Geflüchtete - Brandenburger Koalition streitet um Migration
In der Brandenburger Kenia-Koalition laufen die Vorstellungen über Migration und Zuwanderung auseinander. Die grünen Integrationsministerin stellt gute Beispiele für Integration ins Rampenlicht. Die CDU spricht von Schönfärberei. Von Thomas Bittner
- Flüchtlingsaufnahme in Brandenburger Kommunen liegt unter der Prognose
- CDU-Landeschef will Sachleistungsprinzip in der Erstaufnahme auch auf Kommunen ausweiten
- Integrationsministerin lehnt das ab
Sommerzeit ist für Politiker auch die Zeit der Sommertouren. Im Parlament warten keine Termine, da gibt es Gelegenheit, sich im Land umzuschauen. Je nach politischer Ausrichtung lassen sich Ministerinnen oder Fraktionschefs bei Projekten und Initiativen, in Behörden und Ämtern blicken. So machen es auch die Protagonisten der Kenia-Koalition in Brandenburg.
Während die grüne Integrationsministerin Ursula Nonnemacher in diesen Wochen bei Willkommensinitiativen, in Gemeinschaftsunterkünften und bei Integrationsprojekten vorbeischaut, kündigt CDU-Fraktions- und Landeschef Jan Redmann eine Reise an die bayerisch-österreichische Grenze an, um sich über stationäre Grenzkontrollen zu informieren.
Unterschiedlichere Signale kann man kaum setzen. Migration und Zuwanderung werden auch in der Kenia-Koalition zur Belastungsprobe.
"Das, was gut läuft, ist nie eine Nachricht. Da müssen wir ein bisschen gegenhalten", sagt Ursula Nonnemacher, die Vize-Ministerpräsidentin der Grünen. Am Donnerstag besuchte sie unter anderem das kommunale Integrationszentrum in Frankfurt (Oder). "Mich besorgt das sehr, dass langsam so ein Klima entsteht, als hätten wir es hier nur mit Problemfällen zu tun, als würden hier nur kriminelle Messerstecher durch die Gegend laufen. Ich kenne Tausende Beispiele, wo wir sagen können: Da ist Integration supergut gelungen."
CDU gegen „Schönfärberei“
Der CDU-Landesvorsitzende Redmann hält dagegen. "Ich würde mir auch bei den Grünen wünschen, dass sie sich stärker mit den real existierenden Problemen im Bereich der Migration auseinandersetzen", sagt er. "Eine Schönfärberei hilft am Ende niemandem weiter, weil die Menschen vor Ort feststellen, dass es die Probleme gibt. Darauf muss Politik antworten.“
Integration brauche auch Ressourcen. Und wenn diese Ressourcen erschöpft seien, könne auch Integration nicht erfolgreich sein, so Redmann. Er verweist auf fehlende Kita-Plätze, die begrenzten Aufnahmekapazitäten an Schulen und die immer schwierigere Suche nach Unterkünften.
Er wünsche sich eine Steuerung und eine Reduzierung der Migration von Menschen, die eigentlich kein Recht haben, nach Brandenburg zu kommen, sagt Redmann. Er wolle stärker differenzieren zwischen denen, die Hilfe brauchen, und denen, die sie nicht brauchen.
"Brandenburg braucht Zuwanderung, Brandenburg braucht Menschen für den Arbeitsmarkt", sagt Ursula Nonnemacher. Es sei kontraproduktiv, wenn man nach Pakistan abschiebe und in Usbekistan Anwerbeversuche mache. Man müsse sich diejenigen anschauen, die schon hier seien, und denen Angebote machen.
Migranten bleiben länger in der Erstaufnahmeeinrichtung
Die Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen hat sich zu einem Kompromiss durchgerungen, den Jan Redmann als beispielhaft für ganz Deutschland bezeichnet. Seit 1. Juli werden Migranten ohne sichere Bleibeperspektive in Brandenburg nicht auf die Kommunen verteilt, sondern bleiben bis zu 18 Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung, die meisten in Eisenhüttenstadt. Dort gilt das Sachleistungsprinzip.
Für Redmann hat das einen doppelten Effekt: Die Kommunen würden entlastet, weil Migranten ohne große Chancen auf ein erfolgreiches Verfahren gar nicht erst auf Städte und Gemeinden verteilt würden. Und der Anreiz für Migranten, wegen des hohen Absicherungsstandards nach Deutschland zu kommen, werde gesenkt.
