Interview | Undercover bei der "Letzten Generation" - "Die Art der Proteste wird nicht diskutiert"
Die Proteste der "Letzten Generation" scheinen minutiös geplant und vorbereitet. Die Journalistin Maria-Christina Nimmerfroh wollte das prüfen und schleuste sich selbst für eine Schulung ein - und erlebte eine straffe Organisation ohne viel Widerspruch.
rbb: Frau Nimmerfroh, Sie haben sich bei der "Letzten Generation" eingeschlichen und es war offenbar nicht so spektakulär wie erwartet?
Maria-Christina Nimmerfroh: Eingeschlichen hört sich immer etwas spektakulärer an als es das möglicherweise ist. In der psychologischen Forschung ist das eine sogenannte verdeckte Beobachtung im Feld. Ich habe mich unter falschem Namen zu einem Protest-Training angemeldet und dann ganz normal daran teilgenommen, natürlich mit einer etwas erfundenen Identität, um auch mein Interesse deutlich zu machen und um nicht mit meinem außergewöhnlichen Nachnamen sofort als Psychologin erkennbar zu sein.
Was haben Sie mitgenommen?
Ich habe sehr viel darüber gelernt, wie man in Belastungssituationen mit Polizei und Gewahrsam umgeht. Das steht sehr schnell im Fokus dieser Protest-Trainings. Die Art der Proteste wird nicht diskutiert, sondern es geht sehr schnell um die Form - nämlich die Blockade: Verhalten auf der Straße, Verhalten gegenüber Autofahrern, Verhalten gegenüber der Polizei. Es geht um sehr viele rechtliche Momente, dreht sich also tatsächlich recht schnell um alles, was mit Strafen und den Folgen zu tun hat.
Dass die Aktivisten also auch in dramatischen Situationen auf den Berliner Straßen immer freundlich und zurückgenommen agieren, ist Ergebnis dieser Trainings?
Ja, das ist das Ergebnis von sehr guter Schulung der Aktivistinnen und Aktivisten, die darauf abzielt, die Straße zur Bühne zu machen. Das, was dort dargestellt werden soll, ist minutiös geplant - bis hin zu der Frage, welche Schuhe zu tragen sind, ob man das Handy zwischendurch benutzen darf oder auch die Verfügbarkeit von Windeln für diejenigen, die dort kleben.
Situationen mit der Polizei oder auch Autofahrern werden vorher geübt: in Rollenspielen, mit Imaginationsverfahren und auch mit Entspannungstechniken, die man auf der Straße anwenden kann. Es ist also eine extrem professionelle Vorbereitung auf diese extremen Situationen, in denen die Aktivisten ja auch damit rechnen, dass ein Auto direkt auf sie zusteuert.
Sind die, die Aktionen leiten und organisieren, eigentlich auch später auf der Straße dabei?
Ja, die sind später auch auf der Straße. Allerdings nicht zur selben Zeit, damit die Organisation auch weiter handlungsfähig bleibt und nicht alle gleichzeitig in Gewahrsam genommen werden. Die Leitungsebene besteht aus sechs Personen, die namentlich bekannt sind. Sie befinden sich vor Ort und sind auch der strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt.
Ich habe aber eine große Kluft erlebt zwischen denen, die bestimmen und denen, die diese strategischen Überlegungen ausführen. Es gibt beispielsweise keinerlei partizipative Strukturen.
Es gibt immer wieder Vermutungen, dass die Aktionen gelenkt werden, auch aus dem Ausland. Stimmt das?
Das, was wir an Mobilisierungsstrategien, Öffentlichkeitsarbeit und Umgang mit den staatlichen Maßnahmen erleben, kommt tatsächlich aus dem Ausland. Es gibt weltweite Handbücher zum Umgang, auch dazu, wie etwa Straßenblockaden zu organisieren sind.
Da gibt es einen sehr großen Einfluss aus Großbritannien, wo ja auch die Gründer von Extinction Rebellion sitzen. Gerade diese Gruppe, zusammen mit dem Climate Emergency Fund aus den USA, hat am Anfang sowohl durch Geld als auch durch strategische Vorarbeit von außen gelenkt.
Und die so genannte Basis, also die Ausführenden, sind die sich sehr ähnlich oder total unterschiedlich?
Es handelt sich nach meiner Beobachtung um eine ideologisch eher homogene Gruppe, und die Gruppe hat ihre Stärke durch diese extreme Geschlossenheit nach außen. Wir erleben keine Flügelkämpfe oder Aussteiger, die sich äußern, das ist sehr selten. Das heißt, die Menschen, die bei der "Letzten Generation" sind, sind offenbar mit allem einverstanden, was dort passiert, und sie machen das auch mit. Insgesamt ist die Gruppe nach meiner Beobachtung wenig divers: Viele haben einen klassischen bürgerlichen Hintergrund.
Was denken Sie, würden die Proteste aufhören, wenn beispielsweise das Tempolimit umgesetzt würde?
Davon gehe ich nicht aus. Die Richtung ist eine Veränderung der Politik und am besten auch Veränderung der politischen Entscheidungsprozesse. Das wäre eine Infragestellung der demokratischen Prozesse, die wir kennen.
Die "Letzte Generation" will ganz offensichtlich durchsetzen, dass der Klimaschutz das wichtigste Kriterium ist, nach dem man entscheidet. Soziale Kriterien spielen auch eine Rolle, aber das Zusammenspiel, also die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse in Diskussion und Partizipation, sind für sie nach meiner Beobachtung kein Thema.
Stattdessen geht es um Verbote wie etwa für SUVs oder Flüge?
Flughäfen sollten aus Sicht der "Letzten Generation" auf jeden Fall geschlossen werden, und in den aktuellen Strategiepapieren heißt es auch, dass der Bundeskanzler unterbinden soll, dass weiter Flugbegleiter und Piloten ausgebildet werden, weil diese Berufe in Zukunft nicht mehr gebraucht werden.
Ich glaube, an diesem Beispiel kann man sehen, dass einige Vorstellungen ein bisschen naiv sind. Andere würden sie vielleicht als visionär bezeichnen. Politisch ausgefeilt sind sie jedenfalls nicht, und auch den Protestformen wird deswegen teils fehlende Plausibilität vorgeworfen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ingo Hoppe für rbb 88.8. Es handelt sich hierbei um eine gekürzte und redigierte Fassung des gesamten Gesprächs.
Sendung: rbb 88.8, 16.10.2023, 17:10 Uhr
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