Geflüchtete - Brandenburger Koalition streitet um Migration

Do 20.07.23 | 20:56 Uhr | Von Thomas Bittner
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Ein hoher Zaun umgibt die Erstaufnahme-Einrichtungen (EAE) des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt. (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Audio: rbb24 Inforadio | 20.07.2023 | Amelie Ernst | Bild: dpa/Patrick Pleul

In der Brandenburger Kenia-Koalition laufen die Vorstellungen über Migration und Zuwanderung auseinander. Die grünen Integrationsministerin stellt gute Beispiele für Integration ins Rampenlicht. Die CDU spricht von Schönfärberei. Von Thomas Bittner

  • Flüchtlingsaufnahme in Brandenburger Kommunen liegt unter der Prognose
  • CDU-Landeschef will Sachleistungsprinzip in der Erstaufnahme auch auf Kommunen ausweiten
  • Integrationsministerin lehnt das ab

Sommerzeit ist für Politiker auch die Zeit der Sommertouren. Im Parlament warten keine Termine, da gibt es Gelegenheit, sich im Land umzuschauen. Je nach politischer Ausrichtung lassen sich Ministerinnen oder Fraktionschefs bei Projekten und Initiativen, in Behörden und Ämtern blicken. So machen es auch die Protagonisten der Kenia-Koalition in Brandenburg.

Während die grüne Integrationsministerin Ursula Nonnemacher in diesen Wochen bei Willkommensinitiativen, in Gemeinschaftsunterkünften und bei Integrationsprojekten vorbeischaut, kündigt CDU-Fraktions- und Landeschef Jan Redmann eine Reise an die bayerisch-österreichische Grenze an, um sich über stationäre Grenzkontrollen zu informieren.

Unterschiedlichere Signale kann man kaum setzen. Migration und Zuwanderung werden auch in der Kenia-Koalition zur Belastungsprobe.

Mich besorgt das sehr, dass langsam so ein Klima entsteht, als hätten wir es hier nur mit Problemfällen zu tun, als würden hier nur kriminelle Messerstecher durch die Gegend laufen.

Ursula Nonnemacher

"Das, was gut läuft, ist nie eine Nachricht. Da müssen wir ein bisschen gegenhalten", sagt Ursula Nonnemacher, die Vize-Ministerpräsidentin der Grünen. Am Donnerstag besuchte sie unter anderem das kommunale Integrationszentrum in Frankfurt (Oder). "Mich besorgt das sehr, dass langsam so ein Klima entsteht, als hätten wir es hier nur mit Problemfällen zu tun, als würden hier nur kriminelle Messerstecher durch die Gegend laufen. Ich kenne Tausende Beispiele, wo wir sagen können: Da ist Integration supergut gelungen."

CDU gegen „Schönfärberei“

Der CDU-Landesvorsitzende Redmann hält dagegen. "Ich würde mir auch bei den Grünen wünschen, dass sie sich stärker mit den real existierenden Problemen im Bereich der Migration auseinandersetzen", sagt er. "Eine Schönfärberei hilft am Ende niemandem weiter, weil die Menschen vor Ort feststellen, dass es die Probleme gibt. Darauf muss Politik antworten.“

Integration brauche auch Ressourcen. Und wenn diese Ressourcen erschöpft seien, könne auch Integration nicht erfolgreich sein, so Redmann. Er verweist auf fehlende Kita-Plätze, die begrenzten Aufnahmekapazitäten an Schulen und die immer schwierigere Suche nach Unterkünften.

Er wünsche sich eine Steuerung und eine Reduzierung der Migration von Menschen, die eigentlich kein Recht haben, nach Brandenburg zu kommen, sagt Redmann. Er wolle stärker differenzieren zwischen denen, die Hilfe brauchen, und denen, die sie nicht brauchen.

