#Wiegehtesuns? | Der Abiturient - "Man fühlt sich etwas verloren"
Jonas* steckt mitten in den Vorbereitungen auf sein Abitur - aber angesichts der Corona-Krise fällt es dem 19-jährigen Berliner schwer, sich aufs Lernen zu konzentrieren. Protokoll einer ungewöhnlichen Abitursituation. Ein Gesprächsprotokoll.
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Jonas* ist 19 Jahre alt und lebt bei seinen Eltern in Berlin-Friedenau. Er wird nach den Osterferien seine Abiturprüfungen machen. So geht es Jonas:
Ich bin gerade die meiste Zeit zuhause, versuche aber auch, ein bisschen rauszugehen. Meistens fahre ich alleine mit dem Fahrrad durch die Stadt. Zuhause mache ich Musik, ich spiele mehrere Instrumente: Gitarre, Bass, Schlagzeug und Klavier. Abends skype ich mit meinen Freunden. Natürlich versuche ich zu lernen. Aber es ist gerade für uns alle schwer, sich darauf zu konzentrieren. Denn ich denke viel über die ganze Situation nach.
Sorgen um die Familie - und Menschen aus ärmeren Ländern
Ich mache mir auf jeden Fall Sorgen um meine Familie, meine Großeltern zum Beispiel. Und ich mache mir sehr viele Gedanken darüber, wie das nächste Jahr wird. Wenn wir zum Beispiel nur auf Deutschland schauen, dann ist die Frage: Wann und wie kriegen wir eine Herdenimmunität, gibt es in einem Jahr einen Impfstoff, wie sieht die Situation bis dahin aus? Wie geht’s mit der Wirtschaft weiter? Wie lange werden die Kontaktbeschränkungen noch aufrechterhalten? Wie geht es Menschen in ärmeren Ländern, wenn die wohlhabenderen Länder nicht mehr die Ressourcen haben, ihnen zu helfen?
Kein Abschied möglich
Unsere Schule ist schon seit dem 12.März geschlossen, weil es schon da zwei bestätigte Corona-Fälle gab. Einen Tag davor hatten wir ganz normal Unterricht. Am Abend bekamen wir dann eine Mail, in der stand: Die Schule ist für die nächsten zwei Tage geschlossen. Nach diesen zwei Tagen wurde die ganze Schule dann unter Quarantäne gestellt. Das war so ein unvollendeter Abschluss, man konnte sich überhaupt nicht von seinen ganzen Freunden, von der Schule selbst verabschieden. Das fand ich sehr schade. Wir haben 124 Leute im Jahrgang. Es ist ein komisches Gefühl gerade. Man fühlt sich etwas verloren.
Dann kam auch die Frage auf: Wie geht’s jetzt weiter mit den Abiprüfungen? Wir hatten ein sehr kurzes Semester, und das wurde nochmal um eineinhalb Wochen gekürzt, wo eben leider noch relativ viel Prüfungsvorbereitung passiert wäre. Mein Englischkurs hatte mit unserem Lehrer zwei Videokonferenzen, mehr eine Art Zusammentreffen, gegenseitiger Support. Wir haben Grammatik geübt und über die Abiprüfungen gesprochen. Aber ansonsten wurde leider nicht viel Stoff nachgeholt. Ich habe von Mitschülern gehört, dass manche Lehrer überhaupt nicht antworten oder zumindest schwer erreichbar sind.
Würde ein Abi ohne Prüfungen vollwertig anerkannt?
Ohne Corona hätte ich meine erste Prüfung schon geschrieben. Das wäre Geographie gewesen, mein erster Leistungskurs. Mein zweiter ist Englisch, das hätte ich danach geschrieben. Deutsch ist mein drittes Fach, Mathe mein viertes, dann noch Musik und Physik. Jetzt ist es so, dass alle Prüfungen, die vor den Ferien gewesen wären, auf nach den Ferien verschoben sind. Die anderen Termine bleiben größtenteils bestehen. Der Zeitraum zwischen den Prüfungen rückt für mich also zusammen.
