Letzte Dorfkneipe in Pätz - "Vielleicht passiert ja doch noch ein Wunder"
Seit fast 40 Jahren führt Claudia Ehrenhard den "Lindenhof" in Pätz. Doch die Wirtin muss ihre Kneipe wohl aufgeben. Das Grundstück samt historischem Wirtshaus wird verkauft. Dabei hätte der "Lindenhof" vielleicht gerettet werden können. Von Helena Daehler
Claudia Ehrenhard zapft Bier, bringt Soljanka und Schnitzel mit Spiegelei an die Tische. Mit den Gedanken ist sie aber ganz woanders: "Meine Wohnung ist weg, meine Arbeit ist weg, ich weiß nicht, wie es weitergehen soll." Seit fast 40 Jahren ist die 63-Jährige Wirtin im "Lindenhof". Noch länger wohnt sie direkt über der Kneipe.
Seit 1922 gibt es in dem historischen Gebäude bereits eine Gaststätte, damals hieß sie "Das Restaurant zum grünen Kranze". Kurz vor der Wende übernahm Claudia Ehrenhard das Lokal im Bestenseer Ortsteil Pätz. Das Gesamtgrundstück, auf dem sich der heutige "Lindenhof" befindet, ist etwa 8.000 Quadratmeter groß. Seit mehr als 120 Jahren gehört es einer Familie, die früher auch im Ort ansässig war. Nun verkaufen die Eigentümer das Grundstück, aufgeteilt in mehrere Parzellen. Auf einer ist auch der "Lindenhof".
Der "Lindenhof" ist die letzte von ehemals sieben (oder acht, da sind sich die Menschen in Pätz uneinig) Kneipen im Ort. "Pätz wird ein Schlafdorf. Es ist dann nichts mehr da", sagt Claudia Ehrenhard leise und schaut suchend Richtung Fenster zur Straße hin.
Mehrere Hunderttausend Euro würden das Grundstück und anstehende Sanierungen kosten. Sie kann sich das unmöglich leisten und zuckt mit den Schulten. "Ich hoffe auf ein Wunder, habe sogar Lotto gespielt, aber auch da passiert nichts."
Gescheiterter Rettungsversuch
Kurz nachdem sie vor zehn Monaten die Kündigung bekam, ist hinter den Kulissen in der Gemeinde über die Zukunft des Lindenhofs diskutiert worden. Mit einem Antrag in der Gemeindevertretung wollte die Wählervereinigung WIR! eine sogenannte Veränderungssperre erwirken. Ein gastronomischer Betrieb hätte dann auf diesem Teil des Grundstücks vorerst weiter bestehen müssen, sagt Thomas Irmer von WIR!: "Es hätte uns ein wenig mehr Zeit gegeben, um zu diskutieren, was wir hier als Gemeinde genau machen wollen. Ob erhalten und sanieren oder verkaufen. Diese Fragen wurden nicht geklärt."
Denn der Gegenwind war groß. Andere Gemeindevertreter hätten den Antrag als Enteignungsversuch bezeichnet, ergänzt Frank Deichmann: "Das ist Quatsch, Enteignung sieht anders aus. Man hätte sogar über Strukturförderprogramme Geld für die Kneipe kriegen können." Deichmann berät als sachkundiger Bürger auch den Bauausschuss.
Mit 14 zu 4 Stimmen wurde der Antrag schlussendlich abgelehnt. Auch Annette Lehmann, Gemeindevertreterin in der Fraktion Unabhängige Bürger für Bestensee und Pätz hat mit "Nein" gestimmt. Sie habe, als eine der Wenigen, lange mit dem Eigentümerpaar gesprochen: "Dieses Ehepaar möcht nichts anderes als seinen Lebensabend abgesichert wissen mit dem Verkauf dieses Grundstücks. Andere Möglichkeiten kommen für sie nicht in Frage." Das Paar habe ihr irgendwie leidgetan.
Gemeindekassen sind leer
Als Hauptgrund für die Ablehnung des Antrags sieht Lehmann aber, dass viele Vertreterinnen und Vertreter nicht daran geglaubt hatten, dass jemand in das sanierungsbedürftige Gebäude investieren möchte: "Was, wenn man keinen Interessenten findet und diese Gebäude irgendwann einfach zusammenfällt?"
