#Wiegehtesuns? | Tochter einer Heimbewohnerin - "Wir sehen, wie sie immer mehr verschwindet"
Es bleibt nur die Begegnung am Zaun: Seit Wochen kann Eva Beisiegel ihre Mutter nicht mehr im Pflegeheim besuchen. Nun hat sie große Angst, den letzten Lebensabschnitt der 84-Jährigen nur auf Distanz begleiten zu können. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Eva Beisiegel arbeitet im Bundespresseamt, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seit mehr als vier Wochen kann sie ihre schwer an Demenz erkrankte 84jährige Mutter nicht mehr im Pflegeheim besuchen. So geht es Eva:
Also, wir leiden da alle drunter. Normalerweise besuche ich meine Mutter zwei bis dreimal in der Woche. Ich und meine Kinder. Durch Corona haben wir sie erst über einen Monat gar nicht mehr gesehen. Das war schrecklich. Ich habe im Heim Geschenke für sie abgegeben, war wenige Meter von ihr entfernt und konnte sie trotzdem nicht besuchen.
Inzwischen können wir sie nach Absprachen einmal in der Woche am Zaun mit Sicherheitsabstand treffen. Das hängt immer davon ab, ob das Pflegepersonal Zeit hat, sie in den Rollstuhl zu setzen und dorthin zu bringen. Ab und zu schickt mir das Heim ein Foto von ihr zu. Aber ich weiß nicht wirklich: Geht es den Bewohnern gut, geht es denen schlecht, sind die Pfleger gesund, sind sie krank? Im Großen und Ganzen muss ich dem Heim vertrauen.
Wir können auch nur Kontakt mit ihr halten, wenn die Pflegekräfte helfen. Drei Mal haben wir versucht, über Face-Time zu sprechen. Davon hat es einmal gut geklappt, als ihr Bezugspfleger das mit Ruhe in Ihrem Zimmer machen konnte
Für meine Tochter, die nun Abitur macht, ist es besonders schwer – auch weil der Kontakt immer über Dritte geht. Wir können nie mit meiner Mutter alleine sein. Der körperliche Kontakt, die Berührung, fehlt. Wir können sie nicht umarmen. Dabei versteht sie das viel besser als Worte. Das können wir ihr nicht geben und sie uns nicht.
Diese Corona-Krise hat auch was sehr Existenzielles – besonders in den Heimen, wo es sich so dramatisch abspielt. Da hab ich schon Angst, sie unter Umständen gar nicht mehr wieder zu sehen. Sie fehlt uns auch, sie gehört zu unserem Alltag dazu. Dieser Alltag ist von heute auf morgen weggebrochen, und wir konnten ihr gar nicht erklären, was los ist.
Die Lebenszeit meiner Mutter sehe ich als sehr begrenzt an. Sie ist 84 Jahre, hat es am Herzen und Demenz. Wir sehen, wie sie immer mehr verschwindet. Die Vorstellung, auf Distanz diese letzte Lebenszeit von meiner Mutter zu verbringen, macht mich total wütend und traurig.
Die Diskussion um die Fußballer, die für die Bundesliga regelmäßig getestet werden sollen, macht mich fassungslos. 100.000 Tests die Woche! Warum nicht für Heimbewohner, Personal und Angehörige? Wenn ich wüsste, ich bin negativ, meine Tochter ist negativ, meine Mutter ist negativ – dann könnten wir sie doch regelmäßig besuchen!
Gesprächsprotokoll: Cosima Jagow-Duda
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Sendung: Unser Leben | 02.05.2020 | 17:25 Uhr
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