Digitalkonferenz in Berlin - Wen kümmern die digitalen Debatten der Republica?

Mi 29.05.24 | 16:03 Uhr | Von Jenny Barke
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re:publica 2024, Festival für die digitale Gesellschaft - Motto: Who cares?, aufgenommen am 27.05.2024 in der Station Berlin. (Quelle: Imago Images)
Audio: rbb24 Radioeins | 27.05.2024 | Kerstin Lehmstedt | Bild: Imago Images

Die Digitalkonferenz Republica, die am Mittwoch endet, reißt neue Besucherrekorde. In Zeiten von Krisen und Kriegen ist weniger Bällebad und mehr analoge Politik. Sie ist ernst und erwachsen geworden - und dieses Jahr doch jugendlicher denn je. Von Jenny Barke

Nach drei Tagen geht die Digitalkonferenz Republica an diesem Mittwoch in Berlin zu Ende. Mit insgesamt über 28.000 Besucher:innen und über 1.000 Speaker:innen war die 17. Ausgabe die bisher größte ihrer Art. Erstmals nach der Pandemie ist die Republica wieder an ihren traditionellen Standort, die "Station Berlin" am Park am Gleisdreieck, zurückgekehrt. Mit der Rückkehr konnten auch wieder mehr Bühnen aufgestellt und somit mehr Programm angeboten werden.

An den drei Festivaltagen zählten die Veranstalter insgesamt 30.000 Besuche. Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte war die Veranstaltung ausverkauft. Das diesjährige Programm umfasste über 880 Sessions, darunter Vorträge, Diskussionen, Talkrunden und Workshops, mit 1.600 Sprecher:innen.

Erstmals fand die ebenfalls von der Republica ausgerichtete Jugendkonferenz Tincon zeitgleich statt. Mit 4.000 zusätzlichen 13- bis 25-Jährigen war das Publikum insgesamt deutlich verjüngt. Die Tickets für die Tincon waren kostenlos und wurden vor allem von Schulklassen in Anspruch genommen.

Einst als kleines Bloggertreffen 2007 begonnen, ist die Republica inzwischen im Mainstream angekommen, spätestens seit dem erstmaligen Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) vor zwei Jahren. Auch in diesem Jahr war die Beteiligung aus dem Bundeskabinett groß: Vor Ort waren Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen sowie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD. Kurz vor der Europawahl am 9. Juni nutzte auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Digitalkonferenz als Bühne für ihren Wahlkampf.

Befeiert die Blase sich auf der Digitalkonferenz selbst?

Während - und vor allem zum Ende - der dreitägigen Konferenz wurde oft gefragt, ob und was die Republica für das wahre gesellschaftliche Leben bringt. Die Gründer:innen schreiben sich selbst auf die Fahne, mit dem Programm Netzpolitik zu betreiben und die Digitalisierung voranzutreiben.

Zum Konferenz-Auftakt am Montag erklärte die Autorin, Journalistin und Podcasterin Jagoda Marinić, sie habe keine Angst vor "irgendwelchen Leuten", die sagten, dass bei der Veranstaltung nur die "Blase" komme und sich selbst befeiere. "Ich denke, man darf sich feiern, wenn man im Alltag 365 Tage lang für Dinge einsetzt. Man hat auch ein Recht auf Selbstvergewisserung, ganz gleich, wie viele Zyniker da draußen sitzen", so Marinić.

Weniger Bällebad und Gaming, mehr seriöse Politik

In ihrer Opening Keynote forderte Marinić zudem, "sanfte Radikalität" voranzubringen. So bräuchten diejenigen mehr Aufmerksamkeit, die Gutes bewirkten und soziale Bewegungen vorantreiben - anstatt kleine, wütende Gruppen, die Menschen verachten. Denn das sei oft der Fall, kritisiert Marinić und verweist auf 2015: Damals hätten über neun Millionen Menschen dabei geholfen, Geflüchtete ankommen zu lassen. "Stattdessen wurden die wenigen, die wütend waren, medial so überrepräsentiert, dass die neun Millionen verschwunden sind und das die Stimmung im Land wurde", so Marinić.