Ob man die Prüfungen in diesem Jahr absagen sollte? Ich finde, es gibt relevante Argumente dafür, aber auch dagegen. Auch innerhalb unseres Jahrgangs wird noch kontrovers diskutiert, was die beste Lösung ist. Was aus meiner Sicht dafür spricht, die Prüfungen zu schreiben: Es ist nicht klar, ob ein Abi ohne Prüfungen anerkannt wird, zum Beispiel für ein Auslandsstudium. Das andere ist, dass sich viele vorgestellt haben, dass sie durch die Prüfungen nochmal ihren Schnitt verbessern können. Das war auch bei mir der Fall, ich habe mal ausgerechnet: Es wäre ungefähr zwei Dezimalstellen über dem, was ich mir vorgestellt hätte.
Soziale Unterschiede werden durch die Corona-Krise verstärkt
Aber es sprechen für mich auch sehr viele Punkte dagegen. Ich finde beispielsweise einen sehr wichtigen Punkt, dass die momentane Situation soziale Unterschiede noch verstärkt. Schlecht funktionierende Familien sind jetzt gerade noch stärker strapaziert. Familien, die vorher vielleicht noch zusammengehalten wurden, weil man koordinieren konnte, dass nicht alle gleichzeitig zuhause sind. Da kenne ich mehrere Fälle.
Die sitzen jetzt alle zusammen, vielleicht in engen Wohnungen, ohne Möglichkeiten, sich aus dem Weg zu gehen. Ohne einen Rückzugsraum zum konzentrierten Lernen. Bibliotheken sind geschlossen, draußen darf man sich nicht hinsetzen. Draußen lernen ist aus meiner Sicht auch keine Alternative.
Die große Erleichterung wird ausbleiben
Die Unsicherheit setzt auch uns zu. Auch wir wissen, dass in zwei Wochen nicht alles besser wird. Wenn wir unser Abi geschafft haben, wird die große Erleichterung ausbleiben. Vielleicht bleibt es ja auch noch ein Jahr lang so angespannt.
Ich frage mich auch, wie man diese Prüfungen durchführt. Das mit dem Abstand kann man regeln, aber gibt es überhaupt genug Desinfektionsmittel? Ich habe gelesen, dass manche Schulen große Mengen an Alkohol gekauft haben und selbst Desinfektionsmittel herstellen, weil die Bezirke es nicht ausreichend zur Verfügung stellen können. Oder wie sieht es mit Schutzmasken oder Handschuhen aus? Wenn man die Schüler nur mit zeitlichem Abstand reinlässt, müssen dann die ersten zwei Stunden rumsitzen, bis die Prüfung beginnt? Prüfungsangst kann man dadurch nur schwer bekämpfen.
Freiwilliges soziales Jahr geplant
Nach dem Abi wollte ich erstmal reisen, mit meinen Freunden in den Sommerferien – einfach irgendwohin, feiern, dass die Schule vorbei ist. Aber das dürfte schwierig werden. Die Abifahrt, die wir uns organisiert haben, fällt vielleicht auch weg. Die wäre zwar nur innerhalb Deutschlands, aber man muss sich klar die Frage stellen, ob man das im Juni schon wieder darf.
Nach dem Abi will ich nicht direkt studieren, sondern zuerst ein freiwilliges soziales Jahr machen. Bisher sieht es so aus, als ob das stattfinden kann. Ich habe mich schon bei verschiedenen Organisationen in Berlin beworben. Was ich später studieren will, habe ich noch nicht entschieden.
Neue Seiten an alten Freunden
Ich persönlich habe in dieser Krise auf jeden Fall gelernt, dass man nie unterschätzen sollte, wie wichtig ein Ereignis sein kann, das weit weg auf der Welt passiert. Ich habe auch an meinen Freunden ganz neue, überraschende Seiten entdeckt - bei Leuten, bei denen ich das nie gedacht hätte. Ich habe sehr interessante Unterhaltungen geführt, die vorher so vielleicht nicht möglich gewesen wären. Man rückt anders zusammen, trotz der Distanz.
Ich denke, dass es im Leben immer Zeiten geben wird, in denen man alleine ist. Ich glaube, es ist gerade eine gute Zeit, um für sich Wege zu finden, wie man mit sozialer Isolation klarkommt. Vielleicht hilft einem das später.
*Name auf Bitte des Gesprächspartners nachträglich geändert.
Gesprächsprotokoll: Sebastian Schneider
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