Corona-Pandemie - Wie ein DIN-A4-Zettel das Gesundheitsamt umkrempelte

Mi 19.03.25 | 06:26 Uhr | Von Yasser Speck
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Archivbild:Das Berliner Gesundheitsamt Wilmersdorf am 15. Dezember 2020 während eines Presserundgangs, Leiter des Pandemieteams Sascha Brauer, Gesundheitsstadtrat Detlef Wagner.(Quelle:imago images/Funke Foto Services)
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Audio: rbb24 Inforadio | 19.03.2025 | Yasser Speck | Bild: imago images/Funke Foto Services

Vor fünf Jahren wurden die ersten Corona-Fälle in Berlin gemeldet. Als die Berliner:innen nach Hause geschickt wurden, mussten die Gesundheitsämter der Stadt in den Krisenmodus schalten - wie in Charlottenburg-Wilmersdorf. Von Yasser Speck

Detlef Wagner erinnert sich noch ganz genau an das Frühjahr 2020. "Für uns war das eine ganz verrückte Zeit. Wir guckten eigentlich immer noch nach München, denn dort war der erste Corona-Fall und wir wussten: Corona wird kommen." Und Corona kam. Auch nach Berlin.

Wagner ist CDU-Politiker und zu Beginn 2020 Stadtrat für Gesundheit in Charlottenburg-Wilmersdorf. Den Job macht er heute noch. Als Leiter des Gesundheitsamtes war Wagner für die Pandemiebekämpfung in seinem Bezirk zuständig.

Entwurf auf einem DIN-A4-Zettel

Als die ersten Corona-Fälle auch in Berlin gemeldet wurden, war Wagner und seiner Amtsärztin klar, dass die Lage ernst werden würde. Wie ernst? Das wussten sie nicht. Über das Virus aus Wuhan war im März 2020 noch so gut wie nichts bekannt. Wagner und seine Amtsärztin trafen sich eines Abends, um über die neue Situation zu beraten.

"Meine Amtsärztin setzte sich hin, nahm sich einen DIN-A4-Zettel und sagte, dass wir die Struktur unseres Gesundheitsamtes jetzt vergessen können. Wir haben praktisch auf einem DIN-A4-Zettel die Stränge entworfen, in denen das Gesundheitsamt arbeiten kann und muss", erinnert sich Wagner. Sie kamen zu dem Schluss: Es braucht nun sehr viele Menschen im Gesundheitsamt, die mit den Bürgerinnen und Bürgern per Telefon in Kontakt treten können. Sei es bei der Nachverfolgung der Infektionsketten - oder einfach nur, wenn jemand eine Frage zum Virus hat.

Therapeuten an die Telefone

Sie schlossen ganze Bereiche im Gesundheitsamt, um Platz für die Telefonisten zu machen. Es stellte sich die Frage: Wer kann jetzt in den Telefon-Dienst berufen werden? Der Blick von Wagner und seiner Amtsärztin fiel zuerst auf die Mitarbeitenden mit einer therapeutischen Ausbildung. Denn die hätten einen entscheidenden Vorteil, so Wagner.

"Die sind aufgrund ihrer Spezifikation, dass sie mit Menschen arbeiten können, auch die Idealen, die anfangen können zu telefonieren." Innerhalb kürzester Zeit wird so aus dem Gesundheitsamt Charlottenburg-Wilmersdorf ein Pandemie-Call-Center. Im Regelbetrieb arbeiten in dem Gesundheitsamt um die 180 Menschen. Doch eine neue weltweite Pandemie ist kein Regelbetrieb. Im Laufe der Monate wächst die Zahl der Beschäftigten auf rund 500 an. Sogar Bundeswehr-Soldaten unterstützen.

Es müssen nun alle Infektionen im Bezirk nachverfolgt und dokumentiert werden. Außerdem müssen die Kontaktpersonen informiert und vor einer möglichen Ansteckung gewarnt werden. Ein logistischer Riesenaufwand - und das mitten in einer sich ständig ändernden Lage. Wagner erinnert sich noch: "Es war für uns eine vollkommen neue Situation. Ich sag es noch einmal: Wir wussten bei jeder Veränderung des Virus nicht, was jetzt mit uns passiert."

Archivbild:Charlottenburgs Gesundheitsstadtrat Detlef Wagner am 12.01.2022.(Quelle:imago images/M.Gambarini)
Detlef Wagner (CDU) war zu Beginn 2020 Stadtrat für Gesundheit in Charlottenburg-Wilmersdorf | Bild: imago images/M.Gambarini

Pandemiekoordinatorin gesucht

Als die Fallzahlen in die Hunderte und dann in die Tausende pro Tag stiegen, wurde klar: Sie brauchen eine Pandemiekoordinatorin. Die Wunschkandidatin von Wagner für diesen Job war eine Mitarbeiterin, die bereits seit 2021 im Pandemie-Bekämpfungs-Team mitarbeitete. Sie sagte zu und so trat Fabiane Kulicke im Januar 2022 ihren Job als Pandemiekoordinatorin an.

"Ich war für die Verteilung der Aufgaben, die Koordination des Personals und die Umsetzung der Maßnahmen zuständig, die immer wieder verändert wurden", erinnert sich Kulicke. Kein einfacher Job – es war schließlich auch ihre erste Pandemie.