Es war ein Plädoyer für Demokratie, Haltung, Mobilisierung - und für einen neuen Marsch durch die Institutionen. Die Rede steht beispielhaft für den Charakter dieser Republica: In Zeiten der verdichteten Krisen und Kriege ging es viel um Lösungsansätze für große gesellschaftliche Probleme. Man könnte sagen, dass die Republica sehr erwachsen geworden ist. Das traditionelle Bällebad gibt es nicht mehr. Wobei das auch an den praktischen Herausforderungen liegen mag: Zu teuer wäre eine infektionsgerechte Reinigung der Bälle gewesen, ein neues Bällebad wollten die Macher:innen aus Gründen der Nachhaltigkeit nicht aufstellen. Die Konferenz hat viel von der kindlichen Unbeschwertheit ihrer Anfangsjahre verloren, doch vielleicht liegt es auch an den bedrückenderen Zeiten. Mehr seriöse Debattenkultur, weniger Gaming-Faktor.

"Tincon": Mit Gamification gegen rechts und Verschwörungen

Wer zocken und daddeln wollte, wurde vor allem in den Räumen rund um die Stage 5 fündig - wo der Altersdurchschnitt gleich um Jahr(zehnt)e niedriger lag. Die Jugendkonferenz Tincon bot vielfältige Möglichkeiten für VR, Gaming und Basteleien - von Lötstationen bis hin zur Seifenherstellung und Programmierworkshops.

Doch es ging auch hier um ernste Themen, teils mit Gamification-Charakter. In einem Quiz konnten Jugendliche Fake-News erraten und in Workshops lernen, wie man rechte Symbole auf Tiktok erkennt, oder ironisch Verschwörungsideologien selbst erfinden und damit die Mechanismen dahinter verstehen kann.

Auch Cybermobbing war ein Thema. Speakerin Meriah Aschuftah war selbst Opfer von Hass im Netz und zeigte, wie man sich dagegen wehrt: "Es gibt auch Face-to-Face-Mobbing, aber im Internet hat es eine ganz andere Reichweite. Da springen auch andere Menschen einfach mit auf. Es gibt das Phänomen, mit der Gruppe mitzugehen, hier gibt es eine Anonymität dahinter. Das macht es so gefährlich." Man fühle sich als Täter geschützt, während das Opfer eine Masse an Hate-Speech abbekäme, die im Alltag nicht möglich wäre, so Aschuftah.

Europa steht im Fokus

Die Ernsthaftigkeit und Brisanz dieses Hasses spielte auch für die erwachsenen Besucher:innen der Republica eine große Rolle im Superwahljahr - mit Wahlen dreier Landtage im Herbst sowie des EU-Parlaments in anderthalb Wochen. Eine ganze Bühne war nur Europa gewidmet, das Europaforum vom WDR. Hier diskutierten Wissenschaftler:innen, Medienschaffende und Spitzenpolitiker:innen darüber, wie sich die EU gegen Populismus, Extremismus und Nationalismus behaupten kann. Mit dabei EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, die ein klares Mittel dagegen nannte: "Liefern! Gute Ergebnisse liefern. Das ist das Wichtigste. Rechtspopulisten kommen mit Rezepten, mit denen sie Europa schwach machen wollen. Unsere Aufgabe ist es, zu zeigen, das ist das Problem."

Von der Leyen nutzte ihre Bühne vor dem gut besuchten Publikum, um sich klar gegen Rechtsaußen zu positionieren. Dabei gab sie sich gelassen und gut gelaunt. Vor allem in der Festigung der Demokratie sehe sie eine große Aufgabe für die Zukunft, sagte sie - so wie auch viele andere Expert:innen. Der Bundesminister für besondere Aufgaben und Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt sprach unterschiedliche Ursachen für den deutschen Rechtsruck an, die nicht klar der Politik der Ampelparteien zuzuschreiben seien: "Ich glaube, dass wenn man sich die Gründe anguckt, die Inflation, Krieg, Russland, die große Anzahl von Geflüchteten in unserem Land, dass das alles Themen sind, die die Menschen aufwühlen." Schmidt hofft, dass sich das unter anderem mit dem Rückgang der Inflation bessert.

