Rückzahlungsforderungen der IBB - Wenn Corona-Hilfe zum Insolvenz-Risiko wird
Die Aufarbeitung der Corona-Krise hat längst begonnen. Neben Lockdowns und Impfvorschriften geht es auch um wirtschaftliche Folgen. "Corona-Schuldner" zum Beispiel: Menschen, die tausende Euro an Hilfsgeldern zurückzahlen sollen. Von Sebastian Schöbel
Einst war er Azubi bei der Investitionsbank Berlin (IBB), nun ist er ihr Schuldner: Diese Entwicklung hätte sich Matthias Treptow wohl nicht vorstellen können, als er 1998 bei der Investitionsbank als Trainee anfing.
Alle Abteilungen habe er beim landeseigenen Finanzinstitut durchlaufen und dann sieben Jahre lang bei der IBB-Tochter für Startup-Investitionen gearbeitet. Seit 2009 ist er selbstständiger Berater für Fördermittelanträge - und musste 2020 schließlich einen für sich selbst ausfüllen: für die Corona-Hilfe der IBB. Heute gehört er zu den Tausenden Empfängern, von denen die IBB das Geld zurückfordert. Und Treptow versteht die Welt nicht mehr. "Ehrlich gesagt: Damit habe ich nicht gerechnet."
Als die Pandemie begann und ein Lockdown den nächsten jagte, brach Treptows Beratergeschäft zusammen. "Förderanträge rutschten auf der Liste der Prioritäten nach ganz unten", erinnert er sich. Die ersten Monate der Pandemie habe er gar nichts mehr verdient. "Meine Bestandskunden kämpften ums wirtschaftliche Überleben." Die Corona-Soforthilfe II für Selbstständige wie ihn sei ein "Glücksfall" gewesen: 7.000 Euro beantragt der zweifache Vater, für entgangene Einkünfte und die existenzielle Absicherung. Das Geld sei schnell ausgezahlt worden. "Ich habe das Geld zu Recht bekommen", ist er bis heute überzeugt.
Nach der Rettung kommt die Rechnung
Gut ein Jahr später macht die IBB ein routinemäßiges Rückmeldeverfahren, um abzufragen, wie viel Geld Treptow tatsächlich gebraucht hat. Er gibt an, knapp 1.000 Euro der Corona-Hilfe nicht benötigt zu haben und überweist das Geld zurück an die IBB. Doch die leitet wenige Monate später ein Prüfverfahren ein. Es beginnt ein zäher Prozess, in dem Treptow immer wieder neue Unterlagen und Belege einschicken muss - und dies auch tut. Seine Akte mit sämtlichen Unterlagen liegt dem rbb vor, sie ist gefüllt mit etlichen Abrechnungen, Steuerdokumenten und Bilanzen. Die IBB fragt jedoch mehrfach immer neue Dokumente ab, die er zum Teil aber gar nicht hat, zum Beispiel einen Gewerbeschein. Er sei doch Freiberufler, sagt Treptow, das gehe auch aus den Steuerdaten hervor. "Da stimmt doch etwas nicht."
Auf seine eigenen Nachfragen, etwa zu Richtlinien und Vorgaben des Corona-Hilfsprogramms, erhält er allerdings keine Antwort. "Die Kommunikation wurde zunehmend unfreundlicher, unpersönlicher. Ich hatte das Gefühl, von einem anonymen Konstrukt geprüft zu werden." Persönliche Gespräche oder Beratung habe es nie gegeben.
IBB fordert insgesamt 200 Millionen Euro zurück
Am Ende fordert die IBB alles zurück: Er habe das Geld nicht nur zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz und Deckung laufender Kosten benutzt. Lediglich knapp 100 Euro dürfe er behalten - ohne Begründung. Treptow nimmt sich eine Anwältin, die Widerspruch einlegt. Sie verweist auf zahlreiche Unschärfen und Unklarheiten in den Antragsdokumenten für die Coronahilfen. Auf ihrer Webseite habe die IBB zum Beispiel klargestellt, dass das Geld auch für "ungedeckte Kosten der privaten Lebensführung und private Krankenversicherungskosten in Folge von entgangenen Unternehmerlöhnen" genutzt werden könne. Bei Treptows Schlussabrechnung aber galt das nicht mehr.
