#Wiegehtesuns? | Die Telefonseelsorgerin - "Einsamkeit – das ist ohnehin ein Problem vieler Berliner"
Gerda B. arbeitet seit Beginn der Pandemie ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge. Anfangs drehen sich die meisten Gespräche um Corona. Jetzt geht es auch wieder um andere Themen. Auch sie selbst hat schon viele Krisen überstanden. Ein Protokoll
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Gerda Bahm [Name von der Redaktion geändert] ist 48 Jahre alt, Autorin, und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Seit Anfang der Pandemie arbeitet sie ehrenamtlich bei der kirchlichen TelefonSeelsorge in Berlin und Brandenburg. So geht es Gerda:
Als die Krise begann, verdoppelte sich die Zahl der Anrufe bei der Kirchlichen TelefonSeelsorge Berlin-Brandenburg. In fast allen Gesprächen ging es um das Virus: Wie gefährlich ist es? Wie wird es mein Leben bestimmen? Jetzt klingeln die Telefone in unseren Büros nicht mehr ganz so häufig. Trotzdem übernehme ich weiterhin jede Woche zwei Schichten à vier Stunden.
Nach wie vor höre ich heraus, dass viele Menschen verunsichert sind. Erstaunlich selten sprechen sie über die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Eher über darüber, was es heißt, alleine zu leben. Einsamkeit ist ohnehin ein Problem vieler Berlinerinnen und Berliner, auch ohne Krise.
Seit Beginn der Pandemie ist das noch stärker zu spüren. Kurse wurden abgesagt, auch Spieleabende mit Freunden. Menschen wissen nicht, wohin mit sich. Mancher ruft schon morgens nach dem Aufstehen bei uns an, weil er eine menschliche Stimme hören will. Das Gespräch dauert dann nur wenige Minuten, aber es trägt ihn durch den Tag.
Für viele Anruferinnen und Anrufer ist die Corona-Krise ein Anlass, ihr Leben neu zu sortieren. Sie überlegen zum Beispiel: Wie will ich künftig wohnen? Weiter im lauten Berlin – oder außerhalb?
Mich hat die Pandemie kaum aus der Bahn geworfen. Nur als darüber diskutiert wurde, dass die Intensivstationen überlastet werden könnten, machte ich mir so meine Gedanken:
Wenn Ärzte die Schwerkranken auswählen müssten, die beatmet werden – hätte ich eine Chance, obwohl ich im Rollstuhl sitze?
Ich habe schon viele Krisen überstanden. Als alleinerziehende Mutter hatte ich Anfang der Neunzigerjahre kaum Geld. Da ich in der DDR aufgewachsen bin, wusste ich nicht, was mir in der Bundesrepublik zusteht, nämlich ein Zuschuss vom Sozialamt zu meiner Rente. Trotzdem habe ich es immer wieder geschafft, die Miete aufzubringen. Mein Sohn und ich, wir zogen eben Kleidung an, die andere abgelegt hatte. Ich trieb Lebensmittel auf und kochte uns was Gutes.
In Corona-Zeiten geht es mir wirtschaftlich viel besser. Meine Frau bekommt ein festes Gehalt. Unsere Ausgaben sind gesunken, weil lange Zeit ohnehin vieles geschlossen war. Ich konnte nicht in Cafés sitzen, was ich sonst gern mache, auch um zu schreiben. Ich bin hauptberuflich Autorin.
Zu Beginn der Pandemie genoss ich es, dass viele Menschen plötzlich so rücksichtsvoll und freundlich waren – und das im ruppigen Berlin! Inzwischen sind sie fast zum alten Ton zurückgekehrt. Befürworter und Gegner der Corona-Maßnahmen streiten sich so heftig, so wie man sich zuvor schon wegen der AfD bekriegt hat. Ich finde, man sollte über jedes Argument offen diskutieren, sofern es nicht gegen unsere Verfassung gerichtet ist. So halten wir es auch im Freundeskreis. Herumpöbeln, das bringt gar nichts.
Zur Telefonseelsorge kam ich 2008. Ich kann gut zuhören und will anderen Menschen helfen. Also machte ich die einjährige Ausbildung mit. Doch als ich 2009 ein Kind erwartete, gab ich das Ehrenamt auf. Die Büros der Telefonseelsorge waren damals nicht rollstuhlgerecht, und ich wollte mich nicht schwanger nach oben tragen lassen. Als die Krise im März begann, rief ich an und bot meine Unterstützung an.
Neulich erzählte mir ein Anrufer, dass seine Frau verstorben sei und er sich einsam fühle. Ich dachte noch, das wird bestimmt ein gutes Gespräch, da sagte er, er werde sich jetzt selbstbefriedigen. Da sei doch nichts Schlimmes dran. Ich legte auf. Sex-Anrufe kommen sehr selten vor.
Es sind übrigens meistens Frauen, die anrufen. Sie sind eher bereit als Männer, sich mit Problemen auseinander zu setzen. Sie wollen sich weiterentwickeln. Was für ein Pech manche Menschen haben! Sie treffen auf Ärzte, die ihnen nicht helfen, sie haben Unfälle.
Ich habe im Leben ganz oft Glück gehabt. Und ich weiß: Wenn man mal Pech hat, man muss sich aufrappeln und kämpfen.
Gesprächsprotokoll: Josefine Janert
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