Wo trifft sich die Netzgemeinde nach Twitters langsamen Tod?

Ob Populismus, Migration oder Klima: Einige der Themen haben sich stark von digitalen Aspekten gelöst und werden auch und ausschließlich für die analoge Welt debattiert. Das zeigt, wie sehr sich die Republica vom ursprünglichen Ansatz der Netzpolitik entfernt hat. Andersherum kommen nun aber auch Politiker:innen zu Gast, die selbst nicht als Vorreiter der Digitalisierung gelten, sagt Konferenz-Organisator Markus Beckedahl: "Hier prallen Welten aufeinander, im Idealfall begegnen sich Politiker:innen und zivilgesellschaftliche Stimmen auf Augenhöhe, die sonst nicht viel miteinander in Dialog treten können."

Viele Träume der Republica-Gründer sind 17 Jahre nach der Premiere geplatzt. Zum Beispiel das Versprechen, Menschen digital zu verbinden, um die Welt zu einer besseren zu machen. Mitgründer Johnny Häusler fragte am Montag in einer Session, wie und wo sich die Netzgemeinde jetzt noch online treffe, nachdem Elon Musk Twitter kaputt gemacht habe. Die Teilnehmenden konnten ihm auch nicht helfen: Die Netzgemeinde hat sich auf neuen Kanälen verstreut, bildet keine Community mehr, eine Antwort ist nicht in Sicht.

Wer kümmert sich? - Und wen kümmert's?

Doch zumindest eines haben die Veranstalter:innen hinbekommen: Die große Politik kommt an ihnen nicht mehr vorbei. So auch beim größten der Themenschwerpunkte, dem Fokus auf der Digitalisierung des Pflege- und Gesundheitswesens. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stellte sich am Mittwoch der Diskussion, ob wir bei einer nächsten Pandemie besser - und vor allem digitaler - aufgestellt wären und wie wir in Zeiten des demografischen Wandels die Pflege der Zukunft gestalten.

Das diesjährige Motto "Who Cares?" spiegelte sich auf vielfältige Weise. Es ist eine Frage, die doppeldeutig übersetzt werden kann in: "Wer kümmert sich?" und "Wen kümmert's?". Wer sich kümmert, wird gleich zu Beginn der dreitägigen Konferenz gezeigt: In einer Collage stellen sich einige der 1.000 Speaker:innen vor, beginnen jeweils den Satz mit "Ich kümmere mich um...". Um die Folgen von Klimawandel, Krieg oder einen besseren Umgangston.

Kümmerer, Bekümmerte und die KI

Beim Kümmern könnte künftig Künstliche Intelligenz helfen, doch dafür braucht es klare Regularien für einen demokratischen Umgang. Das war Konsens unter Vortragenden und Gästen. KI wurde vielfach thematisch eingebunden: Wie lässt sich KI zur Therapie oder Trauerarbeit nutzen? Sind Pflegeroboter ein Weg, Kümmernde in der Pflege zu entlasten? Was macht es mit unserer Gesellschaft, wenn Care-Arbeit künftig nicht mehr nur auf den Schultern weniger, schlecht bezahlter bis ehrenamtlich Arbeitender getragen wird?

Denn wer sich eigentlich kümmert, ist nicht überraschend: Laut Statistischen Bundesamt leisten Frauen jeden Tag eine Stunde mehr Care-Arbeit, also unbezahlte Aufgaben wie müde Kinder ins Bett bringen oder pflegebedürftige Eltern aus dem Bett helfen. Deutschland steuere auf eine Care-Krise zu, sagt die Buchautorin Teresa Bücker in ihrem Vortrag über Zeitgerechtigkeit. Bis 2035 werde es über eine Million mehr pflegebedürftige Menschen geben, warnt sie: "Uns sollte allen bewusst sein, dass der demografische Wandel in Deutschland bedeuten wird, dass auch ältere Erwerbstätige in den nächsten Jahren Arbeitszeiten verkürzen werden, um die eigenen Eltern zu pflegen." Es brauche wegen des Fachkräftemangels politische Lösungen. "Sonst enden wir im Chaos."

