Interview mit palästinensischer Berlinerin - "Wenn ich mich vorstelle, sagen die Menschen jetzt 'Oh. Palästinenserin. Schwierig'"
Schlechte Nachrichten aus Nahost sei sie als in Berlin lebende Palästinenserin gewöhnt, sagt Nasreen Mousa. Doch jetzt habe die Situation eine neue Dimension erreicht. Die Studentin wünscht sich Aufmerksamkeit für die Not der Palästinenser und Frieden für beide Seiten.
rbb|24: Guten Tag, Frau Mousa. Ihre Eltern stammen aus dem Westjordanland, Sie selbst sind in Jordanien geboren. Noch als Baby kamen Sie nach Berlin und wuchsen hier auf. Sind Sie in erster Linie Berlinerin, Palästinenserin? Oder beides?
Nasreen Mousa*: Es ist für mich selbst wirklich schwierig, mich einer Heimat zuzuordnen. Denn meine palästinensische Identität ist mit sehr viel Schmerz verbunden. Und in Deutschland habe ich oft auch das Gefühl, nicht dazuzugehören - durch rassistische Vorfälle und auch Geschehnisse wie den Anschlag in Hanau. Dennoch beschreibt mich der Begriff "Berlinerin" am ehesten. Denn Berlin steht ja auch für das Bunte, Multikulturelle und jeder kann sein, wer immer er sein möchte. Und hier bin ich ja auch schon quasi mein ganzes Leben.
Wie oft besuchen Sie das Westjordanland – und waren Sie jemals in Gaza?
Ich war noch nie in Gaza, obwohl ich Familienmitglieder dort habe. Auch das Westjordanland besuche ich gar nicht. Denn durch meine palästinensische Identität habe ich eine Art Sonder-Flüchtlingsstatus und meine Staatsangehörigkeit ist ungeklärt. Ich darf Deutschland gar nicht verlassen. Zudem ist die Einreise ins Westjordanland über Israel unfassbar schwierig und fast schon unmöglich für Palästinenser.
Das heißt, Sie haben Deutschland, seit Sie hier sind, noch nie verlassen?
Genau, denn mein Pass ist nicht visierbar. Das wird sich voraussichtlich in den nächsten Jahren auch nicht ändern. Im Gegenteil, dieser Status wird sogar weitervererbt.
Inwiefern hat sich Ihr Leben in Berlin seit dem 7. Oktober, als die Hamas Israel angegriffen hat, verändert?
Mein Leben ist sehr viel schwieriger geworden. Ich hatte schon immer eine Art Identitätskrise. Aber mein Gefühl ist, dass viele Menschen erst jetzt diesen Konflikt auf dem Schirm haben. Und wenn ich mich jetzt irgendwo vorstelle und sage, wo ich herkomme, also sage, dass ich Palästinenserin bin, dann sehe ich in den Gesichtern der Menschen eine Veränderung. Ich sehe Empörung. Manche ziehen ihre Augenbrauen hoch, viele fangen an, mir gegenüber vorsichtiger zu sein. Und ich werde sehr oft direkt gefragt, ob ich mich denn von der Hamas distanziere. Manche sagen auch "Es tut mir sehr leid" und meinen damit die Situation vor Ort. Oft passiert es jetzt auch, dass ich mich vorstelle und die Menschen sagen, "Oh, Palästinenserin. Schwierig".
Wie war das, am 7. Oktober zu erfahren, was passiert ist?
Es war schrecklich. In gewisser Weise kenne ich das ja schon mein Leben lang. Doch jetzt hat es eine ganz andere Dimension und es war viel schlimmer. Aber grundsätzlich kenne ich das, dass wir Nachrichten aus dem Westjordanland oder Gaza bekommen von unserer Familie und jemand schreibt, dass irgendetwas Schlimmes passiert ist.
Wir, meine Familie und ich, waren direkt in der Krise. Ein paar Tage nach dem 7. Oktober gab es dann ein paar Tage, wo wir keinen Kontakt mehr mit unseren Familienmitgliedern aus Gaza hatten. Wir wussten in dieser Zeit nicht, ob sie leben, ob sie gestorben sind oder ob sie geflohen sind. Da waren wir wie betäubt.
Wie hält man das aus – die vielen schlechten Nachrichten?
Wir haben uns erst einmal entschieden, keine Nachrichten mehr zu schauen. Trotzdem werden wir ja ununterbrochen damit konfrontiert. Schon allein, weil wir ja auch angesprochen werden und Menschen nachfragen. Man kann dem Thema nicht entfliehen.
Ich mache trotzdem gerade eine Social-Media-Pause. Ich gehe viel raus, lese Romane, male. Und ich spiele Gesellschaftsspiele mit meiner Familie. Mir hilft auch das Zusammensein mit unserer Community. Da tauschen wir uns aus und können auch über den Schmerz sprechen. Wir haben das Gefühl, Menschen außerhalb unserer Community können unseren Schmerz nicht verstehen.