"Brandenburg braucht Zuwanderung, Brandenburg braucht Menschen für den Arbeitsmarkt", sagt Ursula Nonnemacher. Es sei kontraproduktiv, wenn man nach Pakistan abschiebe und in Usbekistan Anwerbeversuche mache. Man müsse sich diejenigen anschauen, die schon hier seien, und denen Angebote machen.

Migranten bleiben länger in der Erstaufnahmeeinrichtung

Die Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen hat sich zu einem Kompromiss durchgerungen, den Jan Redmann als beispielhaft für ganz Deutschland bezeichnet. Seit 1. Juli werden Migranten ohne sichere Bleibeperspektive in Brandenburg nicht auf die Kommunen verteilt, sondern bleiben bis zu 18 Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung, die meisten in Eisenhüttenstadt. Dort gilt das Sachleistungsprinzip.

Für Redmann hat das einen doppelten Effekt: Die Kommunen würden entlastet, weil Migranten ohne große Chancen auf ein erfolgreiches Verfahren gar nicht erst auf Städte und Gemeinden verteilt würden. Und der Anreiz für Migranten, wegen des hohen Absicherungsstandards nach Deutschland zu kommen, werde gesenkt.

Die Regelung dauert länger als die laufende Wahlperiode. Insofern hat sich die Koalition ein bisschen Luft verschafft. Aber weil unklar ist, wie es danach weitergehen soll, wird Migration wahrscheinlich im Jahr 2024 zu einem der wichtigsten Themen für den Landtags-Wahlkampf.

Der Streitpunkt "Sachleistungsprinzip"

Schon jetzt beginnt der Parteienstreit. Die Linke hat Jan Redmann vorgeworfen zu lügen, als er behauptete, in Brandenburg bekämen Menschen ohne sichere Bleibeperspektive nur noch Sachleistungen. Denn, anders als von ihm auf Instagram behauptet, gibt es auch in der Erstaufnahme neben den Sachleistungen für Unterkunft, Bekleidung und Essen ein Taschengeld für den persönlichen Bedarf, für Tickets, Telefonkarten oder Zigaretten.

Redmann sagt, es gehe ihm um das Prinzip, das er sich durchaus auch für die Kommunen vorstellen könne. Er sieht das vor allem für die Menschen in Gemeinschaftsunterkünften.

"Alle Kommunen haben dem Sachleistungsprinzip den Rücken gekehrt", sagt die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Andrea Johlige. Und sie taten das "nicht nur, weil es die Menschenwürde mit Füßen tritt, sondern auch, weil es für die Kommunen einen riesigen bürokratischen Aufwand bedeutet", so Johlige.

Ich würde mir auch bei den Grünen wünschen, dass sie sich stärker mit den real existierenden Problemen im Bereich der Migration auseinandersetzen. Eine Schönfärberei hilft am Ende niemandem

Jan Redmann

Auch Ministerin Nonnemacher kontert und verweist auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. "Das war damals ganz klar die Botschaft: Ihr könnt nicht künstlich die Sätze niedrig halten, damit es vielleicht nicht attraktiv ist, nach Deutschland zu kommen. Das ist mit der Würde des Menschen nicht vereinbar."

Nonnemacher sagt, für sie sei die Vorstellung unerträglich, dass Menschen über das wenige Geld, das ihnen zusteht, nicht frei verfügen könnten. Einen Gutschein im Laden auf den Tisch legen zu müssen, "das ist diskriminierend, schikanös. Und ich lehne es auf jeden Fall ab."

6.605 Geflüchtete verteilt

Auf rbb-Anfrage teilt das Innenministerium mit, dass im ersten Halbjahr 2023 bisher 6.605 Personen von der Zentralen Ausländerbehörde an die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt wurden. Die meisten Menschen, die in die Erstaufnahme nach Brandenburg kamen, waren aus Syrien, der Ukraine und Afghanistan. Das sind Länder mit einer sehr hohen Anerkennungsquote als Geflüchtete oder Asylbewerber. Die Bleibeperspektive dürfte hoch sein.