Selbst kaufen kann die Brandenburger Gemeinde Bestensee, zu der Pätz gehört, die Gastwirtschaft nicht. "Die Kassen sind leer", sagt der parteilose Bürgermeister Roland Holm. "Eine Veränderungssperre hätte das Grundstück eventuell entwertet, und wir wären als Gemeinde schadenersatzpflichtig geworden. Das hätten wir nie bezahlen können." Er habe trotzdem für den Antrag gestimmt, um nichts unversucht zu lassen.
Eigentümer würde Rettung begrüßen
Auf rbb-Anfrage ließen die Eigentümer mitteilen, man habe früh das Gespräch mit der Wirtin des Lindenhofs und mit Gemeindevertretern gesucht und sowohl die Gemeinde als auch Investoren ermutigt, die Immobilie zu kaufen. Es seien allerdings hohe Investitionen nötig. "Wenn es einen leistungsfähigen Retter für die Bestandsgebäude der Gaststätte Lindenhof geben sollte, würden die Grundstückseigentümer das sehr begrüßen." Es falle der Eigentümerfamilie aufgrund der familiären Beziehung zum Grundstück nicht leicht, den "Lindenhof" aufzugeben.
Bisher gebe es kein Angebot für die Parzelle des zu verkaufenden Grundstücks samt Kneipe. Vier andere Teile des Grundstücks, auf denen Wohnungen und Einfamilienhäuser gebaut werden können, hätten bereits Käufer gefunden.
Immer weniger Restaurants in Brandenburg
Die Gaststätte "Lindenhof" ist nicht die Einzige in der Region, die von der Schließung bedroht ist. Von 2014 bis 2022 ist die Anzahl Restaurants mit Bedienung in Brandenburg von 2.256 auf 1.813 gesunken. Ein Minus von rund 20 Prozent. Dabei wäre potenzielle Kundschaft in touristisch geprägten Regionen da. Die Übernachtungszahlen sind in denselben Jahren um 20 Prozent gestiegen (von 11.936 auf 14.245).
Besonders in ländlichen Gebieten hätten es gastronomische Betriebe schwer, sagt Olaf Lücke, Hauptgeschäftsführer der DEHOGA Brandenburg: "Die Gaststätten-Kultur verschwindet zunehmend und damit verschwindet auch ein wichtiger Ankerpunkt in den Dörfern." Die Gründe für das Kneipensterben seien vielfältig. Die gestiegene Mehrwertsteuer belaste viele Betriebe und oft fehle es an motiviertem Nachwuchs.
Der Wegfall gastronomischer Betriebe sei für die gesamte Infrastruktur im ländlichen Raum problematisch: "Wenn ich 50 Kilometer Rad fahre und keine Gaststätte finde, sage ich auch, da musste nicht mehr hinfahren." Lücke fordert, dass die künftige Landesregierung Kommunen beim Erhalt der Gaststätten besser unterstützt. Denkbar sei dies mit einem Vorkaufsrecht zu günstigen Konditionen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Im "Lindenhof" sind die Tische an diesem sommerlichen Samstagnachmittag fast alle besetzt. Viele der Gäste sind wehmütig: "Wir haben hier Jugendweihe gefeiert und Silberhochzeit und Goldene Hochzeit, das ist schon emotional", sagt Heide Poch, eine Ur-Pätzerin. Auch Datschenbesitzer aus der Umgebung kommen in den Lindenhof, wie Kathi Bromberger aus Pankow: "Das ist einfach authentisch und nicht so eine Szenekneipe wie im Prenzlauer Berg."
Aufgegeben hat Claudia Ehrenhard, die Wirtin im "Lindenhof" in Pätz, noch nicht. "Vielleicht passiert ja doch noch ein Wunder", sagt sie, während sie Gläser spült und müde aus dem Fenster schaut. Ende September wird sie wohl das letzte Mal Getränke und Speisen servieren. Die Mittagstisch-Karte ist bis zum 29. September geschrieben: Schweinebraten mit Rotkohl und Kartoffeln für 9,60 Euro. Klingt nach Festessen. Eine Abschiedsparty will Claudia Ehrenhard aber nicht machen. Nach Feiern ist ihr nicht.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 27.09.2024, 19:30 Uhr