"Kabinett vor Ort" - Woidke bleibt bei schnellerem Kohleausstieg skeptisch
Mit der Reihe "Kabinett vor Ort" will sich die Brandenburger Landesregierung in den Landkreisen ein Bild von der Lage vor Ort machen. In Forst ging es am Dienstag um den Kohleausstieg, Geflüchtete und die Afrikanische Schweinepest. Von Thomas Bittner
- Brandenburger Ministerpräsident Woidke fordert vor Kohleausstieg eine Bilanz zu Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Strukturentwicklung
- Land will Geflüchteten "Spurwechsel" ermöglichen – oder sie zurückführen
- Infektionsdruck bei Afrikanischer Schweinepest vom Osten und Süden bleibt hoch
Die Kabinettssitzung in Forst (Spree-Neiße) ist ein Heimspiel für Dietmar Woidke (SPD). Naundorf, ein Ortsteil der Kreisstadt, ist sein Geburtsort und bis heute der Wohnort des Ministerpräsidenten. Von 1992 bis 1994 war er Amtsleiter in der Forster Kreisverwaltung. Hier stieg er in die Politik ein, war Stadtverordneter und Kreistagsmitglied. Hier kennt er die Stimmungslage.
Und hier kennt man ihn, eher als Dietmar, weniger als Genossen Woidke. Hier gibt es an vielen Stellen persönliche Bezüge: Die Pflegeschule, auf der heute Fachkräfte aus Polen, Vietnam und Brasilien ausgebildet werden, war einst seine EOS, die Erweiterte Oberschule, an der Woidke 1980 sein Abitur machte. Das muss der Ministerpräsident natürlich auf der Pressekonferenz am Nachmittag erwähnen.
190 Millionen Euro für neue Projekte
Der Kreis ist von Braunkohle und Energiewirtschaft geprägt. Das ist Fluch und Segen zugleich. Über hundert Jahre lang lieferte die 20 Millionen Jahre alte Braunkohle zuverlässig Wärme und Strom. Ortsnamen wie Jänschwalde, Welzow, Schwarze Pumpe stehen für das Kohle-Zeitalter, für gut bezahlte Jobs und für ein industrielles Rückgrat.
Doch nun rückt der Ausstieg näher, die Sorgen sind auch an diesem Nachmittag im Kreishaus spürbar, aber sie lähmen nicht mehr. Als die Landesregierung vor knapp vier Jahren zuletzt mit einer Kabinettssitzung zu Gast war, stand noch die Angst vor einem Absturz im Raum.
Heute ist man weniger skeptisch. Von den zehn Milliarden Euro, die vom Bund für eine neue Wirtschaftsstruktur nach der Kohle in die brandenburgische Lausitz fließen, hat sich der Landkreis schon 190 Millionen gesichert. Landrat Harald Altekrüger (CDU) spricht von 19 Projekten. An eine Wasserstoff-Pipeline ist gedacht, die Lausitzer Industriestandorte miteinander verbindet. Aber auch an Telemedizin. Zukünftig sollen Laborproben eines Gubener Krankenhauses mit Drohnen ins Cottbuser Gemeinschaftslabor geflogen werden, berichtet Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Die Fördermittel stehen bereit.
In Guben soll vom deutsch-kanadischen Unternehmen "Rock Tech Lithium" ab 2025 Lithiumhydroxid für Batterien hergestellt werden, am Montag war Spatenstich. Die Leag, heute noch Tagebau- und Kraftwerksbetreiberin, hat für 2030 angekündigt, eine Sieben-Gigawatt-Factory mit Strom aus erneuerbarer Energie aus dem Lausitzer Revier zu errichten, gepuffert mit einem gigantischen Speicher, den es so noch nicht gab in der Bundesrepublik.
