Bahnverbindung Berlin-Potsdam - Streit über Stammbahn-Trasse durch Wald und Wohngebiete
Eine Regionalbahn auf geradem Weg zwischen Potsdam und Berlin - für viele Pendler wäre das ein Traum. Eine Reaktivierung der historischen Stammbahn-Linie hat aber nicht nur Freunde: Kritiker erwarten ein "Band aus Stahl und Beton". Von Friederike Steinberg
Der Plan, die historische Bahn-Verbindung zwischen Potsdam und Potsdamer Platz in Berlin neu zu bauen, wird derzeit bei den Anrainern hitzig debattiert. Ein Bündnis aus Anwohnern und Naturschützern protestiert gegen den Bau einer Beton-Trasse durch Wohngebiete und Wald. Befürworter sehen die "Potsdamer Stammbahn" dagegen als unabdingbar für eine bessere Verkehrsanbindung der Region, vor allem von Kleinmachnow.
Im vergangenen Sommer waren Diskussionen um die Potsdamer Stammbahn neu angefacht worden, als eine Reaktivierung der Strecke im Infrastrukturkonzept der Bahn, dem "Deutschland-Takt", auftauchte. Damit erscheint eine Neueinrichtung der historischen Strecke wieder realistisch.
"Die Diskussion ist in vollem Gange", bestätigt die Bezirksbürgermeisterin von Steglitz-Zehlendorf, Cerstin Richter-Kotowski, rbb|24. Die CDU-Politikerin positioniert sich für den Trassen-Neubau. "Das ist ein wichtiges Infrastrukturprojekt für die Region", sagt sie - stellt aber auch Bedingungen: "Der Bezirk muss auch etwas davon haben."
Stammbahn seit dem Krieg unterbrochen
Als Stammbahn bezeichnet wird die fast geradeaus führende Bahnverbindung von Berlin-Potsdamer Platz über Zehlendorf, Kleinmachnow und Griebnitzsee bis Potsdam. 1838 war diese Strecke als erste preußische Eisenbahnstrecke in Betrieb genommen und einige Jahre später bis nach Magdeburg verlängert worden. Durch Zerstörungen im Krieg wurde diese Bahnverbindung unterbrochen - und ist es bis heute.
Erste Pläne für eine Reaktivierung nach der Wende verliefen im Sande. Der Bevölkerungszuwachs im Berliner Speckgürtel und stark steigende Pendlerzahlen haben die Stammbahn aber wieder in den Fokus gerückt. Bisher fahren Regionalbahnen von Potsdam in einem Bogen von Westen in die Berliner Innenstadt und nutzen damit zusätzlich die bereits stark ausgelastete Ost-West-Route.
Mehrere Varianten stehen zur Debatte
Für die Wiederbelebung der Stammbahn gibt es allerdings mehrere Vorschläge. Untersucht werden sie zurzeit in der Projektgruppe i2030. Darin: der zentrale Geldgeber - die Deutsche Bahn, sowie der Verkehrkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) und die beiden Bundesländer.
Der wichtigste Unterschied zwischen den verschiedenen Varianten:
- Entweder fahren die Züge wie früher geradeaus.
- Oder sie verlassen zwischen Zehlendorf und Griebnitzsee die ursprüngliche Strecke und nehmen, wie die S1, einen Schlenker über Wannsee.
Von Potsdamer Platz bis Zehlendorf könnten Züge auf vier Gleisen fahren, südlich von Zehlendorf sind bisher aber nur zwei Gleise angedacht: für Regiobahnen oder eine neue S-Bahn. Fest steht für die i2030-Partner bisher: Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf würden "mit den untersuchten Varianten" - plus Verlängerung der S-Bahnlinie der S25 bis nach Stahnsdorf - besser angebunden. Nicht geprüft wird ein Ringschluss über die alte "Friedhofsbahn" zwischen Stahnsdorf und Wannsee.
"Zum Teil von der Natur überwuchert"
Viel Platz für Fantasie - vor allem weil von der einstigen Potsdamer Stammbahn "nicht mehr viel übrig" ist, wie i2030-Sprecherin Elke Krokowski rbb|24 mitteilt. "Die Gleise zwischen Griebnitzsee und Düppel wurden seit 1945, jene zwischen Düppel und Zehlendorf seit 1980 nicht mehr befahren und die Anlage befindet sich in einem dementsprechend schlechten Zustand und ist zum Teil von der Natur überwuchert." Richtung Potsdamer Platz seien die Gleise gesperrt und die Stationen Düppel und Zehlendorf-Süd "nur noch Ruinen".
Immerhin ist die alte Trasse bislang nicht bebaut. Und rein rechtlich, sagt die i2030-Sprecherin, wäre eine Wiederinbetriebnahme unproblematisch. "Der Verlauf der Stammbahn ist weiterhin als Bahnstrecke gewidmet." Je nach Ausbau seien vielleicht Planfeststellungsverfahren erforderlich. "Kostenschätzungen können wir derzeit nicht treffen", heißt es.
Befürworter: Kleinmachnow und Europarc anbinden
Bezirksbürgermeisterin Richter-Kotowski kann sich eine Reaktivierung der Stammbahn-Trasse grundsätzlich gut vorstellen. Wichtig wäre allerdings sehr guter Lärmschutz, sagt sie, auch durch leise Züge oder Flüsterschienen: "Ich glaube nicht, dass das dem Ortsbild besonders zuträglich ist, hier sechs bis sieben Meter hohe Lärmschutzwände zu haben", so Richter-Kotowski. Sie setzt auf technische Neuerungen, "bis es tatsächlich so weit ist".