Es lässt sich nicht leicht beantworten, ob die gestellten Fragen und Ideen auf der Digitalkonferenz zielführend sind. Aber Impulse geben sie allemal.

An der Recherche und Mitarbeit für diesen Artikel waren Nils Kinkel (NDR), Michel Setz (HR) und Nora Wilker (WDR) beteiligt.

Sendung: rbb24 Radioeins, 27.05.2024, 12:40 Uhr

Beitrag von Jenny Barke

5 Kommentare

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  1. 5.

    "Die Netzgemeinde hat sich auf neuen Kanälen verstreut, bildet keine Community mehr, eine Antwort ist nicht in Sicht."

    Das klingt eher nach EntSozialisierung als nach Fortschritt.

    Für mich ist die Frage eine andere: Profitiere ich von einer neuen Technik. Ob es innerhalb der Box digital oder analog zugeht, ist mir völlig schnuppe. Komme ich analog besser voran, dann nutze ich analog und nicht digital.

    Aber man hat manchmal den Eindruck, digital ist zur Ideologie heruntergewirtschaftet worden.

  2. 4.

    "Facebook aus Sicht der Generation z eine Rentnermedium ist"
    Im Analogen ist es so: Gehe ich im Dunkeln diese Straße lang oder nicht? Das gilt im Digitalen auch.
    Wenn Erfahrene eine digitale Plattform nutzen, muss diese gut sein. Denn... die Erfahrenen haben alle Betriebssysteme erlebt und genutzt. ALLE.
    Nicht so Erfahrene probieren aus. Mit den entsprechenden Risiken. Damit sind sie den Erfahrenen solange unterlegen bis sie dort angekommen sind, wo die Erfahrenen herkommen ;-).

  3. 3.

    Sicherlich sind einige Besucher inzwischen in die Jahre gekommen. Ständige Onlinepräsenz ist ermüdend. Manch einer musste in der analoge Welt den Realitäten stellen. Da mag es legitim sein sich selbst zu feiern. Doch wen interessiert es? Die Frage ist berechtigt und die Antwort steht auch gleich im Titel. Letztendlich niemanden außerhalb der Blase. Daher ist die Frage wo sich die Community jetzt trifft auch nur rhetorisch. Da Elon Musk sehr polarisiert und mit Tiktok eine Generation ihre eigene Plattform gefunden hat, ist die Entwicklung normal. Twitter selbst scheint sich jetzt auf recht hohen Nivaeu stabilsiert zu haben. Wie auch Facebook aus Sicht der Generation z eine Rentnermedium ist.

  4. 2.

    Ich habe einen sehr langen, sehr differenzierten und kenntnisreichen Bericht über die Re:publica gelesen, und in der Überschrift wird gefragt: Wen kümmern diese Debatten? Erst nach gefühlt 100 Zeilen wird erkennbar, dass es sich dabei um ein Sprachspiel mit dem vonnöten den Organisatoren selbst gesetzten Thema handelte. Ich habe aus der Headline herausgelesen: Wen kümmern die Debatten der Nerds? Hab dennoch weitergelesen, finde die Überschrift aber sowohl irreführend als auch abschreckend.

  5. 1.

    Carearbeit ist auch das Ehrenamt, die Vereinstätigkeit, THW- u. Feuerwehr u.a. unbezahlte Arbeiten. Wie diese aufgeteilt werden in der Familie ist Privatsache! Hoffentlich bleibt das so. Häusliche Pflichten sind keine Kinderarbeit! Ein sehr wichtiges Thema um zu lernen, dass nicht jeder Handschlag bezahlt werden kann.
    Im Artikel wird suggeriert, dass die Frauen eine Stunde mehr arbeiten als deren Kinder und Männer. Das bezweifle ich und halte dagegen: Wer sich besser organisiert schafft mehr...ganz geschlechtsneutral.

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