Woidke verweist auf den Bund
Das klingt nach Zukunft. Kann man also schneller auf die Kohle verzichten? Dietmar Woidke bremst, wenn er nach einem schnellen Ausstieg gefragt wird. Es gebe ein Bundesgesetz. Und das sieht 2038 als Ausstiegsdatum vor. Am Wochenende hatte Woidke der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt, das Kohle-Aus sei vielleicht auch 2032 oder 2033 zu schaffen. Dafür müssten bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Am Dienstag in Forst zeigt der SPD-Regierungschef mit dem Finger auf die Bundesregierung.
Im Gesetz seien "Checkpoints" vorgesehen, der letzte wäre 2022 fällig gewesen. Dabei solle geprüft werden, ob die Energiesicherheit gewährleistet ist, ob die Energie bezahlbar ist und wie weit die Strukturentwicklung vorangekommen ist. Nur beim letzten Punkt sieht Woidke Fortschritte.
Beim Thema Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit "höre ich so gut wie gar nichts", sagt der SPD-Ministerpräsident. Er vermisse klare Aussagen und fordere, dass mit den Beschäftigten vor Ort und der Region geredet werde. Immerhin habe es Anfang 2019 mit der Kohlekommission einen gesamtgesellschaftlichen Konsens gegeben. Der werde jetzt infrage gestellt, ohne dass es einen neuen Konsens gebe. Nach einfachen Gesprächen zwischen dem grün geführten Bundesklima-Ministerium und der Brandenburger Landesregierung sieht das nicht aus.
"Spurwechsel" für Geflüchtete
Die grüne Vizeministerpräsidentin Ursula Nonnemacher sagt auf der Pressekonferenz in Forst lieber nichts zum Thema. Für sie ist etwas anderes gerade wichtig. Denn beim Thema Geflüchtete gab es in der Kenia-Koalition Reibungen. Der Forster CDU-Landrat war der erste, mit dem das Kabinett jetzt über den Konsens der drei Koalitionsparteien intensiver reden konnte. Am Mittwoch soll es auf einer Landrätekonferenz konkreter werden.
Nonnemacher lobt die Forster Wohnungsbaugesellschaft, die Flüchtlinge mit dezentralen Wohnungsangeboten zu integrieren versucht. Innenminister Michael Stübgen (CDU) spricht über ein neues "Duldungsmanagement". 15 bis 20 Prozent der Geflüchteten haben erfahrungsgemäß keine rechtliche Chance, länger in Deutschland zu bleiben. Solche Asylbewerber sollen zukünftig länger in Landeseinrichtungen bleiben. Ein "Spurwechsel" sei zwar möglich, mit Sprachkursen und Integrationsanstrengungen könne man in den Arbeitsmarkt kommen. Aber wer sich nicht integriere, der werde "zurückgeführt".
Nonnemacher setzt auf den Spurwechsel, obwohl sie auch klar vor Augen hat, woran der scheitern könnte. Es gibt zu wenig Sprachunterricht. Die Standards für Lehrkräfte, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten, sollten gesenkt werden, damit es mehr Angebote geben kann.
Tierseuche noch südlich der A 15
Fast am Rande kommen dann noch drei Buchstaben auf den Tisch: ASP. Die Afrikanische Schweinepest macht dem Landkreis zu schaffen. Das Land hat 93 Millionen Euro für die Bekämpfung ausgegeben, aber die Lage bleibt angespannt.
Zwar konnte man die Tierseuche bisher noch südlich der Bundesautobahn A 15 halten, aber der Infektionsdruck aus dem Osten und Süden sei hoch. Anders als in den Landkreisen Dahme-Spreewald und Oder-Spree, wo schon seit Wochen keine neuen Fälle mehr eingetreten seien, gebe es in Spree-Neiße immer neue Fälle.
Ursula Nonnemacher sagt, sie wünsche sich, dass die strengen Brandenburger Konzepte mit Abriegelung und Sperrzonen bundesweit mehr gewürdigt werden. "Man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen, dass wir diejenigen sind, die diese Tierseuche für die ganze Bundesrepublik und ganz Westeuropa aufhalten", so die Verbraucherschutzministerin.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 29.03.23, 19:30 Uhr