Bei rund 25.700 Anträgen auf Corona-Hilfe hat die IBB Rückzahlungsforderungen gestellt. Insgesamt geht es um eine Summe von fast 200 Millionen Euro - knapp ein Viertel davon wurde schon beglichen, der Rest steht noch aus. Ursprünglich sollte die letzte Rechnung bis 2027 final abgeheftet werden. "Realistischerweise muss jedoch damit gerechnet werden, dass der Abschluss aller Abwicklungshandlungen erst im Jahr 2030 erreicht wird", teilt die zuständige Wirtschaftsverwaltung in einem aktuellen Bericht an das Abgeordnetenhaus mit.
Mehr als 100 Personen sind damit bei der IBB beschäftigt, die Kosten für all die Prüfungen belaufen sich auf bislang 96 Millionen Euro. Weitere 108 Millionen Euro kommen laut Wirtschaftsverwaltung in den kommenden drei Jahren wohl mindestens noch dazu, "insbesondere durch Tiefenprüfungen, die Bearbeitung der Schluss- und Endabrechnungen". Am Ende könnten die Rückforderung der Corona-Hilfen also mehr kosten als sie einbringen.
Schuldnerberatung: "Wir werden überrannt"
Dennoch häufen sich die Fälle von Rückforderungen bei der Schuldnerberatung der Berliner Stadtmission. "Wir werden überrannt", sagt Einrichtungsleiter Frank Wiedenhaupt. Die Wartezeit auf Termine liege aktuell bei sechs Wochen. Von den 40 bis 50 Kunden am Tag sei jeder Zweite wegen Rückforderungen der Corona-Hilfen da.
Viele der betroffenen Freiberufler seien schon mit der Buchführung überfordert, andere können sich die Schlussabrechnung ihrer Steuerberater nicht mehr leisten - auch weil die zum Teil ordentlich zugreifen. "Wir haben hier Fälle, da sind von 7.000 Euro Corona-Hilfe 3.000 Euro an den Steuerberater gegangen." Doch ohne Steuerberater oder Anwalt, die sich nicht mehr leisten können, sehen viele Betroffene gar keine andere Wahl, als zu zahlen, selbst wenn sie es vielleicht gar nicht müssten. Nicht wenige würden dadurch in die Insolvenz schlittern, so Wiedenhaupt. Die IBB trete derweil als hartleibige Geschäftsbank auf. "Die tun sich mit Ratenzahlungen sehr schwer, und Vergleiche mögen die überhaupt nicht."
Kritik an Prüfung der IBB
Letzteres bestätigt die IBB auf rbb-Nachfrage: "Bislang liegt die Zahl der abgeschlossenen Vergleiche im einstelligen Bereich", teilte eine Sprecherin auf rbb-Nachfrage mit. Dass viele Betroffene mit den Rückforderungen der Bank überfordert sind und es Beschwerden gibt, sei bekannt. Man versuche diese schnell zu bearbeiten. Die IBB-Sprecherin bittet jedoch um Verständnis dafür, "dass Unstimmigkeiten in den Anträgen festgestellt werden, die wir im Interesse der korrekten Vergabe von Landes- und Bundesmitteln überprüfen müssen". Insgesamt gut sieben Milliarden Euro an Corona-Hilfe hat die IBB während der Pandemie ausgegeben.
Betrug müsse selbstverständlich verfolgt werden, sagt der haushaltspolitische Sprecher der Linken, Sebastian Schlüsselburg. "Klar ist aber auch: Wir können es uns nicht leisten bis 2030 hier noch so viel Personal und Kosten zu investieren." Etliche Mitarbeitende für die Prüfung der Corona-Hilfen einzusetzen sei die falsche Priorität. Die IBB werde dringend gebraucht, um nach dem Scheitern des Sondervermögens für Klimaschutz Milliarden-Investitionen für das Land Berlin zu hebeln, so Schlüsselburg.
Matthias Treptow will seinen Fall notfalls vor Gericht bringen und klagen. Er ist weiterhin davon überzeugt, die Corona-Hilfe als Freiberufler korrekt beantragt und eingesetzt zu haben. Zurückzahlen könne er den Betrag zwar, sein Geschäft laufe wieder. "Mir geht es dabei aber auch um Gerechtigkeit", sagt er. "So kann man mit Menschen einfach nicht umgehen."
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.07.2024, 12 Uhr