Lärmschutz ist allerdings nicht die einzige Bedingung, die Richter-Kotowski stellt. Auch neue Haltepunkte müssten für den Bezirk und die betroffenen Anwohner rausspringen. "Es kann nicht sein, dass die Züge zwischen Potsdam und Mitte durchrauschen, und in Steglitz-Zehlendorf winken wir noch hinterher", sagt Richter-Kotowski. Sie fordert Regio-Halte am Rathaus Steglitz und in Zehlendorf, sowie einen neuen S-Bahnhof Düppel.
Darüber hinaus müsse der Bahndamm gut zu queren sein. Es brauche mehr Park&Ride vor den Bezirksgrenzen sowie eine Ausweitung der Tarifzone AB, um Pendlerchaos zu vermeiden.
Bündnis: Rund 40 Hektar Wald würden vernichtet
Das Bündnis "Ressourcen nutzen, Natur schützen", das sich im November gründete, hat ein anderes Problem mit der Trasse. "Der Neubau der Stammbahn als moderner Bahnverbindung zwischen Potsdam und Zehlendorf hätte gravierende Auswirkungen auf Mensch und Natur", kritisiert Bündnissprecherin Ursula Theiler. "Es entstünde ein massives, mehrere Meter hohes Band aus Stahl und Beton quer durch die Landschaftsschutz- und Naherholungsgebiete Düppeler Forst und Parforceheide." Für den Bau der Trasse würde schätzungsweise 40 Hektar vernichtet, eine Fläche von "weit mehr als 50 Fußballfeldern wertvoller Laubmischwald".
Außerdem dauere eine Reaktivierung zu lange, kritisiert das Bündnis. Mindestens zwölf Brückenbauten seien alleine nötig. "Durch aufwändige Planungs- und Bauprozesse würden hier erst in 15 bis 20 Jahren Züge fahren können. Zeit, die uns angesichts der Klimakrise nicht bleibt", konstatiert Theiler.
Variante: Altes Gleis neben der S1 nutzen
Die Initiative fordert daher, Stammbahn-Züge ab Zehlendorf den Schlenker über Wannsee fahren zu lassen, über ein bereits bestehendes, nicht genutztes Industriegleis der "Wannseebahn". Dass die Strecke nicht elektrifiziert ist, sei durch neue Loks mit Akkus kein Problem mehr, argumentiert die Initiative. Und auch auf nur einem Gleis sei eine "bedarfsgerechte Taktung" möglich. "Mit einem kurzen Trassenstück wäre auch der Europarc in Kleinmachnow/Dreilinden leicht anzuschließen", meint Theiler.
Bezirksbürgermeisterin Richter-Kotowski sieht diese Variante kritisch. Parallel zur S1 die Regionalbahn laufen zu lassen - "das wird nicht funktionieren", sagt sie. Außerdem müsste man auch hier Lärmschutz installieren, glaubt die Politikerin. "Wenn ich die Regionalbahn auf der S-Bahntrasse fahren lasse, und es findet kein Lärmschutz statt (...): Dann muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Das ist nicht das, was ich will."
Dass für einen Trassenbau Wald gefällt werden müsste, wäre für die CDU-Politikerin hinnehmbar. "Wenn ich will, dass die Menschen nicht mit dem Auto fahren, dann muss ich ihnen ein attraktives, anderes Verkehrsmittel anbieten", sagt sie. Es sei eine Abwägungsfrage: "Ist mir in der Zukunft wichtiger, dass die Menschen mit der Bahn fahren? Oer ist es mir wichtiger, den Wald zu erhalten? Beides wird nicht gehen."
"Bürgerinitiative Stammbahn" sieht keine Alternative
Eine zweite Bürgerinitiative, die "BI Stammbahn", hat diese Frage für sich bereits entschieden. "Auf mittlere Sicht" könne die Nachfrage nach Zügen nur mit der reaktivierten Stammbahn befriedigt werden, sagt Sprecher Jens Klocksin. Die Umfahrung über Wannsee sei "kein Ersatz". Mit der Stammbahn "würden mehrere Tausend Haushalte und Arbeitsplätze" in Kleinmachnow/Düppel und dem Gewerbegebiet Dreilinden angebunden. "Wie eine Perlenkette führt die Strecke durch die fünf 'Großstädte' Berlin Mitte, Schöneberg, Steglitz, Zehlendorf und Potsdam. In jedem anderen Bundesland gäbe es zwischen diesen Städten eine Regionalbahn, an deren Sinn niemand zweifeln würde."
Kleinmachnower Bürgermeister: "Am besten beides"
Laut i2030 befinden sich die Planungen zum "Korridor Potsdamer Stammbahn" derzeit noch im Anfangsstadium - die Vorentscheidung für eine der Varianten könnte jedoch schon in Kürze fallen. Eine erste Untersuchungsrunde des Bahn-Länder-Gremiums i2030 werde Anfang 2020 abgeschlossen, heißt es. "Auf dieser Basis können die Varianten weiter eingegrenzt und eine konkrete Zielvariante bestimmt werden."
Michael Grubert (SPD), Bürgermeister von "Boomtown" Kleinmachnow, kann beiden Trassenführungen etwas abgewinnen. Größere Kapazitäten auf Dauer biete die Stammbahn, sagt er. Aber er räumt ein: Der Bogen über Wannsee könne tatsächlich zügiger genutzt werden. Sein Vorschlag dürfte allerdings für neue Diskussionen sorgen: "am besten beide Varianten".
Sendung: Inforadio, 22.01.2020