Denn im Moment können Palästinenser nicht existieren, ohne dass ihre Existenz politisch gemacht wird. Ein Beispiel: Nun bin ich eine Palästinenserin, die gerne malt. Dabei bin ich ein Mensch, der gerne malt. Ich werde in eine Rolle manövriert, in der ich eine potenzielle Hamas-Unterstützerin bin, die malt. Oder in der ich eine malende potenzielle Israel-Kritikerin bin. Ich kann nicht mehr einfach als Mensch existieren. Hier in Deutschland bin ich nicht einfach ein Mensch - weil ich einen sichtlichen Migrationshintergrund habe. Und in Israel bin ich auch nicht einfach ein Mensch, weil ich eine mögliche Terrorgefahr bin. Mein Status ist überall – auch laut der Vereinten Nationen – "schwierig".
Wie positionieren Sie sich selbst in der aktuellen Situation?
Mir ist es wichtig, dass gesehen wird, dass es auf unserer Seite auch Opfer gibt. Wir sterben und wir leiden auch. Deshalb möchte ich mich mit Menschen, die zu meinem Volk gehören, solidarisieren. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir auch da sind. Wir existieren. Und wir sind nicht die Hamas. Die Hamas repräsentiert uns nicht. Deshalb ist es mir wichtig zu zeigen, dass wir da sind und zeigen, wer wir sind. Ich möchte Sichtbarkeit schaffen. Und nur, weil ich das tue, und auf die palästinensischen Opfer und unsere Situation aufmerksam mache, heißt das nicht, dass ich gleichzeitig damit gegen Israel bin. Oder dass ich will, dass auf deren Seite jemand stirbt. Es gibt doch nicht nur schwarz und weiß. Man muss doch auch für den Frieden sein können.
Gehen Sie auf Demos?
Ich bin dankbar, dass wir das Recht haben zu demonstrieren. Aber ich selbst habe Angst, auf Demonstrationen zu gehen. Ich habe Angst, dass mir etwas vorgeworfen oder in den Mund gelegt wird, was ich nie getan oder gesagt habe und was nie meine Intention war. Und ich habe auch Angst vor Polizeigewalt. Die Situation ist gerade sehr, sehr hitzig. Deshalb halte ich mich von den Demonstrationen lieber fern.
Es sind ja auch schon propalästinensische Demos verboten worden. Was halten Sie von solchen Verboten?
Das ist furchtbar. Es gibt die Menschen, die friedlich demonstrieren wollen. Das ist doch ein Mittel, um auf friedliche Art und Weise Solidarität zu zeigen – und auch der eigentliche Zweck von Demonstrationen. Sie pauschal zu verbieten, finde ich schwierig. Es wurden ja auch schon Kundgebungen verboten. Auch, dass in Berlin vereinzelt palästinensische Symbole verboten wurden, finde ich schlimm. Alles, was mit Palästina zu tun hat und Palästina repräsentiert, seien es Fahnen oder die Kufiya (Anm. d. Redaktion: das sogenannte Palästinensertuch), wird kriminalisiert. Das Palästinensisch-sein an sich wird mit der Hamas und mit Antisemitismus assoziiert. Das ist total falsch. Damit wird antipalästinensischer Rassismus immer wieder reproduziert. Das gilt auch für die Aufforderung an jeden einzelnen hier lebenden Palästinenser, sich immer wieder von der Hamas zu distanzieren. Ich trauere um vier Familienmitglieder. Und wenn ich diese Trauer irgendwo äußere, werde ich als erstes gefragt, was ich zur Hamas sage.
Mir haben Sie in diesem Gespräch mehrfach deutlich gesagt, wie Sie zur Hamas stehen. Was halten Sie von dem in Deutschland in dieser Woche erlassenen Hamas-Verbot?
Die Hamas ist eine schreckliche Terrororganisation. Alles was dazu beiträgt, sie aufzuhalten, finde ich erst einmal gut. Ich verstehe daher, dass man sie verbieten möchte. Nach allem, was ich weiß, ist es aber zu kurz gedacht. Denn die Hamas ist ein Symptom. Maßnahmen sollten meiner Meinung nach eher auf die Ursachen abzielen. Denn selbst wenn man die Hamas zerschlagen würde, würde sich unter Umständen sehr schnell eine Hamas 2.0. bilden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
*Name auf Wunsch der Gesprächspartnerin von der Redaktion geändert.
Transparenzhinweis: Nasreen Mousa* ist für den rbb als studentische Hilfskraft tätig. Sie steht in keiner Verbindung zur Redaktion rbb|24.
Sendung: rbb24 Abendschau, 03.11.2023, 19:30 Uhr