Die Regelung dauert länger als die laufende Wahlperiode. Insofern hat sich die Koalition ein bisschen Luft verschafft. Aber weil unklar ist, wie es danach weitergehen soll, wird Migration wahrscheinlich im Jahr 2024 zu einem der wichtigsten Themen für den Landtags-Wahlkampf.
Der Streitpunkt "Sachleistungsprinzip"
Schon jetzt beginnt der Parteienstreit. Die Linke hat Jan Redmann vorgeworfen zu lügen, als er behauptete, in Brandenburg bekämen Menschen ohne sichere Bleibeperspektive nur noch Sachleistungen. Denn, anders als von ihm auf Instagram behauptet, gibt es auch in der Erstaufnahme neben den Sachleistungen für Unterkunft, Bekleidung und Essen ein Taschengeld für den persönlichen Bedarf, für Tickets, Telefonkarten oder Zigaretten.
Redmann sagt, es gehe ihm um das Prinzip, das er sich durchaus auch für die Kommunen vorstellen könne. Er sieht das vor allem für die Menschen in Gemeinschaftsunterkünften.
"Alle Kommunen haben dem Sachleistungsprinzip den Rücken gekehrt", sagt die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Andrea Johlige. Und sie taten das "nicht nur, weil es die Menschenwürde mit Füßen tritt, sondern auch, weil es für die Kommunen einen riesigen bürokratischen Aufwand bedeutet", so Johlige.
Auch Ministerin Nonnemacher kontert und verweist auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. "Das war damals ganz klar die Botschaft: Ihr könnt nicht künstlich die Sätze niedrig halten, damit es vielleicht nicht attraktiv ist, nach Deutschland zu kommen. Das ist mit der Würde des Menschen nicht vereinbar."
Nonnemacher sagt, für sie sei die Vorstellung unerträglich, dass Menschen über das wenige Geld, das ihnen zusteht, nicht frei verfügen könnten. Einen Gutschein im Laden auf den Tisch legen zu müssen, "das ist diskriminierend, schikanös. Und ich lehne es auf jeden Fall ab."
6.605 Geflüchtete verteilt
Auf rbb-Anfrage teilt das Innenministerium mit, dass im ersten Halbjahr 2023 bisher 6.605 Personen von der Zentralen Ausländerbehörde an die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt wurden. Die meisten Menschen, die in die Erstaufnahme nach Brandenburg kamen, waren aus Syrien, der Ukraine und Afghanistan. Das sind Länder mit einer sehr hohen Anerkennungsquote als Geflüchtete oder Asylbewerber. Die Bleibeperspektive dürfte hoch sein.
Die aktuellen Zahlen liegen unter dem Aufnahmesoll von knapp 26.000 Menschen, die im Gesamtjahr auf die Kommunen verteilt werden sollten. Ist die aktuelle Debatte eher ein populistischer Schlagabtausch?
Redmann will das nicht gelten lassen: "Wenn jetzt auch die Zahlen etwas niedriger liegen, als im Aufnahmesoll Anfang des Jahres prognostiziert, sind sie immer noch so hoch, dass die Sozialbeigeordneten in den Landkreisen große Probleme haben, Unterkünfte zu finden.
Verharren in der "Vergeblichkeitsschleife"
In Bürgerversammlungen müssten sich die Mitarbeiter darum beschimpfen lassen und die Frage beantworten, wie man die Unterbringung der Kinder in den Kitas und Schulen hinbekomme, so Redmann. Es sei einfach nicht wahr, dass es auf der Ebene der Kommunen eine Entspannung gebe.
Für Nonnemacher ist das ein Verharren in der "Vergeblichkeitsschleife". Man könne ja sagen, was alles nicht gehe. Sie aber wolle Stück für Stück an Verbesserungen arbeiten. "Warum sprechen in den Ausländerämtern so wenige Menschen Englisch? Wie können wir die Kultursensibilität auch in unseren Landes- und Kommunalbehörden steigern? Warum mangelt es an Sprachlehrerinnen und -lehrern? Sind die Anforderungen auch da zu hoch?"
Antworten auf diese Fragen sind der Integrationsministerin auf ihrer Tour wichtig. Auf die Frage, wie die Regierungsparteien zusammenarbeiten, antwortet Ursula Nonnemacher ausweichend. "Diese Koalition arbeitet bei Sachthemen gut zusammen. Und jeder muss wissen, was er für Themen ins Schaufenster stellt."
Sendung: rbb 24 Inforadio, 20.7.2023, 17:10 Uhr