebte Stand-Up-Paddeling gilt: Man sollte sich die Sicherheitsleine, die am Bord ist, unbedingt wirklich um den Knöchel machen. Denn wenn irgendwas passiert, bleibt man so in der Nähe des Brettes - und könnte von Rettern einfach an der Leine hochgezogen werden - statt lange gesucht zu werden. Sobald man untergeht, ist letztlich jede Minute entscheidend.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Sendung: Fritz, 19.09.2024, 12:30 Uhr

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6 Kommentare

  1. 6.

    Medizinische Notfälle allgemein bei älteren Menschen haben in den letzten 3 Jahren deutlich zugenommen, auch im Straßenverkehr, die Berliner Polizei hatte dazu letztes Jahr berichtet.
    Über den zeitlichen Zusammenhang kann sich jeder selbst Gedanken machen……ich sag nur so viel aus meinem Arbeitsalltag dass es diesen Mode gibt.

  2. 5.

    " Man sollte sich die Sicherheitsleine, die am Bord ist,... "

    natürlich !! mir passierte es als erfahrenem Surfer mit einem Leihbrett auf Teneriffa, dass ich vor lauter Begeisterung nicht auf die Sicherungsleine zwischen Board und Rigg geachtet hatte . Bei einer Wende weit entfernt vom Ufer fiel ich ins wasser, und das Board
    war schneller weg als ich gucken konnte . Also schwimmen... ca 1000 Meter bis ans Ufer ist mir nie wieder passiert

  3. 4.

    " Stark überrepräsentiert in den Zahlen sind ältere Menschen "

    vermutlich wegen inzwischen erworbenen Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oä und im Glauben an ihre frühere Fitness sind

  4. 1.

    Wie bei Klettern / Bergsteigen.

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