Lernen aus den Fehlern

Fabiane Kulicke macht den Job der Pandemiekoordinatorin noch heute. Sie versucht, Schlüsse aus der Corona-Pandemie für die Zukunft zu ziehen. "Wir Gesundheitsämter aus Berlin treffen uns regelmäßig und tauschen uns aus und versuchen, uns für die Zukunft besser vorzubereiten", erklärt Kulicke ihre heutigen Aufgaben. Diese Treffen hätten sogar Erfolg, sagt sie.

"Wir sind auf jeden Fall besser aufgestellt, weil wir daraus etwas gelernt haben. Wir versuchen, auch vorbeugende Schulungen für die Mitarbeiter zu organisieren, für den Fall, dass wieder ein überraschendes Ereignis kommt, so dass wir schnell reagieren können." Klar, jedes Virus ist anders. Eine neue Pandemie würde neue Herausforderungen bringen. Doch was sie beim nächsten Mal besser machen wollen, da sind sich Wagner und Kulicke einig: Die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern muss besser laufen.

Beispielsweise wollen sie beim nächsten Mal die Transparenz erhöhen und besser erklären, warum das Gesundheitsamt welche Maßnahme so beschließt, wie sie sie beschließt. Und sie wollen den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen, dass auch das Gesundheitsamt in so einer Krise nicht immer auf alles eine perfekte Antwort haben kann.

Sendung: rbb24 Abendschau, 19.03.2025, 19:30 Uhr

Beitrag von Yasser Speck

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9 Kommentare

  1. 9.

    "Die eAkte muss alle diese unterschiedlichen Anforderungen erfüllen und in jedem Amt funktionieren." Ist das nicht das Pferd von hinten aufgezäumt? Sollte man nicht erstmal die Datenverarbeitung und Anforderungen vereinheitlichen und straffen und dann die eAkte einführen? Es bringt doch nicht alte uneffiziente Strukturen einfach nur digital abzubilden, man braucht durchweg effizient für die digitale Verarbeitung von vornherein ausgelegte Strukturen, um den Vorteil der digitalen Verarbeitung überhaupt richtig zu nutzen.

  2. 8.

    In einem Bezirksamt gibt es allerdings deutlich mehr als nur 3 Fachämter. Und in jedem Amt gibt es unterschiedliche Anforderungen an die Software. Die eAkte muss alle diese unterschiedlichen Anforderungen erfüllen und in jedem Amt funktionieren. Das ist nicht so einfach.

  3. 7.

    An Kinderarzt: es gibt eigentlich eine elektronische Meldesoftware und nach dem Infektionsschutzgesetz sind Ärzte inzwischen auch verpflichtet elektronisch zu melden.

  4. 6.

    Ist zu lange her da kann ich mich nicht mehr erinnern.
    Welche Software nun zum einsatz kommen könnte ... da kennen sich andere viel besser aus.
    Aber ich vermute mal... man wartet eh ab... ist ja immer ein Problem etwas deutschlandweit einzuführen.

  5. 5.

    Es wurde immer wieder ein zentrales Krisen- und Notfallmanagement gefordert, um damit die Entscheidungsgewalt der Bezirke übergehen und Entscheidungen schnell herbeiführen zu können. Durchgesetzt hat es sich jedoch nie. Ebenso wie seit Jahren ein zentrales Baustellenmanagement verhindert wird.

    Obwohl seit gut 10 Jahren 3 große Rechtskreise (Jobcenter, Arbeitsagenturen und Familienkasse) mit der eAkte arbeiten, haben es die Berliner Bezirke bisher erfolgreich geschafft sich gegen die Digitalisierung zu wehren. Muss man noch mehr sagen?

  6. 4.

    Es gibt Survnet vom RKI, es ist durchaus sinnvoll dieses System zu verwenden. In Berlin wird es auch für andere Krankheiten verwendet. Zum großen Teil auch bundesweit. In der Pandemie ein anderes System einzuführen, was eben nicht dafür entwickelt war, sondern für eine Ermittlung vor Ort ergibt null Sinn. Am Ende stand man doof da, weil man dazu gezwungen worden ist Sormas für eine Krankheit zu verwenden

  7. 3.

    Wenn ich in der Praxis eine nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtige Erkrankung feststelle, nehme ich das kopierte Meldeblatt aus dem Ordner, füllen es händig aus, Stempel und Unterschrift.
    Dann per Fax zum Gesundheitsamt in dem Stadtbezirk, wo der Versicherte wohnt.
    Ich oute mich , ich schicke es an meinen Stadtbezirk, ichcwill nicht die Nummern von 12 Stadtbezirken nutzen.
    Und nein, es gibt keine Onlinemeldung in Berlin.

  8. 2.

    Was war denn die Begründung, Sormas nicht zu verwenden? Eine Software die exakt für die Nachverfolgung entwickelt wurde. In so einer internationalen Notlage jeden Bezirk selbst entscheiden zu lassen wie es denn beliebt ist doch absurd.

  9. 1.

    Interessant wäre zu wissen hat man denn inzwischen eine einheitliche Software ? Zumindest in Berlin. Während der Pandemie scheiterte Sormas am Widerstand einzelner Bezirke… „wir machen das anders“.
    Gibt es funktionierende Schnittstellen zum RKI und für die Ärzte, Krankenhäuser usw.
    Oder ist man wieder zu Excel zurück ?
    Steht das Grundgerüst nicht ist alles was drauf aufbaut mehr schlecht als recht.