#Wiegehtesuns | Flüchtlingshelfer - "Es darf nicht sein, dass wir von öffentlicher Seite ständig so gefrustet werden"
Viele Menschen in Deutschland engagieren sich, um Geflüchteten zu helfen. Auch Rainer Steußloff und Karl-Heinz Kohrt aus Schönwalde-Glien sind seit Jahren aktiv. Doch die Freiwilligen fühlen sich von der Verwaltung allein gelassen. Ein Gesprächsprotokoll
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Rainer Steußloff und Karl-Heinz Kohrt sind seit sieben Jahren in Schönwalde-Glien in der Flüchtlingshilfe aktiv. In dieser Zeit haben sie und die Initiative "Neue Nachbarn" viel mit aufgebaut - Kleiderkammer, Kinderspielgruppe, Fahrradwerkstatt, ein Imkerei-Projekt, Musikgruppen, Selbstbehauptungsworkshops und Deutsch-Kurse. Doch was mal als 100-Leute Projekt begann, hat inzwischen nur noch 20 aktive Mitstreiter. Die Freiwilligen fühlen sich von der Verwaltung allein gelassen, müssen oft vor der Bürokratie kapitulieren. Angesichts der erwarteten Flüchtlingszahlen in diesem Jahr haben sie im März einen offenen Brief an die Mitglieder des Landtags und des Kreistags Havelland geschrieben.
Rainer Steußloff: Wir hatten in den letzten Monaten mehrere Gespräche mit der Verwaltung – vom Kreis aus oder auch in der Gemeinde, mit den Sozialdezernenten. Überall sind wir eigentlich gegen eine Mauer gestoßen. Denn von den avisierten 1.600 bis 2.000 Flüchtlingen, die in diesem Jahr noch kommen sollen, sollen 160 nach Schönwalde kommen. Aber ohne, dass uns gesagt wurde, wie diese Menschen betreut werden sollen. Wir haben dann gesagt, wir brauchen Sozialarbeiter, bevor die Leute kommen, nicht erst wenn alles voll ist, wie das in den letzten Jahren gewesen ist. Darauf haben wir keine Antwort bekommen. Wir haben gefragt, wie das aussieht mit Deutschkursen. Da wurde uns gesagt: "Wenn ihr Deutschkurse wollt und wir das bezahlen sollen, dann müssen wir bei den Frauenhäusern sparen." Da wurde versucht, uns gegeneinander auszuspielen - was wir so nicht stehen lassen können.
Da haben wir irgendwann gesagt, jetzt ist mal gut - jetzt müssen wir die Politik darauf aufmerksam machen, dass hier dringend Hilfe nötig ist. Jenseits dieser ganze Flüchtlingsgipfel, die sie veranstalten. Da geht es nur um interne Sachen: Wer kriegt was, wer verschiebt wen nach wo. Aber die konkrete Hilfe vor Ort, die wir hier freiwillig machen seit sieben Jahren - die bleibt dabei völlig außen vor.
Karl-Heinz Kohrt: Wenn ich beim Jobcenter mit dabei bin und sehe, wie die Menschen einfach nur von der Bürokratie erschlagen werden – "Hier hast du das Formular, fülle es aus". Das Formular ist auf Deutsch, hier sind aber Afghanen, die kein Deutsch sprechen. Es gibt kaum Übersetzer oder Hilfen. Ich will die Flüchtlinge nicht in unterschiedliche Klassen einteilen, aber als die ukrainischen Flüchtlinge kamen, hatten wir innerhalb von 14 Tagen ukrainische Formulare und Übersetzer in den Jobcentern. Bis heute gibt es keinen afghanischen Übersetzer dort.
Die Kinder werden in der Schule relativ gut integriert, haben Freunde, gehen in den Sportverein. Das funktioniert alles. Wenn sie dann hierherkommen, müssen sie für die Eltern übersetzen, das können sie aber teilweise nicht. Da sind sie natürlich heillos überfordert. Also warum gibt es keinen afghanischen Übersetzer, der in Rathenow sitzt und den man anrufen kann, wenn man ihn braucht?