Die aktuellen Zahlen liegen unter dem Aufnahmesoll von knapp 26.000 Menschen, die im Gesamtjahr auf die Kommunen verteilt werden sollten. Ist die aktuelle Debatte eher ein populistischer Schlagabtausch?

Redmann will das nicht gelten lassen: "Wenn jetzt auch die Zahlen etwas niedriger liegen, als im Aufnahmesoll Anfang des Jahres prognostiziert, sind sie immer noch so hoch, dass die Sozialbeigeordneten in den Landkreisen große Probleme haben, Unterkünfte zu finden.

Verharren in der "Vergeblichkeitsschleife"

In Bürgerversammlungen müssten sich die Mitarbeiter darum beschimpfen lassen und die Frage beantworten, wie man die Unterbringung der Kinder in den Kitas und Schulen hinbekomme, so Redmann. Es sei einfach nicht wahr, dass es auf der Ebene der Kommunen eine Entspannung gebe.

Für Nonnemacher ist das ein Verharren in der "Vergeblichkeitsschleife". Man könne ja sagen, was alles nicht gehe. Sie aber wolle Stück für Stück an Verbesserungen arbeiten. "Warum sprechen in den Ausländerämtern so wenige Menschen Englisch? Wie können wir die Kultursensibilität auch in unseren Landes- und Kommunalbehörden steigern? Warum mangelt es an Sprachlehrerinnen und -lehrern? Sind die Anforderungen auch da zu hoch?"

Antworten auf diese Fragen sind der Integrationsministerin auf ihrer Tour wichtig. Auf die Frage, wie die Regierungsparteien zusammenarbeiten, antwortet Ursula Nonnemacher ausweichend. "Diese Koalition arbeitet bei Sachthemen gut zusammen. Und jeder muss wissen, was er für Themen ins Schaufenster stellt."

Sendung: rbb 24 Inforadio, 20.7.2023, 17:10 Uhr

Beitrag von Thomas Bittner

11 Kommentare

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  1. 11.

    "BB braucht Menschen für den Arbeitsmarkt (also Zuwanderung)" Eigentlich geht es per se in der Wirtschaft und auch beim Staat nicht einfach um mehr Menschen für den Arbeitsmarkt, sondern um Wertschöpfung - i.e. wenn es nur Arbeitsplätze ohne solide Wertschöpfung sind (oder gar nur Zuwanderung in die Sozialsysteme) bringt das wirtschaftlich gar nichts, ist eher sogar kontraproduktiv.

  2. 10.

    "Sowohl die Brandenburger Regierung als auch die Ampel Regierung tun nichts gegen die Illegale Migration." Das ist für ein Binnenland der EU eigentlich auch nicht notwendig, da das über die Sicherung der Außengrenzen abgedeckt werden sollte und durch sichere Drittstaaten sollte keiner hier z.Bsp. Asyl mehr erhalten. Innerhalb der EU besteht Freizügigkeit, das wollte die Mehrheit so und es bringt ja auch Vorteile.

  3. 9.

    Andererseits hieß auch mal von den Arbeitsagenturen, daß viele Migranten (ich weiß, sehr undifferenzierter großer Sammeltopf für alles) gar nicht auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar sind.

  4. 8.

    Ah so, es geht, wie immer, um DIE WIRTSCHAFT? "BB braucht Menschen für den Arbeitsmarkt (also Zuwanderung)"

    Wie bekommen das geschafft, wir wollen das. Nein, wir brauchen das.

  5. 7.

    Du, Ursula, warum wird eigentlich seitens der Behörden und "Obrigkeit" nurmehr geduzt? "[Ursula] verweist auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das war damals ganz klar die Botschaft: Ihr könnt nicht künstlich die Sätze niedrig halten …"

    Macht der Olaf auch so, "Wir sagen euch …", "der Gesetzgeber sagt, du darfst das nicht" usw.
    Um dann im Interview aber zu Siezen.

