Analyse | Hikel und Böcker-Giannini werden SPD-Vorsitzende - Starkes Ergebnis, schwache Position
Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Hikel und die ehemalige Sport-Staatssekretärin Böcker-Giannini sollen die Berliner SPD in bessere Zeiten führen. Aber wie groß der Rückhalt der Parteigremien für die neue Doppelspitze ist, muss sich erst zeigen. Von Christoph Reinhardt
58 Prozent für das Gewinner-Team, 42 Prozent für die unterlegene Seite. Das sieht nach einem deutlichen Abstand aus, nach klaren Verhältnissen in der Berliner SPD. Selbst an der Wahlbeteiligung gibt es nicht viel zu meckern: Über die Hälfte der SPD-Mitglieder hat an der Befragung teilgenommen, als Mindestquorum hätten schon 20 Prozent ausgereicht. Wenn es in der Berliner SPD auf Prozentpunkte in Mitgliederbefragungen ankommen würde, könnten sich die beiden über Pfingsten feiern lassen und ab Dienstag in aller Ruhe die Ärmel hochkrempeln.
Aber das klare Votum der SPD-Basis für eine neue Doppelspitze ist nicht dasselbe wie die Neuordnung der komplizierten Machtverhältnisse, schon gar nicht der "inhaltliche, kulturelle und politische Neuanfang", den Böcker-Giannini auf der Pressekonferenz unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses beschwört. Und man hört ganz deutlich den Stress in Hikels Stimme, als er darauf pocht, "dass dieses Ergebnis sich bei allen anstehenden Entscheidungen widerspiegeln muss, sowohl in personeller Hinsicht als auch bei den inhaltlichen Entscheidungen". Was so selbstverständlich klingt, ist ausgerechnet das, worauf sich die neue Doppelspitze am wenigsten verlassen kann.
Was macht Saleh?
Noch bevor Hikel am kommenden Samstag auf dem Landesparteitag auch offiziell das Amt des Co-Landesvorsitzenden von seinem Vorgänger Raed Saleh übernehmen kann, hat dieser kurzfristig seine Wiederwahl zum Fraktionsvorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus vorgezogen. Bei der Mitgliederbefragung war Saleh zwar in der ersten Runde sang- und klanglos mit knapp 16 Prozent durchgefallen. In der Fraktion, die er seit 2011 führt, hat Saleh die Zügel aber noch fest im Griff und ganz offensichtlich nicht die Absicht, seinen Posten wegen fehlendem Rückhalt in der Parteibasis oder für einen "personellen Neuanfang" aufzugeben.
Am Dienstag dürfte er als einziger Kandidat konkurrenzlos ins Rennen gehen und durch dieses Manöver der aufkommenden Diskussion über eine Fraktions-Doppelspitze zuvorkommen, die seine Macht beschneiden würde.
Während das Siegerduo Hikel und Böcker-Giannini auch nach dem Mitgliedervotum um Salehs Affront herumeiert ("immer gesagt … im Grunde genommen richtig … durchaus sinnstiftend … Doppelspitze auch in der Fraktion"), erlaubt sich das gescheiterte Team Niroomand/Bertels offene Kritik. Die Ankündigung, die Einführung der aus einem Mann und einer Frau bestehende Doppelspitze bis 2025 zu diskutieren, ist für Bertels ein "ein bisschen langer Prozess", schon aus Gründen der Gleichstellung.
"Den Termin jetzt kurzfristig vorzuverlegen, ist genau der Stil, den viele Mitglieder in der Partei nicht mehr wollen", sagt Niroomand. Wie viel Macht die neue Doppelspitze bekommt, um mit diesem Stil tatsächlich Schluss zu machen, haben die beiden aber nicht selbst in der Hand.
Was entscheidet der Landesparteitag?
Denn während Böcker-Giannini und Hikel für Berliner SPD-Verhältnisse als konservativ-pragmatisch gelten und auch dafür das Votum der Mitglieder hinter sich wissen, ordnen sich die Delegierten auf dem für Samstag angesetzten Landesparteitag mehrheitlich der Parteilinken zu. Dass der Parteitag das Ergebnis der Mitgliederbefragung einfach überstimmen würde, gilt zwar als ausgeschlossen. Aber spätestens bei der Besetzung all der anderen Posten im Landesvorstand muss sich noch zeigen, wie viel Unterstützung die neue Doppelspitze am Ende des Tages in diesem Gremium haben wird.
Während sich der bisherige stellvertretende Vorsitzende Niroomand nach der Niederlage bei der Mitgliederbefragung offen hält, welche Rolle er im neuen Vorstand noch spielen will ("das muss man erstmal verdauen"), hat Bertels bereits angekündigt, dass mit der Parteilinken weiter zu rechnen ist ("wir sind keine beleidigten Leberwürste und verdrücken uns").
"Wir wollen eine SPD aus einem Guss", sagt Hikel. Aber er weiß auch, wie weit die Partei von diesem Zustand entfernt ist. Dass die personelle und inhaltliche Neuaufstellung der Partei einerseits lange dauern könnte, andererseits aber nur wenig Zeit ist, spricht Böcker-Giannini aus. Es gehe um die lange Linien, die "Vision 2035" und den geplanten Diskussionsprozess innerhalb der Partei, der auf den Weg gebracht werden müsse, damit man wieder Anschluss bekomme an die Alltagsthemen der Stadt.
Aber: "Natürlich möglichst schnell, denn 2026 steht ja die nächste Berlin-Wahl an, bei der wir entsprechend aufgestellt sein müssen." Ob auch dann mit Böcker-Giannini und Hikel an der Spitze, ist trotz der überzeugenden Mitgliederbefragung noch völlig offen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.05.2024, 14:00 Uhr
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