Rainer Steußloff: In Spandau gäbe es die. Wir haben bei unserem letzten Treffen mit der Verwaltung des Havellandes gefragt, ob wir die Spandauer Übersetzer mitbringen könnten. Und da war die Verwaltung völlig überfordert. Sie wussten es einfach nicht. Wir haben nur gefragt: "Können wir sie mitbringen? Wird das anerkannt, was sie übersetzen?" Das kann ja nicht jeder. Dann hat [man] gesagt: "Ja, vielleicht, ich weiß es nicht." Mit so einer Antwort müssen wir auskommen und das überfordert unsere Freiwilligen.
Viele springen auch nach einer Weile ab, weil sie sagen, ich schaff' das nicht mehr. Wir sind größtenteils Menschen im Rentenalter oder kurz davor. Auch einige Jüngere, die nach ihrer Arbeit mithelfen, aber die Älteren sind irgendwann komplett ausgelaugt und ausgestiegen. Wir waren mal 100 Leute – jetzt sind wir noch 20 Aktive. Für die alltägliche Arbeit wird es ganz schwierig, Leute zu bekommen. Gerade die Corona-Zeit hat gezeigt, wie wir allein gelassen werden. Es gab hier niemanden, der sich um die infizierten Menschen gekümmert hat. Hier war eine ganze Etage abgesperrt, da waren die Infizierten. Das waren 60 Leute. Und wir als Initiative – damals noch ungeimpft – mussten für sie einkaufen. Schutzmaßnahmen wie Plastikscheiben, die haben wir besorgt und eingebaut. Wir haben hier Masken produziert. Vom Land oder Landkreis hat sich niemanden blicken lassen.
Karl-Heinz Kohrt: Es sind zwei Sozialarbeiter hier für fast 300 Menschen. Eigentlich sollte es ein Sozialarbeiter für 80 Bewohner sein. Selbst diese Quote ist schon eine Zumutung.
Rainer Steußloff: Wir haben keinen Einfluss darauf, wer hierherkommt. Die Menschen werden zugewiesen, mal sind es viele Familien, im Moment sind es viele junge Männer. Und diese jungen Männer müssen auch in irgendeiner Form beschäftigt werden. Denn hier stehen auch manchmal tiefergelegte Mercedes in Gold und Silber, die die Leute dann anlocken und ihnen eine "Perspektive" bieten, die wir ihnen eigentlich bieten müssten. Und sich dann zu wundern, dass die in Berlin in irgendeinem Park stehen und Drogen verkaufen … das ist einfach eine Folge davon. Hier gibt es keine Leute, die mit den Menschen Sport machen, es gibt niemanden, der sich wirklich um sie kümmert. Das können wir mit unseren 20 Leuten kaum leisten.
Karl-Heinz Kohrt: Trotzdem machen wir ja weiter. Weil uns die Menschen am Herzen liegen. Und das macht auch Spaß. Gestern die Deutschstunde hat Spaß gemacht, es waren viele Leute da, die interessiert sind. Da blüht man auch auf und das ist der Grund, warum wir das tun: Weil wir nicht nur die Arbeit, sondern auch die Erfolge sehen.
Rainer Steußloff: Die Erfolge haben wir letztes Jahr dokumentiert. Wir haben zehn unterschiedliche Menschen befragt, begleitet, fotografiert – die Ausstellung dazu läuft im Moment im Rathaus in Schönwalde. Wo man einfach sieht, es hat sich gelohnt, sich für die Menschen einzusetzen. Einer hat angefangen zu studieren, einer hat innerhalb eines Jahres die Stufe C in Deutsch geschafft, um an der Uni aufgenommen zu werden und hat nach fünf Jahren seinen Master gemacht.
Karl-Heinz Kohrt: Oder ich gehe ins Krankenhaus und werde begrüßt: "Hallo, ich bin hier jetzt Pfleger." Solche Geschichten gibt es auch.
Rainer Steußloff: Wenn man das dann sieht, kann man sagen "Wow, da haben wir wirklich was geschafft." Aber es muss jemand tun, muss dranbleiben. Da darf es nicht sein, dass man von öffentlicher Seite ständig so gefrustet wird, mit dieser überbordenden Bürokratie.
Gesprächsprotokoll: Amelie Ernst
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 28.04.2023, 19:30 Uhr