    Ist das hilfreich? Ruft das in den Bürgern eher Ablehnung oder Familiengefühle hervor?


  6. 6.

    Nein, die Einkommenslage für "Sprach- und Integrations-Fachkräfte" ist prekär, dabei sind das zumeist Menschen mit Studienabschluss. Es muss aber generell, mit jedem Abschluss, ein gutes abgesichertes Leben möglich sein. Ohne Dauerbefristungen, Einkommensdumping, Bedrohungen. Festangestellt, mit Perspektiven. Aber hier haben wir zumeist "Soloselbständige", da kaum angestellt wird. So ist es im gesamten Kulturbereich. Rausgekündigt, man kann ja als "freischaffend" wiederkommen, nur dann eben ohne soziale Absicherung. Danke, Politiker*innen.

    Frau N.: "Warum mangelt es an Sprachlehrerinnen und -lehrern? Sind die Anforderungen auch da zu hoch?"

  7. 5.

    Sowohl die Brandenburger Regierung als auch die Ampel Regierung tun nichts gegen die Illegale Migration. Die Zahl der unerlaubter Einreisen steigt nach einem Bericht der WELT im ersten Halbjahr um über 50 Prozent.

  8. 4.

    Ich kann ihrem Kommentar nur zustimmen und möchte ihn noch erweitern.

    Ich glaube es würde der Integration und der Akzeptanz in der Bevölkerung helfen wenn die Zugewandert auch in der Phase der Aufenthaltsbestimmung bereits arbeiten dürften. Das würde zum Einen die staatlichen Kassen entlasten und zum Anderen durch direkten Kontakt die Integration erleichtern.

    Derzeitig ist dieser Personenkreis zum Nichtstun verdammt. Die große Mehrheit der Zugewanderten möchte aber arbeiten.

  9. 3.

    Es klemmt auch bei der Integration. Wenn selbst Ukrainer trotz der für sie vereinfachten Regeln 6 Monate auf einen Deutschkurs warten müssen, stehen sie auch mit 6 Monaten Verspätung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Bei Herkunft aus anderen Ländern dauert es noch länger und es ist noch schwieriger. Je länger Flüchtlinge mit Sozialleistungen "ruhig" gestellt werden, je mehr geht die Motivation verloren. Man gewöhnt sich daran. Arbeitswillige werden immer wieder behindert und abgeschoben.

  10. 2.

    Das ist in der Tat schwer nachzuvollziehen, weil mehrere Ämter und viele Gesetze hier eingreifen.
    Die Prüfung des Aufenthaltsstatus dauert. Während dessen dürfen diese Menschen nicht arbeiten und bekommen auch nur sehr schmale Sprach- und Bildungsangebote. Das Meiste in dieser Zeit wird von ehrenamtlichen Organisationen geleistet. Erst nach der Klärung des Aufenthaltsstatusses gehts richtig weiter mit "staatlichen" (Landkreis, Bundesland, Bund) Angeboten. Das dauert bis zu 2 Jahre! Viel zu lange. In diesen 2 Jahren sind gerade Kinder und Jugendliche unter entsprechendem Umfeld schon in den Kindergarten, Schule oder andere Betreuungen oder Bildungen integriert. Bei Kindern und Jugendlichen geht das mit der mentalen Eingliederung in eine andere Sprache und Kultur wesentlich schneller. Wesentlich ist eine sehr schnelle Prüfung des Aufenthaltsstatusses oder eben nicht! 2 Jahre oder länger ist nicht human, wenns dann wieder zurück gehen muss.

  11. 1.

    Man spart seit Jahren im Bildungs- und Sozialbereich, benötigt aber "Ressourcen" für Integration. Man kämpft mit dem demographischen Wandel, möchte aber junge Menschen, die hier bleiben wollen, am Liebsten wieder ins Flugzeug setzen.
    Dass nenn' ich Logik...

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